Schifffahrt Drachen an Bord: Frachter mit zusätzlichem Windantrieb

Der erste kommerzielle Frachter mit zusätzlichem Windantrieb ist nun erstmals auf großer Fahrt. Die WirtschaftsWoche war beim Prolog zur Jungfernfahrt dabei.

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Beluga SkySails: Täglich bis zu 2000 Dollar Spritkosten gespart

Die Beluga SkySails fährt mit rund zehn Knoten gen Nordwesten. Wir sind an der Nahtstelle zwischen Wesermündung und offener See, direkt zwischen den Reeden Neue Weser Nord und Süd. Dort ankern ankommende Frachter, bis ihre Liegeplätze in den Häfen von Bremen und Bremerhaven frei werden. Die Sonne strahlt, es herrscht Windstärke vier bis fünf. „Nur ganz sanft“, so der Eindruck des Ersten Offiziers Ingmar Richter, stampft das jüngste Schiff der Bremer Reederei Beluga Shipping: Es schaukelt nur ein wenig um die Querachse.

Wunderbar, diese sanfte Bewegung ist nicht magenbedrohend. Daran ändert sich auch nichts, als Lotse Torsten Lass, der das gerade vor vier Tagen fertig gewordene Schiff von Bremerhaven weserabwärts gefahren hat, bis rundum nur noch Wasser zu sehen ist, den 132 Meter langen Frachter um 180 Grad dreht. Das Manöver ist nötig, um den weltweit erstmals kommerziell genutzten Lenkdrachen zu starten, der vom Hamburger Unternehmen SkySails entwickelt wurde, um konventionell betriebene Schiffsmotoren zu entlasten.

Sekunden später beginnt die Show. Langsam taucht das sackförmige blauweiße Drachentuch aus dem Untergrund des Vorschiffs auf. Ein Teleskop-Lift hievt es auf eine Höhe von 15 Metern. Ausgerechnet in diesem Moment flaut der Wind, der zunächst die Luftkammern des Drachen füllen muss, um ihn in Form zu bringen, ab. Doch die Crew, die den Drachen vorerst per Hand startet, weiß sich zu helfen. Mit ein paar Manövern wird das Schiff wieder in den Wind gedreht. Als Lass dann noch ein wenig rückwärts fährt, füllt sich prompt das Tuch mit seinen 160 Quadratmeter Fläche. Wenn es sich bewährt, soll es noch in diesem Jahr durch ein doppelt so großes Segel ersetzt werden.

Neugierig schwirren ein paar Sportflugzeuge um das Schiff herum. Auf geheimnisvolle Art haben die Piloten erfahren, dass an der Wesermündung gerade etwas ganz Besonderes passiert. Sie werden nicht enttäuscht: Obwohl der Wind eigentlich zu schwach ist, hebt der Drachen ab. Zunächst tänzelt er scheinbar gefährlich nah um seinen Mast wie ein von Böen geschüttelter Windvogel. Gebändigt wird er von einem gelben Kunststoffseil, das auf dem Vorschiff befestigt ist und bis zu 35 Tonnen Zugkraft aushält. „Wir kommen heute auf höchstens 16 Tonnen“, beruhigt Stephan Brabeck, bei SkySails für die Technik zuständig. Als der Drachen eine Höhe von fast 200 Metern erreicht hat, gehen die Sportflieger vorsichtshalber auf Distanz.

Kapitän Lutz Heldt schaut derweil auf seine Instrumente und beginnt laut zu rechnen. „Mit 30 Prozent Motorleistung schaffen wir derzeit 40 Prozent der Normalgeschwindigkeit“, stellt er zufrieden fest. Das bedeutet: 25 Prozent des Antriebs leistet der Drachen, trotz des nur mäßigen Windes. Im Normalbetrieb reduziert sich die Treibstoffrechnung durch den Windeinsatz von knapp 9000 Dollar pro Tag um 2000 Dollar. Der Ausstoß an Kohlendioxid geht um 70 Tonnen auf 275 Tonnen pro Tag zurück. Die Schwefeldioxidemissionen sinken um fast sechs Tonnen pro Tag auf 20 Tonnen. 20 Prozent der Treibstoffeinsparungen bekommt die Mannschaft ausbezahlt, damit sie das neue System schneller akzeptiert und intensiv nutzt.

Im Endausbau wird es genügen, einen Knopf zu drücken, um den Drachen in Position zu bringen. Für Kapitän Heldt ist das neue System ohnehin nur mäßig aufregend. „Ich fahre das Schiff genauso wie bisher“, versichert er. Tatsächlich sorgt der Autopilot – ein gelber, schulranzengroßer Behälter, in den alle Nylonfäden zur Steuerung des Drachen münden – stets für seine optimale Position des windigen Hilfsantriebs. Dass der Drachen in großen Doppelkreisen vor dem Schiff hin und her tanzt, ist gewollt. „Das erhöht die Zugkraft“, sagt Brabeck.

Noch am gleichen Abend beginnt die Jungfernfahrt des 20 Millionen Euro teuren Frachters – 500.000 Euro verschlang das Drachensystem – nach Venezuela. Die Beluga SkySails transportiert im Auftrag von DHL die ersten Maschinen für eine Spanplattenfabrik nach Südamerika. Wenn die Reise planmäßig verläuft, wird sie Anfang Februar am Ziel sein. Heldt freut sich schon bei der Rückfahrt zum kurzen Zwischenstopp an der Columbuskaje auf das offene Meer. Denn nur dort ist er, der seit 42 Jahren zur See fährt, in seinem Element. „In diesen engen Gewässern“, womit er den für Binnenländer durchaus respektablen Unterlauf der Weser meint, „bricht mir immer der Angstschweiß aus.“

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