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Die Baltischen Werke (l.) und die Admiralitätswerft (r.) in Sankt Petersburg. Foto: LiveEO/Up42/Airbus

Wirtschaft von oben #361 – NordostpassageHier baut Putin an seinem Super-Joker

Neue Eisbrecher, eisbrechende Kriegs- und bald Containerschiffe. Bereitet Russland die Normalisierung der Beziehung zum Westen vor? Oder macht Putin das Land fit für einen Krieg ums Baltikum? Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.Thomas Stölzel 18.12.2025 - 17:48 Uhr

Die Beringstraße an ihrer engsten Stelle zwischen Alaska und Sibirien. Nur 80 Kilometer trennen Russland hier von den USA. Am 22. November 2025 geleitet der russische Atomeisbrecher Sibir ein 20 Tage zuvor in der Ostsee gestartetes Handelsschiff aus dem Eis. Es ist jene Zeit des Jahres, in der die Nordostpassage hoch oben in der Arktis wieder zufriert, nachdem sich das Eis bis zum September zurück gezogen hatte. Soweit, dass Dutzende Container-, Öl- und Gasfrachter ohne Begleitung von Eisbrechern die Route nehmen konnten.

Das Gebiet, in das allein die Sibir zurzeit immer wieder 34 Meter breite Schneisen für Schiffe ins Eis schneidet, erstreckt sich immerhin über 1400 Kilometer. Das zeigt eine Auswertung von Kpler-Satellitentransponderdaten und von Satellitenbildern von LiveEO. Und die Sibir ist nur einer von mehreren Atomeisbrechern, die hier Dienst tun.

Eine von Wladimir Putins ganz großen Visionen ist es, die 1879 erstmals durchquerte Nordostpassage ganzjährig zu einem bedeutenden Handelsweg aufzubauen, zu einer Art polarer Seidenstraße. Sein unerwartet langer Krieg in der Ukraine mag die Pläne gebremst haben. Doch wenn tatsächlich 2026 ein Friedensvertrag zwischen Russland und der Ukraine zustandekommen sollte, wird sich Putins geostrategischer Fokus wieder gen Norden verschieben, erwarten Experten.

Beringstraße zwischen Russland und Alaska, Autonomer Kreis der Tschuktschen, Russland
22.11.2025: Der Atomeisbrecher Sibir kehrt gut sichtbar um, nachdem er den Frachter Valeri Vasiliev durchs Eis geführt hat. In der linken Bildecke ist das russische Festland erkennbar. Dies ist eine Radarsatellitenaufnahme. Zur dunklen Jahreszeit sind konventionelle Bilder kaum noch möglich.
Foto: LiveEO/Sentinel

Zu wichtig ist jener freie Zugang zu den Weltmeeren für den Potentaten im Kreml. Kein Wunder also, dass Russland zumindest beim Bau der aktuellen Atomeisbrechergeneration trotz des Geld- und Arbeitskräftemangels keine Kompromisse zu schließen scheint. Putin dürfte seine Bemühungen schon deshalb künftig verstärken, weil US-Präsident Donald Trump zunehmend Ambitionen in der Arktis zeigt. So hatten die USA erst im September in Finnland den Bau von vier Eisbrechern beauftragt. Sieben weitere sollen mit finnischer Hilfe in den USA entstehen. Angetrieben werden die allerdings von Dieselgeneratoren.

Schon 2022 hatte Putin viele im Westen überrascht, als er 15 eisbrechende LNG-Tanker aus dem Hut zauberte, die von ihrer Transportkapazität her die zerstörten Nord-Stream-Ostseepipelines nahezu kompensieren konnten. Bis zu 1,7 Meter dickes Eis durchfahren die 50 Meter breiten und 300 Meter langen Schiffe der Arc7-Klasse ohne Hilfe eines zusätzlichen Eisbrechers und sind zurzeit im Pendelverkehr zwischen den arktischen Gasfeldern und Europa, sowie zunehmend auch nach Asien. Die Schiffe sind ein echtes Ass im Ärmel Putins. Als die EU Anfang Dezember ein Importverbot für russisches LNG ab 2027 beschloss, war klar: Der Kreml kann dieses mit den eisbrechenden Tankern einfach gen China bringen.

Inzwischen ist das Regime in Moskau russischen Medienberichten zufolge aber auch in Detailverhandlungen mit der chinesischen Reederei NewNew Shipping für einen weiteren Coup. Zusammen will man fünf eisbrechende Containerschiffe in Auftrag geben, angetrieben durch Atomreaktoren an Bord, betrieben vom staatlichen Eisbrecherunternehmen Rosatomflot. Der Staatskonzern Rosatom bestätigt die Pläne.

Schon jetzt nutzen nicht-eisbrechende Frachter der chinesischen Reederei NewNew Shipping, hier die NewNew Polar Bear (vorn), in Konvois die Nordostpassage. Foto: Rosatomflot via VK

Mit 300 Metern Länge und Platz für 4000 Container wären die eisbrechenden Schiffe zwar kleiner als jene Riesen von MSC oder Evergreen, die ungefähr sechsmal so viel laden können. Doch zugleich würde sich die Transportzeit massiv verkürzen. Statt 50 Tagen von China via Indischem Ozean nach Europa würden die Schiffe via Arktischem Ozean nur 18 bis 20 Tage brauchen.

Und sie könnten womöglich einen Konvoi mit nicht-eisbrechenden Containerschiffen anführen. Tatsächlich wären die technischen Herausforderungen für China und Russland deutlich geringer als bei eisbrechenden LNG-Schiffen, welche China und Russland aufgrund der komplizierten Tanks zurzeit nicht ohne westliche Hilfe bauen können.

China hatte schon vor Jahren bewiesen, dass es Frachtschiffe der Arc7-Kategorie für Russland fertigen kann. Dazu sind nicht nur ihre Wände verstärkt, sie besitzen auch einen besonderen Bug, mit dem sie sich auf die Eisschicht schieben. Unter dem Gewicht des Schiffes bricht das Eis und macht den Weg frei.

So hat die GSI-Werft im südchinesischen Guangzhou bereits den eisbrechenden Öltanker Boris Sokolov (2018) montiert. Sie wäre daher wohl auch ein Kandidat für die Containerschiffe. Satellitenbilder zeigen die Boris Sokolov 2018 in der chinesischen Werft. Eine Kooperation mit einer russischen Werft – vermutlich jener in Bolshoi Kamen bei Wladiwostok – dürfte wegen des geplanten Nuklearantriebes gegeben sein.

GSI-Werft, Guangzhou, Provinz Guangdong, China

06.02.2018 (linkes Bild): Der eisbrechende Öltanker Boris Sokolov wird gerade gebaut. Er soll Öl und Kondensat transportieren.

21.10.2018 (rechtes Bild): Das Schiff mit der Eisklasse Arc7 ist jetzt fertig gestellt.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar

Laut dem russischen Branchendienst Hafennachrichten kostet ein konventionelles Handelsschiff für 2000 bis 3000 Container heute zwischen 30 und 40 Millionen Dollar. Ein Arc7-Schiff schlage mit 240 bis 260 Millionen Dollar zu Buche. Ein Grund, warum die Reederei NewNew Shipping aus Hongkong schon nach staatlicher Unterstützung ruft.

Der Plan lässt sich auf zwei Arten deuten: Putin könnte mit den eisbrechenden Containerschiffen einerseits auf eine Normalisierung der Beziehungen mit Europa und dem Westen setzen, hoffen, auch EU-Häfen zu bedienen. Allerdings könnten die Schiffe Russland auch von den Containerhäfen in der Region Sankt Petersburg unabhängig machen – für den Fall eines Krieges um das Baltikum. Container könnten dann via Lastwagen oder Eisenbahn von Murmansk aus in dicht besiedelte russische Gebiete wie Moskau und Sankt Petersburg gelangen.

ROSATOMFLOT-HAUPTQUARTIER, MURMANSK, OBLAST MURMANSK, RUSSLAND
11.09.2025:  Ein Atomeisbrecher der aktuellen Generation 22220 liegt zu der Zeit vor Ort. Zudem gibt es zwei Eisbrecher des bis 2007 gebauten Vorgängermodells und einen atomgetrieben Flusseisbrecher.
Foto: LiveEO/Up42/Airbus

Auch wenn Russland seine Flotte eisbrechender Handelsschiffe deutlich ausbaut, wird ein großer Teil jener Frachter, die die Nordostpassage nimmt, weiter auf mächtige atombetriebene Eisbrecher angewiesen sein. So sagte Rosatom-Direktor Alexei Likhachev Anfang des Jahres, dass für eine Ausweitung des Handels über die nördliche Seeroute die Zahl der Eisbrecher von 10 bis 11 auf zukünftig 15 bis 17 steigen müsse. So rechnet Rosatom im ersten Schritt mit einer Zunahme der Frachtmengen von derzeit 38 Millionen Tonnen auf 100 bis 150 Millionen Tonnen.

Der russische Atomeisbrecher Sibir ist das zweite Schiff des Projekts 22220. Foto: imago images/SNA

Das erste Schiff der aktuellen „Projekt 22220“ genannten Eisbrecherflotte, die Arktika, wurde 2020 in Dienst gestellt. Inzwischen sind im Arktischen Ozean drei weitere Eisbrecher dieses Typs unterwegs, die Ural, die Sibir und aktuellen Satellitendaten und Daten von Kpler zufolge seit einigen Tagen auch die brandneue Yakutia. Die nächsten, die Chukotka und die Leningrad, sind im Bau. Die Arbeiten am siebten Schiff, der Stalingrad, beginnen gerade.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Up42/Airbus

Stationiert ist die russische Eisbrecherflotte in den Spätsommermonaten, in denen es sie kaum braucht, in Murmansk, nahe der schwedischen und finnischen Grenze. Hier liegt das Hauptquartier der Rosatomflot.

Die 173 Meter langen und 82.000 PS starken Schiffe sind technologisch kolossal. Der nukleare Antrieb kommt bis zu sieben Jahre ohne Tankstopp aus. Sie brechen damit bis zu drei Meter dickes Eis. Und sie können ihren Tiefgang anpassen, um nicht nur in der Hochsee, sondern auch in den Flüssen Jennisei und Ob zu navigieren, in denen wichtige Exporthäfen für Rohstoffe liegen.

Die Transponderdaten und die Satellitenbilder zeigen, dass die Schiffe jeweilige Zuständigkeitsgebiete in den arktischen Gewässern haben, dort unentwegt hin und her fahren und Schneisen ins Eis schneiden für Frachter. Eine Radarsatellitenaufnahme (im Winter hier die einzig mögliche Form der Beobachtung) zeigt etwa am 22. November einen aus einem Eisbrecher und drei Schiffen bestehenden Konvoi, der sich gen Westen schiebt.

Foto: WirtschaftsWoche

Je breiter die Eisbrecher, desto breiter können auch die Frachtschiffe sein, die in ihrer Schneise folgen. Waren die bis 2007 gebauten Eisbrecher der alten Arktika-Klasse 30 Meter breit, bringen es die aktuellen Schiffe auf 34 Meter. Zum Vergleich, die jetzt von den USA georderten Eisbrecher sind nur 28 Meter breit.

Mit 40 Metern Breite soll die Rossiya, der erste Eisbrecher der nächsten Generation namens „Projekt 10510“, noch größere Frachtschiffe durch die Nordostpassage geleiten. Doch daraus wird vorerst nichts. So zeigen aktuelle Satellitenbilder, dass die Arbeiten am schon fertig gestellten Teil des Rumpfes kaum mehr vorangehen. Gebaut wird das Schiff nicht in Sankt Petersburg, sondern im ostrussischen Bolshoi Kamen, 150 Kilometer nordöstlich der russischen Grenze zu Nordkorea (weit weg von einem möglichen Konfliktherd Baltikum).

In der Zvezda Werft, das ergab eine kürzlich erschienene Recherche der WirtschaftsWoche über eisbrechende LNG-Tanker, die hier endmontiert werden, wird kaum noch gearbeitet. So mangelt es offenbar wegen des Krieges in der Ukraine in der ohnehin dünn besiedelten Gegend an Arbeitskräften. Die Marineinfanteriebrigade der Region erlitt in der Ukraine schwere Verluste und musste mehrfach neu aufgefüllt werden. Zudem hat Russland der russischen Wirtschaftszeitung „Kommersant“ zufolge 2022 ein Stahlwerk in der Ukraine bombardiert und zerstört, dass wichtige Stahlgussteile für das Schiff liefern sollte.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Up42/Airbus

Zumindest den zweiten Atomreaktor für den Megaeisbrecher hat Rosatom gerade fertig gestellt. Die Kosten des gesamten Projekts werden auf zwei Milliarden Euro geschätzt. Eigentlich sollte die Rossiya 2027 ihren Dienst antreten. Daraus wird nichts. Unsicher ist auch, ob und wie schnell weitere Schiffe des Typs gebaut werden.

Klar ist dagegen, dass Putin gerade auch militärisch in den für ihn so wichtigen arktischen Gewässern aufrüsten lässt. So stellte die russische Marine im Sommer erstmals ein modernes eisbrechendes Patroullienschiff der Arc7-Kategorie in Dienst. Das Flaggschiff dieser neuen Eisbrecherklasse, die Ivan Papanin, wurde in Sankt Petersburg gebaut und ist 115 Meter lang. Es ist mit Bordkanonen und bei Bedarf mit Kalibr Marschflugkörpern bewaffnet.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Up42/Airbus

Insgesamt hat der Kreml vier solche bewaffneten Schiffe geordert, jeweils zwei für Marine und Küstenwache. Satellitenbilder zeigen die Iwan Papanin und die Nikolay Zubov in der Werft in Sankt Petersburg. Die nahezu baugleichen Schiffe für die Küstenwache werden in der Wyborg Werft, 120 Kilometer nordwestlich gebaut. Auch hier ist ein solches auf aktuellen Bildern erkennbar.

WYBORG-WERFT, WYBORG, OBLAST LENINGRAD, RUSSLAND
22.11.2025: Das rechte der zwei Schiffe ist ebenfalls ein eisbrechendes Patroullienschiff. Zwei Stück werden in dieser Werft für die Küstenwache montiert. Auch diese sind bewaffnet.
Foto: LiveEO/Up42/Airbus

Diese Schiffe sind ein deutliches Signal, dass Russland gesteigerte ökonomische Interessen in den arktischen Gewässern verfolgt. So glauben Beobachter, dass der Kreml schon länger eine klare Doktrin verfolgt: Wo die ökonomischen Interessen des Landes sind, dahin geht auch das Militär. In einer 2022 nach Kriegsbeginn publizierten Doktrin gibt das Regime der Arktis gar eine höhere Priorität als dem Schwarzen Meer. So betrachtet Putin unter anderem die riesigen Öl- und Gasvorkommen, welche unter den arktischen Gewässern lagern, heute als Russlands strategische Reserve. Zudem lagern in der Arktis wichtige Metalle.

In den USA wird der zunehmende Handelsverkehr hoch im Norden durchaus kritisch gesehen, insbesondere wenn es um Tanker ohne jegliche Eisschutzklasse geht, die Rosatomflot seit kurzem auf der Nordostpassage erlaubt. „Die Bedingungen sind hier sehr widrig und unvorhersehbar“, warnte vor einer Weile etwa Rebecca Pinkus, Directorin des Polar Institute am Wilson Center in Washington DC. Eis könne sich in den Gewässern ganz plötzlich bilden. Gebe es dadurch etwa eine Ölpest, werde die durch die Meeresströmung in US-Fischgründe vor Alaska getrieben.

Die aktuellen Daten und Aufnahmen zeigen, dass der Kreml die Arktis noch mehr als bisher als für Russland überlebenswichtig ansieht – vor allem ökonomisch. Und sie zeigen, dass Wladimir Putin sich wie schon für den Ukraine-Krieg hier gezielt neue wirtschaftsstrategische Optionen aufbaut. Das macht einen Krieg in der Ostsee zumindest nicht unwahrscheinlichere.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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