Bettina Hennig "Veganismus war die beste Entscheidung meines Lebens"

Seite 3/3

"Für Männer ist Fleischkonsum eine Potenzprojektion"

Ein beliebtes Totschlag-Argument immer wieder: "Pflanzen haben doch auch Gefühle!"

Oh Gott, ja. Nein, haben sie nicht, man kann sie bedenkenlos essen. Pflanzen haben kein zentrales Nervensystem. Im Gegensatz zu Menschen oder Tieren führen sie keine Partnerschaften, sie haben keine Sympathien, Antipathien oder Mitleid. Pflanzen können nicht lügen, Pflanzen können nicht hassen. Sie sind dafür gemacht, dass man sie isst.

Mein Lieblingsargument ist auch: "Der Mensch braucht Fleisch". Wenige sprechen mich auf Milch oder Eier an, aber: "Der Mensch braucht Fleisch", daran ziehen sich viele hoch. Es stimmt einfach nicht. Der Mensch ist von seinen Anlagen her sogar Frutarier, unser Gebiss und Verdauungssystem sind darauf eingestellt, Pflanzen zu verwerten. Fleisch ist optional, wir können es essen, fallen aber nicht um, wenn wir es nicht tun. Es gibt eigentlich keinen Grund, Fleisch zu essen, wenn man nicht gerade auf einer einsamen Insel oder in der Arktis bei den Inuit lebt.

Aber noch ein ganz anderer Spruch, der Vegetariern und Veganern gern entgegen geschleudert wird: "Hitler war auch Vegetarier." Ich weiß gar nicht, was mir das sagen soll! Es soll wohl sowas heißen wie "Hitler war ein schrecklicher Massenmörder, und in diese Richtung willst du auch gehen?" Das ist doch völlig absurd!

Vegan bedeutet nicht gleich gesund
Zu viel Fett, zu viel Salz oder zu viele gesättigte Fettsäuren: Die Verbraucherzentrale Hamburg hat gravierende Mängel an veganem Fleischersatz gefunden. Sie weist Veganer darauf hin, dass vegane Produkte keineswegs rein natürlich seien. Ohne den größeren Einsatz von Zusatzstoffen sei die „Herstellung oder ein annehmbarer Geschmack in den meisten Fällen nicht möglich“. Auch Etikettenschwindel und irreleitende Phantasienamen kämen im Test vor. Zudem seien gesättigte Fettsäuren schwer für den Körper zu verarbeiten. Geflügel-Mortadella ist die Vorlage dieses Brotaufschnitts. Die Verbraucherzentrale kritisiert, dass auf der Verpackung wichtige Nährwertangaben fehlen würden und der Hersteller nicht auf Nachfragen über das Produkt geantwortet habe. So bliebe unter anderem die Herkunft der Zutaten verborgen. Immerhin hat der Aufschnitt aber nur halb so viel Fett wie herkömmliche Mortadella. Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
Dieses Schlagsahneimitat enthält den Testern zufolge zu viele gesättigte Fettsäuren. Außerdem haben sie Bedenken bezüglich des verarbeiteten Seetangs. Der Hersteller habe zu der Herkunft der Zutaten auf Nachfrage keine Auskunft gegeben. Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
Auch an diesem Produkt hat die Verbraucherzentrale etwas auszusetzen: Beim ersten Blick auf die Vorderseite dieses Produkts bliebe unklar, worum es sich überhaupt handele. Es ist Margarine. Außerdem seien die Wallnüsse auf dem Deckel irreführend, da das Produkt nur zwei Prozent Wallnussöl enthalte. Die Margarine hätte über dies einen hohen Gehalt an gesättigten Fettsäuren, verursacht durch Kokos- und Palmöl. Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
Name und Design dieses Getränks würden suggerieren, dass die Zutaten aus der Schweiz stammen, obwohl sie teilweise aus Italien, Ungarn und Türkei importiert werden. Das sei irreführend, kritisieren die Hamburger. Ebenso fehlleitend sei die Angabe, dass der Drink keinen Zucker enthalte. Denn der enthaltene Zuckerersatz Maltodextrin werde teilweise im Mund zu Zucker umgewandelt. Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
Laut Verbraucherzentrale ist dieses Produkt eines der wenigen, das bei ihrem Test gut abgeschnitten haben. Diese Würstchen bestehen hauptsächlich aus den Samen der Süßlupine, einer heimischen Hülsenfrucht, die zu den Ginsterarten gehört. Eine Wurst enthalte halb so viel Fett wie eine herkömmliche Bratwurst, was ein positiver Punkt sei. Nur der Salzgehalt sei zu hoch. Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
An diesen veganen Burger-Patties kritisiert die Verbraucherzentrale Hamburg, dass sie 35 Prozent mehr Fett als handelsübliche Bouletten aus Rinderhack und vier mal so viele gesättigte Fettsäuren enthalte. Das Etikett sei zudem irreführend: Der Veggie Burger enthalte geschmacksverstärkendes Hefeextrakt, obwohl auf der Verpackung „ohne Zusatz von Glutamat“ abgedruckt sei. Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg
Der Käseersatz überzeugt die Verbraucherzentrale Hamburg nicht, da er viele Zusatzstoffe wie Konservierungsmittel und gesättigte Fettsäuren enthalte. Außerdem bemängelt sie, dass die Produktbeschreibungen „Ethisch“ oder „Vegane Aromen“ nicht genau definiert sei. Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg

Fleischkonsum ist besonders bei Männern auch ein Statussymbol - wer das größte Steak verdrückt, wird bewundert. Können Sie das erklären?

Aus meiner Erfahrung würde ich sagen, dass das vor allem bei deutschen Männern so ist. Schaut man etwa nach Indien, sieht man: 40 Prozent der Menschen dort sind Vegetarier - auch Männer, und die sind gesund, groß gewachsen und so weiter. Ich glaube, das ist eine Potenzprojektion. Männer haben es heutzutage wirklich schwer. Viele befinden sich in einer Identitätskrise: Wer bin ich, wo gehöre ich hin, wie gehe ich vernünftig mit Frauen um - viele Männer sind da sehr verunsichert. Es gibt für sie nur noch wenige Refugien, in denen sie sich als Mann fühlen können. Selbst im Fußballstadion, wo sie früher noch ordentlich grölen konnten, sind jetzt immer mehr Frauen dabei und die wissen jetzt auch, was "Abseits" ist. Ich glaube, Fleisch ist für viele das letzte Ding, bei dem sie sich noch als Mann fühlen können. Sie fühlen sich so verbunden mit dem vermeintlichen Urvater, der in männlicher Runde das Wild erlegt hat.

Man hört immer wieder von Veganern, die bei Ärzten auf Unverständnis oder Ablehnung stoßen. Mussten Sie sich auch gegen Vorwürfe wehren, Ihrem Körper eine Mangelernährung anzutun?

Zum Glück nicht. Ich habe von meinen Ärzten immer positive Reaktionen bekommen. Man sollte nicht nur als Veganer regelmäßig ein Blutbild machen lassen, ich mache das natürlich auch immer brav. Meine Ärzte hatten Tränen in den Augen vor Glück, als sie mein Blutbild gesehen haben. Ich rede ja nicht über mein Alter, aber mein Blutbild ist viel besser als das, was für mein Alter typisch ist - top Cholesterinwerte, super Vitamin-D-, B12- und Eisen-Werte. Die Nährstoffe finden Sie nicht in Fertigpizza, Burger, Fritten oder Chips, die sind eben in dem ganzen Gemüse, das ich esse. Das einzige, was ich über Nahrungsergänzungsmittel aufnehme, ist Vitamin B12. Meine Ärzte wollen mich am liebsten auf Kongresse mitnehmen und mich vorführen, um anderen Ärzten zu zeigen, dass es Veganern sehr gut gehen kann.

Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann wieder Fleisch zu essen?

Nein. Es ist völlig absurd für mich, Fleisch zu essen, richtig eklig. Wenn ich jetzt an einer Fleischtheke vorbeigehe, kann ich gar nicht mehr abstrahieren. Ich sehe kein Filet, sondern ich sehe den toten, herausgetrennten Muskel. Ich finde es spannend, dass die meisten Menschen, die ja Fleischesser sind, das so verdrängen können.

Gibt es da vielleicht wirklich eine Art psychologischen Mechanismus, den Vegetarier und Veganer verloren haben?

Dazu hat die amerikanische Psychologin Melanie Joy, Autorin des Buchs "Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen", etwas Interessantes geschrieben. Sie prägte den Begriff des "Karnismus", eine unsichtbare Ideologie, die in fleischessenden Kulturen verbreitet ist. Dieses dominierende Überzeugungssystem ermöglicht es den Menschen, Fleisch zu essen, weil ihnen eingeredet wird, es als normal, notwendig und natürlich anzusehen. Es hilft dabei, etwas das einen eigentlich berühren sollte - da stirbt ein Tier, und ich esse es - zu verdrängen. Die Gesellschaft fördert also, dass man von eigentlichen moralischen Werten wie: "Du sollst nicht töten" abrücken und sagen kann: "Tiere essen ist ganz normal". Vegetarier und Veganer machen diese Ideologie sichtbar, weil sie ihr nicht mehr unterliegen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%