Dekarbonisierung der Industrie: Grüner Stahl vor dem Aus – diese Brücke könnte helfen

Die neue Regierung hat ihre Arbeit aufgenommen, und klar ist: Die vom ehemaligen Wirtschaftsminister Robert Habeck eingeführten Klimaschutzverträge haben den Regierungswechsel überlebt. Für die Industrie ist das ein wichtiges Signal, doch bisher fehlt es an richtungsweisenden Ansagen, wie die Regierung diese gestalten wird.
„Auch die Architektur der Klimaschutzverträge werden wir uns sehr genau anschauen“, verkündet die neue Wirtschaftsministerin Reiche im Interview Mitte Mai – seitdem hat sie zu dem Thema geschwiegen. Dabei gilt: Die Weiterentwicklung und Verzahnung der Klimaschutzverträge mit der Etablierung grüner Leitmärkte sind für die Industrietransformation entscheidend.
Klimaschutzverträge gleichen Mehrkosten aus
Klimaschutzverträge sind ein Absicherungsmechanismus, in dem der Staat sowohl Investitionskosten für erneuerbare Produktionstechnologien als auch die Betriebskostendifferenz gegenüber konventioneller Industrieproduktion ausgleicht. Aber nur so lange, bis die grünen Technologien durch sinkende Kosten und steigende Nachfrage wettbewerbsfähig werden. Dazu trägt auch der europäische CO2-Preis bei, der Emissionen aus der Industrieproduktion immer weiter verteuert.
Durch die Klimaschutzverträge kann beispielsweise eine Industrieanlage mithilfe von grünem Wasserstoff dekarbonisiert oder eine CCS-Anlage gebaut und betrieben werden. Das Instrument gibt Unternehmen Planungssicherheit und Risikoabsicherung für nötige Investitionsentscheidungen in der aktuellen, kritischen Übergangsphase.
Die neue Regierung setzt darauf, die kränkelnde Wirtschaft durch verbesserte Standortbedingungen wie wettbewerbsfähigere Strompreise anzukurbeln. Diese Entlastung im Koalitionsvertrag bringt Wettbewerbsfähigkeit und Dekarbonisierung zusammen. Denn verlässliche Strompreise ermöglichen die Elektrifizierung von Industrieprozessen.
Dies gilt umso mehr, als hohe Gaspreise im Zusammenspiel mit einem steigenden CO2-Preis für viele Unternehmen eine hohe Belastung darstellen und bezahlbare klimafreundliche Alternativen dringend benötigt werden. Allerdings ist nicht überall die Umstellung auf Strom möglich oder betriebswirtschaftlich sinnvoll. Je nach Branche und Unternehmen werden auch andere Maßnahmen wie Wasserstoffeinsatz, Prozessumstellungen und der Bau sowie Betrieb von CCS-Anlagen benötigt.
Diese werden durch die aktuellen Maßnahmen allerdings bisher nicht adressiert. Die geplante Finanzierung der Gasspeicherumlage aus dem Klima- und Transformationsfonds mag kurzfristig die gasintensiven Industrien entlasten, ist aber im Hinblick auf die Reduktion von Treibhausgasemissionen inkonsistent und kontraproduktiv.
Regierung muss Ausschreibungsdesign anpassen
Die Zahlen sprechen für sich: Für grünen Wasserstoff weisen aktuelle Studienergebnisse beispielsweise einen Preis von rund 200 Euro pro Megawattstunde aus – das ist mehr als doppelt so hoch wie die industriellen Gaspreise im Jahr 2023. Diese Lücke können Unternehmen ohne Unterstützung kaum schließen.
Die Gründe für den Preisunterschied liegen an den Mehrkosten für klimafreundliche Verfahren, an teureren Energieträgern, unsicherer Verfügbarkeit und Kosten oder fehlender Zahlungsbereitschaft für grüne Produkte. Die geplante Strompreissenkung allein wird diese Differenz auf absehbare Zeit nicht schließen können.
Klimaschutzverträge setzen genau hier an. Wie das Instrument weiterentwickelt werden soll, ist noch nicht klar. Stellschrauben dafür liegen im Ausschreibungsdesign. Das stellt auch unsere gemeinsame Studie von Institut der deutschen Wirtschaft (IW), und den Think-Tanks Bellona Deutschland und Epico fest: Die Perspektive muss ein langfristig auch ohne Förderung tragfähiges und perspektivisch klimaneutrales Geschäftsmodell sein.
Dezidierte Mittel für einzelne Industriezweige können dabei helfen, die Förderung branchenübergreifend einzusetzen. Für kleine und mittelgroße Unternehmen, die keinen Zugang zum Kapitalmarkt und geringe Kapazitäten für aufwendige Förderbürokratie mitbringen, braucht es pragmatische Lösungen durch vereinfachte Verfahren und kürzere Förderzeiträume. Eine dynamische Anpassung an die steigende Marktakzeptanz grüner Produkte und damit sinkende Mehrkosten lässt die Fördervolumina mit wachsender Marktreife sinken.
Klimaschutzverträge können nicht allen Industrieanlagen flächendeckend zugutekommen. Sie sind vielmehr als Startpunkt für eine grundlegende Transformation zu verstehen. Das eigentliche Ziel des Politikmixes muss die Schaffung einer stabilen Nachfrage nach CO2-armen Materialien wie grünen Stahl oder Zement durch grüne Leitmärkte sein, auf die der Koalitionsvertrag ebenfalls verweist.
Deutschland hat die Chance: Durch eine kluge Verzahnung können impulsgebende Klimaschutzverträge und mittelfristig wirkende Leitmärkte nicht nur auf die Klimaziele einzahlen, sondern auch zeigen, wie industrielle Transformation gelingen kann. Die Zeit drängt – die Anlagen, die heute gebaut werden, bestimmen die CO2-Emissionen für Jahrzehnte. Jetzt braucht es kluge Entscheidungen und verlässliche Rahmenbedingungen, die Unternehmen Investitionen in die Zukunftstechnologien ermöglichen.
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