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Lehren aus dem Hochwasser„So eine Katastrophe könnte jederzeit wieder passieren“

Zwei Jahre nach der Flut kommen Wiederaufbau und Hochwasserschutz in den Schadensgebieten nur schleppend voran. Der Wasserbau-Experte Holger Schüttrumpf über alte und neue Nachlässigkeiten und die „Katastrophendemenz“.Thomas Kuhn 14.07.2023 - 11:46 Uhr

Spur der Verwüstung. Mit teils mehr als zehn Meter Scheitelhöhe rollte die Flutwelle der Ahr im Sommer 2021 durch den Ort Altenahr, riss Häuser und Brücken mit sich und forderte allein in der Region 134 Todesopfer.

Foto: imago images

WirtschaftsWoche: Vor zwei Jahren verwüstete die Flutkatastrophe mit mehr als 180 Toten die Flusstäler von Ahr, Erft, Inde und Rur, sowie weitere Regionen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Könnte sich solch ein Desaster heute noch einmal wiederholen?
Holger Schüttrumpf: Leider ja. Unter den passenden Wetterbedingungen würden sich also vergleichbare Wassermassen durch die gleichen Täler wälzen und wieder auf dichte Besiedelung treffen. Es hat sich geographisch nichts Entscheidendes verändert. Und deshalb war die Katastrophe des Sommers 2021 im Grunde auch gar nicht so überraschend und unvorhersehbar, wie viele zunächst glaubten.

Inwiefern?
Es war ja nicht so, dass es keine historischen Unterlagen über schwere Flutereignisse in den Schadensgebieten gegeben hätte. Wir haben das mal am Beispiel der Ahr bis weit ins Mittelalter analysiert. Seither gab es dort regelmäßig große Fluten – und jeweils mindestens eine pro Jahrhundert von mehr oder weniger katastrophalem Ausmaß. Das ist bei einer Landschaft wie dem Ahrtal oder vergleichbar engen Kerbtälern auch kein Wunder. Irgendwann sind die Böden gesättigt und dann fließt das Wasser ab. Dass aus dem Hochwasser dann eine Katastrophe wird, liegt auch nicht am Wetter oder der Natur.

Sondern?
Es liegt am Menschen, und das meine ich gar nicht vorwurfsvoll. Die Leute siedeln nun mal seit Jahrhunderten in aller Regel im Tal, wo Flüsse Wasserversorgung und Verkehrswege bieten. Das hat sich bis heute nicht geändert. Dazu kommt, dass Regionen wie das Ahr- oder auch das Rurtal stark touristisch genutzt sind. Da zieht es die Leute in die Weinstuben oder Hotels am Fluss und nicht auf die Berge. Zur Katastrophe wird es, wenn Menschen und Wasser sich in die Quere kommen. Und genau das ist vor zwei Jahren wieder einmal passiert.

Holger Schüttrumpf.

Foto: Peter Winandy
Zur Person
Holger Schüttrumpf

Wäre denn, wenn das Risiko aus der Geschichte bekannt war, keine bessere Vorsorge möglich gewesen?
Doch, natürlich. Aber zum einen ist der Mensch vergesslich oder er verdrängt Risiken, wenn sie nicht mehr so präsent sind. Man spricht da von „Katastrophendemenz“. Zudem ist es so, dass Hochwasserschutz immer auch mit anderen Nutzungsformen kollidiert. Er kostet Platz, land- oder forstwirtschaftliche Nutzflächen beispielsweise, aber auch Flächen für potenzielle Bau- oder Gewerbegebiete oder den Tourismus.

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Und je mehr die Erinnerung an katastrophale Fluten verblasst, desto geringer ist die Bereitschaft anderer Nutzer bei ihren Ansprüchen zurückzustecken?
Genau. Und dann wird’s eben zum Teil problematisch: Wir haben etwa analysiert, wie sich die Flächennutzung im Einzugsgebiet der Ahr und unmittelbar in den potenziellen Überflutungsgebieten über die Jahre entwickelt hat. Und während sich etwa im Einzugsgebiet die Waldflächen zwischen 1809 und 2018 nahezu verdoppelt haben, haben sich die Siedlungsflächen in den Flutgebieten im gleichen Zeitraum rund verzehnfacht. Sie machen inzwischen knapp 40 Prozent der Landschaft aus. Wenn man sich das anschaut, war die Flut von 2021 fast eine Katastrophe mit Ansage.

Sie sind in verschiedene Forschungsprojekte eingebunden, die das Ziel haben, potenziell bedrohte Gebiete widerstandsfähiger gegen kommende Fluten zu machen. Merken Sie schon, dass die Bereitschaft zurückgeht, Dinge zu ändern?
Das hängt sicher vom Grad der erlebten Zerstörung ab. In manchen Städten, etwa im schwer getroffenen Bad Münstereifel, ist der Wiederaufbau äußerlich schon fast abgeschlossen, im Mittellauf der Ahr dagegen sind die Wunden in Siedlungen, Infrastruktur und Landschaft bestenfalls verschorft. Und dort sind Bewusstsein und Bereitschaft beispielsweise anders zu bauen definitiv weiter sehr groß. 

Wiederaufbau im Ahrtal

Nach der Flut ist vor der Flut

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Was kann denn konkret getan werden?
Es mangelt nicht an Ideen, wie Arbeiten über Bundesländergrenzen hinweg zeigen, etwa das vom Bund geförderte Projekt KAHR – Klima Anpassung Hochwasser Resilienz: Dem Wasser mehr Raum zu geben, Überflutungsflächen zu schaffen, Brücken mit größeren Öffnungen zu bauen, die die Fluten weniger aufstauen, wasser- und druckdichte Fenster in gewässernah stehende Häuser einzubauen. Von der Siedlungsplanung bis zum Objektschutz einzelner Häuser gibt es viele Maßnahmen, die einen besseren Schutz bieten.

Auch für Wasserstände wie 2021, als sich die Ahr in Altenahr mehr als zehn Meter hoch staute?
Irgendwo hat jede Prävention ihre Grenzen. Nicht jede Schutzmaßnahme ist ökonomisch und politisch darstellbar. Natürlich könnte man einen Hochwasserdamm quer durchs Ahrtal bauen, der selbst größte Fluten zurückhielte. Aber sowas ist völlig utopisch. Nein, wir müssen uns mit dem Restrisiko abfinden, dass es Extremereignisse eines Ausmaßes geben kann und wird, die alle Schutzmaßnahmen übersteigen. Aber wir sollten deshalb nicht in Fatalismus verfallen, sondern vorsorgen.

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Mit Cell-Broadcast-Alarmen fürs Handy gibt es inzwischen ein zusätzliches Warnmittel, Bund und Länder stecken Millionen von Euro in den Wiederaufbau des Sirenennetzes. Aber wie sieht es mit dem Hochwasserschutz selbst aus?
Da tut sich was. Aber das Problem ist, es braucht Zeit. Egal, ob man noch weitere Flächen aufforstet, um das Gebiet mit mehr Wald zur Schwammlandschaft auszubauen, oder ob es um den Bau von Hochwasserrückhaltebecken, die Verlegung von Straßen und Brücken oder die Verlagerung von Wohn- und Gewerbebebauung geht. Es dauert Jahrzehnte, bis Bäume gewachsen sind, und auch die Planungs- und Bauprozesse des technischen Hochwasserschutzes brauchen mitunter Dekaden ...

… in denen es jederzeit wieder zu dramatischen Fluten kommen kann ...
… und angesichts der Klimaveränderungen tendenziell auch immer häufiger zu solchen Fluten kommen wird. Das muss man ganz klar sagen. Vorsorge tut not.

Die Flutkatastrophe im Juli 2021 und ihre Nachwehen
11. Juli 2021: DWD warnt vor Starkregen
14. Juli 2021: Steigende Pegel, erste Evakuierungen
15. Juli 2021: Dramatische Szenen im Ahrtal
17. Juli 2021: Laschet lacht
6. August 2021: Ermittlungen gegen Landrat Pföhler
1. Oktober 2021: Politische Aufarbeitung beginnt
11. April 2022: Familienministerin Spiegel tritt zurück

Geschieht denn genug?
Ja und nein. Bei der Behebung der akuten Schäden ist, wie gesagt, schon eine Menge passiert, aber es hapert noch immer in vielen Regionen am großen Plan, wie der Hochwasserschutz langfristig aussehen soll. 

Wo klemmt’s?
Ich erlebe auf fast allen Ebenen eine Art Schwarzes-Peter-Spiel: Die Kommunen verweisen bei Planungen, Finanzierung oder Beschlüssen auf die Kreise, die auf die Länder und jene auf den Bund. Die Stadtplaner auf die Landwirtschaft im Umland und die wieder auf die Forstwirtschaft, die ihren Beitrag leisten soll. Und dass auch der Mensch selbst eine Verantwortung für den Schutz von Hab und Gut hat, blenden manche Leute aus und warten auf staatliche Maßnahmen. Das zieht die ohnehin schon langsamen Prozesse noch weiter in die Länge.

Zu lang angesichts des Risikos, das mit der Flut von 2021 so dramatisch deutlich wurde?
Ich bin kein Hellseher. Keiner weiß, ob wir Fluten wie 2021 zu unseren Lebzeiten noch mal erleben. Oder vielleicht sogar mehrfach. Aber die Frage ist nicht, ob sich ein Hochwasser wie 2021 wiederholt, sondern nur noch wann!

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