„Welcher Cocktail sich da übers Land verteilt?“ So läuft der Kampf gegen die giftige Flut

Weil nach dem Hochwasser an Flüssen wie der Ahr viele Kläranlagen zerstört oder ausgefallen sind, müssen die kontaminierten Abwässer über Monate von spezialisierten Entsorgern aufbereitet werden. Quelle: imago images

Nach der Flut in Eifel und Ahrtal blieben in den Überschwemmungsgebieten Millionen Liter von mit Chemikalien, Öl oder Fäkalien verdrecktem Abwasser zurück. Sie zu entgiften, ist eine Mammutaufgabe.

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Die Unwettergüsse, die Mitte Juli die Eifel und das Ahrtal überfluteten, prasselten noch vom Himmel, da schickte Holger Schüttrumpf seine Teams bereits in die Katastrophengebiete. Ihr Ziel: „Wasserproben nehmen und dokumentieren, welche gesundheitsgefährdenden oder giftigen Substanzen die reißenden Fluten wo durch die Orte und über Straßen und Felder spülten“, sagt Schüttrumpf, der das Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH Aachen leitet. 

Dass da mehr als bloß riesige Mengen Regenwasser durch die Katastrophenregion schwappten, war dem Wissenschaftler sofort klar. „In Tausenden Kellern vermischte sich das Wasser mit dem Öl aus zerstörten Heizöltanks, in Lagern von Winzern und Landwirten spülte es Dünge- und Pflanzenschutzmittel davon, aus Produktionshallen und Werkstätten Chemikalien unbekannten Typs.“ Über mehrere Wochen nahmen Studenten und wissenschaftliche Mitarbeiter von Schüttrumpfs Lehrstuhl daher nach der Flut Proben in den Orten an Ahr, Erft, Inde, Rur, Wupper und weiteren während der Unwetter vom 14. und 15. Juli überfluteten Gebieten.

„Welcher Cocktail sich da übers Land verteilt hat und wie giftig die Überbleibsel tatsächlich waren, das werden wir nun ermitteln“, erzählt Schüttrumpf. Die Fachleute seines Instituts haben reichlich zu tun. „In unseren Kühlräumen lagern Hunderte von Proben, die wir in den kommenden Monaten einzeln analysieren werden, um einen Überblick über die Umweltbelastungen zu bekommen.“

von Thomas Kuhn, Harald Schumacher, Tobias Gürtler

Schon jetzt ist klar, dass nicht bloß die Zahl der Toten die Sturzfluten vom Juli zur schwersten Unwetterkatastrophe der Bundesrepublik macht. Laut aktuellen Hochrechnungen der Versicherungswirtschaft liegen auch die kalkulierten Schadenssummen mit rund sieben Milliarden Euro auf einem Rekordniveau. Und auch bei den Folgen für die Umwelt gehen die Experten von einem Schaden nie zuvor da gewesenen Ausmaßes aus. 

Zentimeterdicke Ölschicht auf dem Wasser

„Laut den Berichten sind ja speziell im Ahrtal durch die Flut fast alle Kläranlagen und in weiten Teilen auch die Kanalisation beschädigt oder komplett zerstört worden“, sagt Heinrich Schäfer, Bereichsleiter Abwassertechnik beim Erftverband im rheinischen Bergheim. Schäfer hatte selbst mit der Flut zu kämpfen. „Bei uns sind dabei sieben von 31 Kläranlagen ganz oder teilweise ausgefallen.“ Vom schwer verwüsteten Städtchen Bad Münstereifel über Euskirchen und Weilerswist bis Erftstadt standen entlang der Erft zigtausende Quadratmeter in Stadt und Land teils metertief unter Wasser. Vielerorts erheblich mit Schadstoffen verseucht, so Schäfer. „Alleine in der Kläranlage in Weilerswist sammelte sich am Fettfang eine 10 bis 15 Zentimeter dicke Schicht aus Diesel und Öl auf dem Wasser.“

Große Teile der giftigen Fluten, das ist allen Fachleuten klar, sind mit den Wassermassen fortgespült worden; zunächst in den Rhein und schließlich mit dem Strom ins Meer. „Wenn man in solch einer Lage überhaupt von so etwas wie ‚Glück‘ sprechen kann“, sagt Stefan Bröker, Sprecher des Branchenverbandes Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall, DWA, „dann hatten wir Glück, dass die immensen Wassermassen die Schadstoffbelastung in den Flüssen vermutlich auf ein leidlich erträgliches Maß verdünnt haben.“ 

Klar sei aber auch, dass das, was an möglichen gefährlichen Stoffen in die Gewässer gelangt oder in Kellern, Gruben oder anderen Senken zurückgeblieben sei, „aufwendig gereinigt werden muss, um keine weiteren Umweltschäden zu verursachen“, so der DWA-Experte. Weil an der Ahr sämtliche Kläranlagen ausgefallen sind, ist das nur im Zusammenspiel von Entsorgungsbetrieben, Abwasserlogistikern und anderen Kläranlagen, weit über die betroffenen Regionen hinaus, möglich. Auch dem Technischen Hilfswerk gebühre großer Dank für die wichtige Unterstützung, betont Bröker. „Es wurde wirklich alles an Kapazitäten aktiviert, was kurzfristig verfügbar war.“

Wochenlange Arbeit in den Kellern

Zunächst rückten beispielsweise im Ahrtal Experten eines aus mehreren bayrischen Feuerwehren bestehenden Verbandes zur Ölschadensbekämpfung an. Wochenlang waren sie nach der Flut in den Tälern unterwegs. Sie sicherten beschädigte Öltanks, schnitten teils neue Öffnungen in die zerstörten Behälter und bereiteten die schmierig-stinkenden Öl-Wasser-Gemische in den Kellern zum Abpumpen vor. Den Transport übernahmen dann im zweiten Schritt Saug- und Tankfahrzeuge von spezialisierten Entsorgungsbetrieben und Technischem Hilfswerk (THW)

Ehrenamtliche Fachleute der Katastrophenschutzorganisation installierten zudem im Örtchen Sinzig eine sogenannte Separationsanlage, um schließlich bei den aus der Region angelieferten Gemischen das Öl vom Wasser zu trennen. Dabei ergeben sich üblicherweise drei Bestandteile: Wasser, Öl und Schlamm. Zumindest, sofern es nicht mit weiteren Chemikalien belastet ist, kann das Wasser anschließend zurück in die Umwelt geleitet werden. „Das Öl geht an Raffinerien und der Schlamm kommt in entsprechende Verbrennungsanlagen“, erzählt THW-Präsident Gerd Friedsam. 

Bis 18. August, so Berechnungen der Kreisverwaltung Ahrweiler, wurden in Sinzig knapp 3,6 Millionen Liter Öl-Wasser-Gemisch verarbeitet. Das entspricht in etwa dem vierteljährlichen Wasserverbrauch einer gut 110.000-Einwohner-Stadt wie Koblenz, Bottrop oder Wolfsburg. Gut 1600 Kubikmeter reines Heizöl wurden dabei gewonnen, die schließlich zur Aufbereitung per Tankwagen in Raffinerien gefahren wurden, so auch zu der von Shell im nahegelegenen Köln-Godorf. Nach einer genauen Analyse der Tankinhalte auf die Flüssigkeitsbestandteile werde das wiedergewonnene Heizöl dann dem in der Raffinerie ohnehin zu verarbeitenden Rohöl beigemischt, sagt Jörg Nielsen, Sprecher von Shell in Köln. „Die technologische Herausforderung ist, enthaltene Verunreinigungen, also etwa Schlamm, andere Öle und dem Heizöl zugesetzte Additive, wieder zu entfernen.“ 

Tankwagen aus ganz Deutschland im Einsatz

Doch längst nicht immer läuft die Aufbereitung so reibungslos wie bei dem aufgefangenen Heizöl. „Vor allem, wenn die restliche Flüssigkeit mit weiteren Chemikalien belastet ist, muss sie wesentlich aufwendiger gereinigt werden“, sagt Frank Krahnen, Leiter Riskmanagement beim Krefelder Abfallwirtschaftsunternehmen GSAK. Die Menge aller Abwässer in den Flutgebieten habe die Möglichkeiten einzelner Entsorgungsunternehmen erheblich übertroffen.  „Da sind von Bremen bis Bayern Saug- und Tankwagen aus der ganzen Republik gerollt und haben die kontaminierten Abwassergemische zur Aufbereitung in die Spezialbetriebe gefahren.“ 

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Wie etwa in die in direkter Nachbarschaft der Flutgebiete liegenden Aufbereitungsanlagen des niederrheinischen Entsorgungsspezialisten Schönmackers Umweltdienste in Mönchengladbach und Hürth. Das Unternehmen war in den Wochen nach der Katastrophe auch mit der eigenen Flotte sogenannter Saug-Druck-Fahrzeuge in den Schadensgebieten unterwegs. Insgesamt 1200 Kubikmeter flüssiger Abfälle hat das Unternehmen nach eigenen Angaben seit den verheerenden Hochwassern in Hürth und Mönchengladbach verarbeitet: Umgerechnet ist das so viel, wie rund 10.000 Menschen im Laufe eines ganzen Jahres an Wasser verbrauchen. 

Wie aufwendig der Reinigungsprozess ist, hängt von der Zusammensetzung der Gemische ab – und er kann sich auch von Anlage zu Anlage unterscheiden. Im wesentlichen nehmen die Abwasserexperten Proben der angelieferten Abwässer, um beispielsweise deren mögliche Brennbarkeit, Ätzwirkung oder auch enthaltene Giftstoffe wie PCB, Schwermetalle oder Schwefel festzustellen. Nach einer mehrstufigen mechanischen Filterung werden dann verschiedene brennbare Substanzen verdampft, abgeleitet und aufgefangen. Was dann noch an Flüssigkeit übrig ist, wird durch einen weiteren Verdampfer geleitet. Dabei bleiben weitere Schadstoffe, aber auch sämtliche Feststoffe zurück. 

Nur ein paar Prozent Restabfall bleiben übrig

Was sich anschließend als Destillat niederschlägt, ist frei von wassergefährdenden Stoffen, muss aber noch eine biologische Kläranlage durchlaufen. Dort zerlegen Bakterien alle noch potenziell verbliebenen Reststoffe so weit, dass das gereinigte Wasser danach in die Umwelt geleitet werden kann. In der Regel bleibt nur ein niedriger einstelliger Prozentsatz des ursprünglichen Volumens an nicht weiter zu reduzierendem Abfall zurück. Der muss dann, je nach enthaltenen Reststoffen, deponiert oder verbrannt werden. 



Wann alle zurückgebliebenen Abwässer aus den Katastrophenregionen auf diese Weise entgiftet sind, dazu wagt in der Branche noch niemand eine Prognose. „Aktuell lagern ja noch zigtausende Liter von der Brühe in Zwischenbehältern“, heißt es bei einem der beteiligten Entsorgungsspezialisten. Die müssten Stück für Stück abgearbeitet werden – neben all den chemisch belasteten Abwässern, die von Industrieunternehmen oder Kommunen regulär zur Aufbereitung kämen. „Das kann also durchaus Jahresende werden“, glaubt einer der beteiligten Abwasserexperten. 

Bis dahin hofft auch RWTH-Forscher Schüttrumpf zumindest einen Überblick über die Umweltbelastungen der Überflutungsgebiete gewonnen zu haben.

Mehr zum Thema: Nach der Flutkatastrophe soll an Ort und Stelle der Wiederaufbau beginnen. Dabei ist das oft nicht sinnvoll – es braucht weniger gefährdete Grundstücke. Sonst könnten viele bei der nächsten Flut wieder alles verlieren.

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