Wirtschaft von oben #166 – Norwegen und USA Hier haben Brände die so wichtigen LNG-Terminals ausgeschaltet

Das exklusiv für die WirtschaftsWoche geschossene Satellitenfoto zeigt den Hafen von Freeport mit mehreren Öl- und Gasanlagen. Das LNG-Terminal, auf dem der Brand ausbrach, liegt im unteren Bildausschnitt. Quelle: LiveEO/Planet Labs PBC SkySat

Freeport in Texas ist für rund ein Fünftel aller LNG-Exporte aus den USA verantwortlich. Doch wegen Reparaturarbeiten fallen diese nun mindestens drei Monate weg, wie exklusive Satellitenbilder zeigen. In Norwegen ging eine Anlage nach einem Feuer gerade erst wieder in Betrieb – nach mehr als anderthalb Jahren. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Die Explosion ist heftig, aber kurz. Der Feuerball steigt Dutzende Meter in die Höhe, weit über die Tankgewölbe hinaus. Dann ist alles wieder vorbei. Nur sieben Sekunden dauert die Videosequenz, zufällig aufgenommen aus sicherer Entfernung und auf Youtube veröffentlicht. Doch die Auswirkungen des Brandes auf dem LNG-Terminal in Quintana, Texas, Anfang Juni sind verheerend, vor allem wirtschaftlich.

Denn Quintana, die zweitgrößte LNG-Produktionsstätte des Landes, fällt mindestens bis Oktober aus. Exklusive Satellitenaufnahmen von LiveEO zeigen jetzt, wie wichtig der Ort für die Energieversorgung Europas in Zeiten der Abkehr von russischem Gas ist – und warum so ein Unfall den Betrieb so lange lahmlegt.

Europa bezieht etwa 45 Prozent seiner LNG-Einfuhren aus den Vereinigten Staaten. Zwischen 15 und 20 Prozent aller US-Exporte des aktuell so begehrten Flüssigerdgases gehen in Quintana, eine Autostunde südlich von Houston, aufs Schiff und dann in alle Welt. Das sind rund 15 Millionen Tonnen LNG im Jahr. Die Preise schossen unmittelbar nach Bekanntwerden des Brandes in die Höhe. Die Aktienwerte der Energiekonzerne, die wie BP in Quintana produzieren, reagierten mit Kursverlusten.




Quintana, eine der Stadt Freeport vorgelagerte Halbinsel direkt am Golf von Mexiko, ist nur ein kleiner Teil einer riesigen Industrieanlage. Auf dem aktuellen Satellitenfoto von Ende Juni sind die Ausmaße, die vielen charakteristischen Gas- und Öltanks und einige Transportschiffe deutlich zu erkennen.

Die Beschädigungen an der Rohrleitung sieht man zwar mit bloßem Auge nicht. Aber seit dem Feuer legen keine Schiffe mehr im Ostteil von Quintana an, stehen vermehrt Fahrzeuge in der Nähe der Unfallstelle, vermutlich zu Inspektions- und Reparaturzwecken.

Die Reparaturen und Sicherheitschecks dürften sich hinziehen. Den Plan, die Anlage im September langsam wieder hochzufahren, musste die Eigentümergesellschaft Freeport LNG bereits verwerfen. Vor wenigen Tagen teilten die Aufsichtsbehörde mit, sie habe Sicherheitsmängel festgestellt, und verpflichtete das Unternehmen, die potenziellen Risiken für die Anwohner genau zu benennen und auszuräumen. Eine unabhängige Firma müsse die Schäden aufnehmen und einen Plan für die Wiederaufnahme des Betriebs ausarbeiten.

Laut Freeport LNG war das Feuer ausgebrochen, weil Gas aus Rohren zwischen zwei Lagertanks entwichen sei, das sich entzündet habe. Diese Rohre führen zu den Dockanlagen im Osten. Vermutlich sei der Unfall auf einen Bruch infolge eines Überdrucks zurückzuführen, so das Unternehmen.




Verglichen mit der Deepwater-Horizon-Katastrophe im Jahr 2010 ist der Vorfall in Quintana glimpflich ausgegangen. Bei der Explosion der Bohrplattform ein paar hundert Kilometer von Quintana entfernt starben damals elf Menschen. Die Umweltschäden durch das ausgelaufene Öl sind beispiellos. Der BP-Konzern, der die Plattform geleast hatte, musste viele Milliarden Dollar Strafe zahlen.

„Wir haben es mit Industrieanlagen zu tun, die hoch entzündbar sind“, sagt Alex Munton vom Beratungsunternehmen Rapidan Energy in Houston. „So ist das nun mal bei Öl und Gas.“ An LNG-Terminals seien bislang aber keinerlei vergleichbare Unglücke passiert. Brände gebe es trotzdem immer wieder mal.

Freeport LNG geht von einem mechanischen oder technischen Fehler der Kontrollsysteme aus. Doch es gibt noch eine andere Theorie, mit der sich offenbar auch die nationale Ermittlungsbehörde FBI beschäftigt hat. Das Magazin „Washington Examiner“ berichtete, russische Hacker könnten die Anlage sabotiert haben. Branchenkenner Munton sagt dazu: Nach seinen Informationen habe das FBI die Explosion tatsächlich untersucht. „Aber es gibt keine offizielle Erklärung, dass die Explosion durch eine Cyberattacke verursacht wurde.“ Freeport LNG wies den Medienbericht zurück.

Ein realistisches Szenario sind solche Angriffe, die Tausende Kilometer entfernt von einem Computer aus gesteuert werden, aber durchaus, sagt Munton. Vor gut einem Jahr legten Hacker etwa eine Ölpipeline in Texas lahm. Und eine solche Attacke sei auch im Fall Freeport LNG denkbar, so Munton. „Wir wissen es nicht.“ Aber erstaunlicherweise habe sich der Brand zu einem Zeitpunkt ereignet, als Russland gerade Gaslieferungen nach Europa gedrosselt habe. Für Russland sind die Lieferungen aus dem Golf von Mexiko als Alternative zu den Pipelines aus dem Osten nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine eine wirtschaftliche Bedrohung.

Durch den Ausfall sind gerade die europäischen Staaten, die sich unabhängiger von Russland machen wollen, noch mehr unter Zugzwang, Alternativen zu finden. Alternativen wie Norwegen. Dort, in Hammerfest, ist gerade erst ein Terminal wieder angeschlossen worden, das nach einem Feuer mehr als eineinhalb Jahre geschlossen war.




Der Grund für die extrem lange Auszeit: Das Feuer im September 2020 war in einer der Turbinen ausgebrochen. Und die lässt sich bei weitem nicht so schnell ersetzen wie eine Rohrleitung. Sie müsse speziell angefertigt werden, sagt Munton. „Und das dauert einfach.“

Die Wiederinbetriebnahme in Hammerfest könnte sich auch auf die deutsche Energieversorgung auswirken. Darauf verwies der norwegische Energieminister Terje Aasland im Interview mit der WirtschaftsWoche. In den ersten vier Monaten dieses Jahres hat Norwegen bereits fast doppelt so viel Erdgas nach Deutschland exportiert wie 2021. Hammerfest LNG könne die Liefermengen noch einmal entscheidend erhöhen. Das staatseigene Unternehmen Gassco untersuche, wie es die Gasexporte aus der Barentssee erhöhen könne, sagte Aasland. „Die Alternativen sind eine erhöhte LNG-Produktion in Hammerfest, eine neue Pipeline oder die Investition in eine Ammoniakproduktion als Möglichkeit, Erdgas aus der Barentssee in den Weltmarkt zu exportieren.“ Noch sei es für eine Entscheidung aber zu früh.

Für LNG-Importe nach Deutschland ist eine andere Frage allerdings viel entscheidender: nämlich wie und wo sie überhaupt angenommen werden können. Damit das funktioniert, müssen zunächst die geplanten LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und womöglich Lubmin entstehen. „Wenn Deutschland seine LNG-Terminals fertig hat, kann darüber aus unserer Anlage bei Hammerfest zusätzliches verflüssigtes Erdgas nach Deutschland gelangen“, sagte Anders Opedal, Vorstandsvorsitzender des Staatskonzerns Equinor, dem „Handelsblatt“.

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Die ausbleibenden Exporte aus einem LNG-Hotspot wie Quintana kann Hammerfest allerdings bei weitem nicht ersetzen. Die Kapazität des Terminals in Texas ist fast viermal höher als in Hammerfest. Wie heftig die beanstandeten Sicherheitsmängel nun sind, ist unklar. Die Materialprobleme an sich seien „lange nicht so kritisch wie in Norwegen, weil die Teile nicht so schwierig zu ersetzen sind“, sagt Munton. Mit einem Besuch im Baumarkt sei es aber auch nicht getan.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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