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Wirtschaft von oben #280 – Drittstaaten-LösungAustralien bringt Asylbewerber in Offshore-Lager – ein Vorbild für Deutschland?

Australien gilt für viele Politiker als Muster im harten Umgang mit Einwanderern. Satellitenbilder zeigen, wie die exterritorialen Bearbeitungszentren des Landes funktionieren – und wo es Probleme gibt. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.Thomas Stölzel 26.09.2024 - 11:21 Uhr

In diesem winzigen Südseeinselstaat lässt Australien seine Asylbewerber wegsperren. Gleich drei Haftzentren gibt es auf der Insel.

Foto: LiveEO/Sentinel-2

Schon im Juni gaben die Bundesländer der Bundesregierung einen klaren Auftrag: Sie solle prüfen, ob Flüchtlinge ihr Asylverfahren künftig außerhalb der EU durchlaufen können, bevor sie einreisen dürfen. Auch die CDU fordert eine solche Drittstaatenlösung. Dabei verweisen die Politiker gerne auf Australien. Dort wird das seit Jahrzehnten praktiziert. Doch der Erfolg der australischen Offshore-Asylbewerberzentren ist umstritten.

Aktuelle Satellitenbilder von LiveEO zeigen, wieso Australiens Flüchtlingspolitik nicht jene goldene Lösung darstellt, die sich manch einer erhofft. Der Unterhalt außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets ist ausgesprochen aufwendig, verschlingt Milliarden und sorgt im Gastland für politischen Sprengstoff. Die Bedingungen, unter denen Australien Flüchtlinge in den Offshore-Zentren zum Teil jahrelang wegsperrt, gelten zudem als menschenunwürdig. Erfahrungen, die europäische Politiker berücksichtigen müssen, wollen sie solche Zentren tatsächlich einrichten. In Frage kommen würde beispielsweise Afrika. Doch der Umfang müsste sehr viel größer sein als in Australien.

Die liberale australische Regierung unter John Howard hatte schon im Jahr 2001 Lager auf der zu Papua Neuguinea gehörenden Insel Manus sowie im Südseeinselstaat Nauru aufbauen lassen. Das sollte vor allem Bootsflüchtlinge abschrecken, die damals massenhaft nach Australien drängten. 2008 ließ die damals neu gewählte sozialdemokratische Regierung die Zentren schließen. Eröffnete sie aber vier Jahre später erneut, weil die Zahl der Bootsflüchtlinge wieder stark zugenommen hatte.

So kommen die Flüchtlinge nach Australien

Die Wirkung des Vorgehens zeigen auch Statistiken des australischen Parlaments. In den Jahren, in denen die Offshore-Zentren aktiv waren, suchten Australien deutlich weniger Asylsuchende per Boot auf. Das dürfte auch die Zahl jener, die beim Versuch der Überfahrt ertrunken sind, reduziert haben. Nichtregierungsorganisationen vermuten allerdings, dass dadurch mehr Menschen versucht haben, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Die Route gilt als ähnlich gefährlich.

Die Boote der Schlepper steuern Australiens Festland meist von Indonesien aus an, das nicht einmal 500 Kilometer entfernt liegt. Andere versuchen, über zu Australien gehörende Eilande wie die Weihnachtsinsel ein Asylrecht zu erlangen. Die Null-Toleranz-Politik der australischen Regierung ist dabei rigoros. Bootsflüchtlinge, die oft aus Krisenstaaten in Nahost oder Afrika kommen, werden noch auf See abgefangen und zurückgewiesen. Wer es doch schafft, wird ins Flugzeug gesetzt und in ein Tausende Kilometer von Australien entferntes Offshore-Zentrum verfrachtet.

Eine dauerhaft abschreckende Wirkung scheinen die Lager dennoch nicht zu entfalten. In Nauru wächst aktuell aufgrund einer neuen Welle Bootsflüchtlinge die Zahl der Insassen wieder stark an. Und das, obwohl die Lager auf der Insel im Sommer 2023 komplett leergelaufen waren. Die zweite Anlage in Manus musste Australien inzwischen dicht machen und abreißen, zeigen Satellitenbilder. Die Internierung von Flüchtlingen verstieß gegen Gesetze des Gastgeberlandes Papua Neuguinea.

Das Lager in Nauru

Nauru ist ein 21 Quadratkilometer kleiner Inselstaat 3000 Kilometer von der Küste Australiens entfernt, mitten im Stillen Ozean. Er hat noch nicht einmal eine eigene Hauptstadt. Die australischen Offshore-Einwanderungshaftanstalten dürfte die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle der Koralleninsel sein. Die Gesamtausgaben übertreffen das Bruttoinlandsprodukt des kleinen Landes deutlich. Drei solche Lager lässt Australien den Aufnahmen zufolge auf der Insel betreiben. Das wichtigste Lager wurde 2013 zum letzten Mal grundlegend modernisiert, zeigen Satellitenbilder. Statt olivgrüner Zelte stehen hier nun zweistöckige Wohnbaracken, die separat umzäunt sind. Das Gelände ist mit einem weiteren einfachen Zaun von der Außenwelt abgeriegelt.

Bilder: LiveEO/Up42/Airbus, LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/Google Earth/Maxar

Im Juni vergangenen Jahres hatten die letzten Flüchtlinge die Anlage in Nauru verlassen. Das Lager wurde anschließend weitgehend heruntergefahren. Im September aber musste es laut dem „Guardian Australia“ reaktiviert werden, weil elf Bootsflüchtlinge auf die Insel transferiert wurden – die ersten Neuankömmlinge seit neun Jahren. Inzwischen soll die Zahl der Insassen wieder auf deutlich über 100 gestiegen sein.

Drei hochauflösende Satellitenbilder stützen die Berichte. Im August ist jede Menge Aktivität in der Haupthaftanlage zu sehen. Mehr als ein Dutzend Autos wurden demnach auf dem Gelände bewegt – vermutlich Fahrzeuge von Mitarbeitern. Am 10. August ist zudem ein Lastwagen an einer der Unterkünfte zu erkennen. Dabei könnte es sich um ein Fahrzeug handeln, das Müll oder Exkremente abtransportiert. Schatten von Menschen sind keine erkennbar, wohl auch wegen der brütenden Hitze auf der am Äquator gelegenen Insel.

In den Einrichtungen auf Nauru gibt es einer am Bau beteiligten Firma zufolge eine Großküche, ein Hospital und Büros. Aber auch Schulen für die Kinder, die hier mit ihren Eltern interniert werden. Satellitenbilder zeigen auf Nauru mindestens zwei weitere australische Lager. Sie können Asylbewerber aufnehmen, sollte die Haupteinrichtung voll sein. Aktuell wird die Anlage vom privaten US-Gefängnisbetreiber Management and Training Corporation (MTC) geführt.

Nauru Regionales Bearbeitungszentrum, Nauru, Südsee

21.04.2023: In Nebenlager 1 und Nebenlager 2 können Asylbewerber festgehalten werden, sollte das Hauptlager voll belegt sein.

Bild: LiveEO/GoogleEarth/Airbus

Der finanzielle Aufwand, solche Anlagen zu betreiben, ist gewaltig. Allein die überschaubar großen Anlagen in Nauru kosten den australischen Steuerzahler Parlamentsangaben zufolge umgerechnet fast 200 Millionen Euro – pro Jahr.

Das könnte eine Warnung für andere Nationen sein: Die Flüchtlingszahlen nach Europa sind jedes Jahr um ein vielfaches höher. Entsprechend größer müssten europäische Zentren in Drittstaaten ausfallen. 

Zudem bringen die Lager Australien sehr viel Kritik ein. Unter anderem von den Vereinten Nationen und unzähligen Menschenrechtsorganisationen. Immer wieder gab es Berichte über Selbstmorde und psychische Traumata, selbst Jahre nachdem Asylbewerber entlassen wurden.

Die Farce von Manus

Wie politisch vermint solche Drittstaatenlösungen sein können, zeigt sich auch an einer australischen Anlage in Manus, einst ein deutsches Kolonialgebiet. Sie befand sich auf dem Areal eines von Australien mitgenutztem Marinestützpunkts. 2016 erklärte das oberste Gericht Papua Neuguineas die Inhaftierung von Flüchtlingen in dem Lager für illegal. Die Richter ordneten an, es zu schließen. Und die australische Regierung musste 70 Millionen Dollar Entschädigung an die 1905 Flüchtlinge zahlen, die in Manus zum Teil über Jahre festgehalten wurden.

Bilder: LiveEO/Up42/Airbus, LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/Google Earth/Maxar

Die Regierung in Canberra weigerte sich trotz des Drucks aus Papua Neuguinea, jene Flüchtlinge einreisen zu lassen. Stattdessen bemühte sie sich, die Geflüchteten in andere Staaten umzusiedeln. Die USA erklärten sich bereit, einen Teil aufzunehmen. Viele, die nicht zu den Glücklichen gehörten, weigerten sich danach, das Lager in Manus zu verlassen. Sie mussten von der Polizei in andere Unterkünfte gebracht werden.

Satellitenbilder zeigen, dass das umstrittene Offshore-Zentrum 2018 abgerissen wurde. Und die Marinebasis wird gerade von Grund auf umgebaut – unter anderem für US-Streitkräfte, die hier stationiert werden sollen. Wo das Lager einst stand, lassen sich heute Verdunstungsbecken erkennen.

Dennoch dauerte es bis 2022, bis die letzten Flüchtlinge die Insel verlassen haben. 2017 musste Australien gar eilig eine alternative Unterkunft für die Asylbewerber auf der Insel hochziehen lassen, zeigen Satellitenbilder. Offenbar durch das private Sicherheitsunternehmen Paladin Solutions. Dieses aus Frachtcontainern bestehende Camp namens West Lorengau Haus soll eine Kapazität von 300 Betten gehabt haben.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth/Airbus

Auf den Satellitenbildern erscheint es nicht viel komfortabler als das ursprüngliche Lager. Auch wenn sich die Bewohner dort vermutlich nach dem Urteil des obersten Gerichts etwas freier bewegen konnten. Trotzdem gab es laut Amnesty International an den Einrichtungen „eine starke Präsenz - sowohl von Polizei als auch von privaten Sicherheitsfirmen“.

Noch schlimmer scheinen die Zustände im Internierungslager für Asylbewerber zu sein, das Australien auf der zum eigenen Territorium gehörenden Weihnachtsinsel errichtet hat. Die um 2008 rund 1500 Kilometer nordwestlich vom australischen Festland fertiggestellte Anlage sieht aus dem All betrachtet aus wie ein Hochsicherheitsgefängnis für Schwerverbrecher. Zwei Reihen Zaun – samt Stacheldraht – sind um den Komplex gezogen. Zugang ist nur über ein stark gesichertes Tor möglich. Lediglich Wachtürme sind keine zu erkennen.

Immerhin verfügt die 600 mal 300 Meter große Asylbewerberhaftanstalt über ein Fußballfeld und überdachte Wege, die vor der Sonne schützen. Umgeben ist das Gelände von dichtem Regenwald. Dabei wirkt der Name so harmlos: „Empfangs- und Bearbeitungszentrum für Einwanderer auf der Weihnachtsinsel“.

Empfangs- und Bearbeitungszentrum für Einwanderer, Weihnachtsinsel, Australien 24.07.2024: Diese Asylbewerberhaftanlage erinnert mit seinen doppelten Zäunen an ein Hochsicherheitsgefängnis. Wer als Flüchtling hier mit dem Boot ankommt, wird heute offenbar weiter nach Nauru verfrachtet. Bild: LiveEO/Up42/Airbus Foto: WirtschaftsWoche

Im Mai griffen australische Sicherheitsbehörden 33 Menschen aus Bangladesch auf, die die Insel per Boot erreicht hatten. Sie wurden mutmaßlich in dieser Haftanstalt untergebracht, bevor sie später ins Offshore-Zentrum nach Nauru geflogen wurden. Obwohl die Anlage seit Mitte des vergangenen Jahres leer stand, hatte die Regierung entschieden, sie geöffnet zu lassen. Und das, obwohl die jährlichen Kosten sich australischen Medienberichten zufolge in einem ähnlichen Bereich wie die der Anlage in Nauru bewegen. Dem australischen Grenzschutz zufolge sei das billiger, als sie komplett zu schließen und bei Bedarf wieder zu eröffnen.

Entscheiden sich Deutschland und Europa tatsächlich für den Weg, eigene Offshore-Einwanderungszentren zu eröffnen, dürften sich die Herausforderungen im Vergleich zu Australien potenzieren. Es müssten sehr viel mehr und sehr viel größere Zentren her – in mehr Ländern. Schließlich wurden im vergangenen Jahr in Australien laut UN-Flüchtlingswerk gerade mal 32.500 Asylanträge gestellt. In der EU waren es 1,05 Millionen. Kosten und Konfliktpotenzial mit Gastgeberländern der Zentren wären entsprechend größer.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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