Wirtschaft von oben #306 – Russlands Mittelmeer-Flotte: Satellitenbilder zeigen, wohin es die russische Flotte nach dem Sturz Assads zieht
Die Sparta II ist mit acht, neun Knoten Geschwindigkeit auf Kurs Kaliningrad. Das 122 Meter lange Frachtschiff hat gerade den Ärmelkanal passiert, mutmaßlich an Bord: Militärfahrzeuge und Ausrüstung, die das russische Militär aus Syrien abgezogen hat.
Am 27. Januar verließ das Schiff laut dem Trackingdienst Marine Traffic den Hafen von Tartus an der syrischen Mittelmeerküste. Seit dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad ziehen sich die Russen nach und nach aus dem Land zurück, das sie während des Kriegs jahrelang unterstützt hatten. Das belegen exklusive Satellitenbilder von LiveEO und die aktuellen Schiffsdaten.
Wladimir Putins einstiger Verbündeter und Stabilitätsanker in der Region ist weg – geflohen nach Russland. Jetzt muss der russische Herrscher Wege finden, seine Präsenz am Mittelmeer nicht zu verlieren.
Die Sparta II steht eher für das Gegenteil: Rückzug. Und sie ist nicht alleine unterwegs. Direkt vor ihr fährt die Sparta, hinter ihr der Öltanker General Skobelev. Berichten zufolge eskortiert das Kriegsschiff Alexandr Otrakovsky den Konvoi.
Das automatische Trackingsystem AIS hat die russische Marine meistens ausgeschaltet. So ist auch die Alexandr Otrakovsky nicht über Marine Traffic auffindbar.
Bilder: LiveEO/Airbus/Pleiades, Reuters/Maxar, LiveEO/Airbus/Pleiades-Neo
Die Satellitenfotos zeigen, wie viel Bewegung in den vergangenen zwei Monaten auf dem Hafengelände von Tartus war. Ende November, rund zwei Wochen vor der Machtübernahme, liegen im nördlichen Teil des Hafens drei Kriegsschiffe und ein U-Boot. Das Gelände drumherum ist quasi verwaist. Nichts deutet auf eine Verlegung von Material oder Truppen hin. Am 8. Dezember 2024 flieht Assad mit seiner Familie nach Moskau.
Bilder: Reuters/Maxar, LiveEO/Airbus/Pleiades-Neo
Russland reagiert, das Marinearsenal verschwindet. Berichten zufolge zogen sich die Schiffe teilweise mehrere Kilometer vor die Küste zurück, um sich dem Zugriff der neuen Machthaber und möglichen Angriffen zu entziehen, teilweise verlor sich die Spur. Der Abtransport beschränkt sich nicht nur auf Tartus, Russlands einziger militärischer Stützpunkt am Mittelmeer. Vom Luftwaffenstützpunkt Hmeimim fliegen die Russen Militärgüter aus, vor allem nach Libyen.
Bilder: LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/Airbus/Pleiades, LiveEO/Airbus/Pleiades-Neo
Die Satellitenbilder zeigen regen Verkehr zwischen den zwei Luftwaffenstützpunkten in Syrien und Libyen. Das ebenfalls instabile Land gilt als wichtigste Ausweichstation für Russlands Präsidenten. In Libyen kann er auf bestehender Infrastruktur aufbauen. Denn von dort organisieren und starten die Russen seit Jahren viele Operationen in Afrika.
Die Hafenstädte Bengasi und Tobruk im Nordosten des Landes sowie Al Kadim könnten ein „sicherer Hafen für eine heimatlose russische Mittelmeer-Flotte sein“, sagte der britische Marineexperte Sidharth Kaushal vor wenigen Tagen der Zeitung „The Telegraph“.
Bilder: LiveEO/Sentinel-2, LiveEO/Airbus/Pleiades
Gleichzeitig versucht Russland, freundliche Beziehungen mit den neuen Machthabern aufzubauen. In Syrien soll Anfang März eine neue Regierung eingesetzt werden. Derzeit regiert Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa. Der ist mindestens Russland-skeptisch.
An dem Krieg Assads im eigenen Land war Russland maßgeblich beteiligt, mit Waffenlieferungen und eigenen Soldaten, die Rebellengebiete bombardierten. Die neuen Machthaber forderten Ende Januar am Rande einer Delegationsreise russischer Vertreter nach Damaskus Reparationen vom Kreml. Der kann diese Forderungen und die neuen Verhältnisse in Syrien nicht einfach ignorieren. Zu wichtig sind ihm Tartus und Hmeimim. Der Hafen ist der einzige Marinestützpunkt des russischen Militärs am Mittelmeer.
Der Sparta-Konvoi passiert an diesem Wochenende die zu den Niederlanden gehörenden Westfriesischen Inseln, unweit der deutschen Küste. Theoretisch könnte er danach mitten durch Norddeutschland fahren. Denn der Nord-Ostsee-Kanal, der die beiden Meere verbindet, ist gegenüber dem Weg nördlich um Dänemark herum eine deutliche Abkürzung. Für Russland auch eine Kostenfrage: Für die längere, nördlichere Route durchs Skagerrak ist mehr Treibstoff notwendig. Doch auch für den Kanal, die am meisten befahrene künstliche Seeschifffahrtsstraße der Welt, fallen Kosten an. Für ein 122 Meter langes Schiff wie die Sparta II würden laut Listenpreis 4312 Euro fällig. Das wären für den gesamten Konvoi wohl mindestens 20.000 Euro.
Die Schiffe bräuchten in jedem Fall eine Genehmigung. Ein Sprecher des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Nord-Ostsee-Kanal in Kiel teilte am Freitag mit, es liege keine Anfrage für eine Passage vor. Für gewöhnlich werde diese mit ein paar Tagen Vorlauf eingereicht. Er halte es für sehr unwahrscheinlich, dass der Konvoi den Kanal ansteuere, zumal das Wetter für den Weg über Skandinavien günstig sei.
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Grundsätzlich ist die Präsenz der russischen Marine in dieser Gegend nichts Ungewöhnliches. Angesichts der Frage, was mit dem in Syrien stationierten Personal und Kriegsmaterial passiert, liegt jedoch ein großes Augenmerk auf dem Konvoi. Im Krieg, den Putin gegen die Ukraine führt, kann die russische Armee Equipment, Fahrzeuge und Waffen aus Syrien gut gebrauchen. Putins Kriegswirtschaft stieß in den vergangenen Monaten an Grenzen. Die Betriebe konnten die Rüstungsproduktion nicht ausweiten, weil das an die Front geschickte Personal fehlte.
Die Fracht des Konvois in der Nordsee könnte sehr bald an der Front gegen die Ukraine eintreffen.
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