Wirtschaft von oben #96 – Bolivien Flammen für Filets

Die Sojafelder bilden ein kristallines Muster. Vor einigen Jahrzehnten war die Landschaft noch von wildem Regenwald geprägt. Quelle: LiveEO/USGS

Schon seit Jahrzehnten wird der Regenwald des Amazonas in Bolivien für die Landwirtschaft zurückgedrängt, zeigen exklusive Satellitenbilder. Zuletzt häufig mittels Brandrodungen. Die außer Kontrolle geratenen Brände dienen der Viehwirtschaft und den Sojaproduzenten, der chinesischen Mittelschicht und dem Drogenhandel. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Schwere Waldbrände im Amazonas-Regenwald machen im Sommer 2019 weltweit Schlagzeilen. Ein Jahr später ist die Lage in Südamerika sogar noch dramatischer, rückt aber durch die Coronapandemie in den Hintergrund. Im Fokus der Öffentlichkeit stehen vor allem die Regenwälder in Brasilien. Doch die Feuersbrunst hinterlässt auch in Bolivien eine Schneise der Zerstörung.

In den vergangenen beiden Jahren wurden hunderte von großflächigen Bränden entfacht, um aus dem Urwald nutzbare Flächen für die Landwirtschaft zu machen. Eine gewaltige Feuerwalze fräst sich in Ostbolivien durchs Land und entsetzt die dortige Bevölkerung. Dass schon seit Jahrzehnten der Regenwald des Amazonas für die Landwirtschaft zurückgedrängt wird, zeigen exklusive LiveEO-Satellitenbilder von der Umgebung um die bolivische Stadt Santa Cruz de la Sierra.


Riesige Flächenbrände sind in südamerikanischen Ländern leider keine Ausnahme. Während der Trockenzeit kommen sie dort immer wieder vor. Doch die Häufung der Brände und die flächenmäßige Ausbreitung ist schockierend und hat auch menschengemachte Ursachen. Umweltschützern und Beobachtern zufolge sind Landwirte für den jüngsten Anstieg der Brände verantwortlich. Sie wollen mit Brandrodungen Land für ihre Weiden gewinnen, unter anderem für Rinderherden.

So berichteten Augenzeugen in sozialen Medien etwa von der Festnahme von Männern in Chiquitania, einer Savannenregion in der Region Santa Cruz im östlichen Bolivien. Die Männer hatten mit Benzin und alten Autoreifen versucht, weitere Flächen zu roden. Offenbar hatten sie dabei die Kontrolle über das Feuer verloren – kein Einzelfall.

Wie viel System und Absicht hinter den Brandrodungen steckt, ist schwierig zu sagen. Brandrodungen in der Region sind zu bestimmten Jahreszeiten durchaus Alltag. Allerdings wurden sie durch den ehemaligen Präsident Boliviens, Evo Morales, zusätzlich legitimiert. Evo Morales, erster indigener Präsident Lateinamerikas, war einst als Hoffnungsträger eines ganzen Kontinents gestartet. Ein Koka-Bauer aus Isallavi, einer kleinen Kommune im Südwesten des Landes, an der Spitze der Macht.

Später wurde der frühere Gewerkschaftsführer mit dem rechtsextremen Präsidenten seines Nachbarlandes Brasiliens verglichen und wurde sogar von den indigenen Organisationen des Amazonas-Beckens des Umwelt-Genozids angeklagt. Wie schwach seine Verbindung zu Mutter Erde geworden war, zeigte sich, als er sich zuerst in einen Overall zwängte und ausgerüstet mit einem Wassertank medienwirksam mithalf, die Brände in Chiquitania zu löschen. Doch dass er keine 24 Stunden später mit dem chinesischen Botschafter in Santa Cruz vor die Kameras trat und den Export der ersten 24 Tonnen Rindfleisch nach Ostasien zelebrierte, belegte die Abhängigkeit von der Agrarindustrie, einem der einflussreichsten Sektoren der bolivianischen Wirtschaft.

Mit seinem Dekret 3973 legitimierte der ehemalige bolivianische Staatspräsident Mitte 2019 die kontrollierten Brandrodungen, um in Regionen wie Santa Cruz neue Landwirtschaftsflächen zu erschließen. Mit Stolz autorisierte er die „quema controlada“ – die kontrollierte Brandrodung. „Wir haben die Aufgabe und die Mission, dass Bolivien wirtschaftlich wächst“, sagte Evo Morales und forderte die Viehzüchter auf, moderne Kühlanlagen zu bauen, um bolivianisches Fleisch in die Welt exportieren zu können, konkret: nach China.

Morales war im November 2019 nach wochenlangen Protesten und einer 14-jährigen Amtszeit zurückgetreten. Bei der Präsidentschaftswahl im Oktober soll es zu schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten gekommen sein, die Opposition und die Organisation Amerikanischer Staaten sprachen sogar von Wahlbetrug. Nach Morales' überstürzter Ausreise nach Mexiko übernahm die oppositionelle Vizepräsidentin des Senats, Jeanine Áñez, das Präsidentenamt. Unabhängige internationale Experten widerlegten mittlerweile, dass es zum Wahlbetrug gekommen sei. Auch das Oberste Wahlgericht von Bolivien konnte nicht nachweisen, dass es sich bei den Wahlen vom Oktober 2019 um Betrug gehandelt hatte. Daher wurde das Verfahren eingestellt, Morales kehrte nach Bolivien zurück und ist Chef der aktuellen Regierungspartei MAS unter Staatspräsident Luis Arce.

Bestärkt fühlen sich die bolivianischen Viehzüchter durch die hohe Nachfrage aus der Volksrepublik mit seiner schnell wachsenden Mittelschicht. Ein Abkommen für den Soja-Export wurde Ende 2018 abgeschlossen, eines für Fleisch im April des drauffolgenden Jahres. Als wichtigster Geldgeber des Andenstaates hat sich China inzwischen mit verschiedenen Infrastruktur- und Rohstoff-Projekten – allen voran Erdöl und Gas – im bolivianischen Tiefland eingerichtet.


Bolivien ist das arme Nachbarland Brasiliens und Argentiniens, das von den beiden Giganten jedoch sehr stark beeinflusst wird. Und alle diese Länder haben ein gemeinsames Anbauprodukt: genmodifiziertes Soja. Seit den Neunzigerjahren breitet sich der Anbau über bolivianisches Staatsgebiet aus – und das meist auf Kosten des Regenwaldes, der Teil des Amazonasgebietes ist. Im Gegensatz zu den Nachbarländern ist Bolivien jedoch ein Andenstaat, der vor allem vom Bergbau lebte. Mit dem Rückgang der internationalen Rohstoffpreise gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts wurde die exportorientierte, großflächige Landwirtschaft angetrieben und hier allen voran der Sojaexport. Bolivien entwickelte sich von einem Mineralienexportland zu einem Agrarexportland.

Laut Angaben der Welthungerhilfe wird aktuell auf 70 Prozent der Agrarfläche Boliviens Soja angebaut. Diese Vormachtstellung entwickelte sich Ende der Achtziger bis Anfang der Neunzigerjahre, mit dem Schwerpunkt in der Region Santa Cruz. Wurde 1990 dort noch auf 200.000 Hektar Soja angebaut, so erhöhte sich diese Fläche bis zum Jahr 2017 auf 1,263 Millionen Hektar. Seit dem Jahr 2000 ist genmodifiziertes Soja Hauptanbauprodukt.


Die abgeholzten Flächen werden zum großen Teil dem Sojaanbau gewidmet, aber auch der extensiven Viehhaltung. Bolivien werde 2020 für 150 Millionen Dollar Fleisch exportieren, hatte der Präsident des Bolivianischen Instituts für Außenhandel dem Online-Portal dialogochino.net gesagt. Ziel sei es, die Zahl der Rinder innerhalb von zehn Jahren von zehn auf 17 Millionen Tiere zu erhöhen. Gemäß den bolivianischen Viehzüchtern und ihrer Planung von 2020 bis 2030, die Anfang 2019 präsentiert wurde, müsste dazu die Fläche für Viehzucht von derzeit 13 Millionen Hektar auf 20 Millionen Hektar ausgeweitet werden. Dazu sind Brandrodungen der schnellste und günstigste Weg. Die Landwirtschaftsindustrie hat seit der Jahrtausendwende kräftig Gebrauch davon gemacht. Allein zwischen 2000 und 2013 sind im ganzen Land 32 Millionen Hektar verbrannt worden, hauptsächlich für Viehzucht und Landwirtschaft; ein Drittel davon waren Waldbrände.

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Offenbar sollen sich Rinder-Züchter aus den USA für die freigewordenen Flächen interessieren. Ebenfalls Interesse haben die Koka-Bauern, die die Nähe zu Brasilien und Paraguay schätzen. Daniela Leyton Michovich, eine politische Analystin und Aktivistin aus Boliviens Hauptstadt La Paz ist sich sicher, dass all das mit dem Drogenhandel einhergehe. Leyton verweist auf eine Studie aus dem Jahr 2017, die zu dem Ergebnis kommt, dass nur ein kleiner Teil der bolivianischen Bevölkerung Koka in seiner traditionellen Form konsumiert, nämlich kauend. Für diesen Konsum würden jedoch schon 15.000 Hektar Anbaufläche reichen. Von der Regierung zugelassen sind allerdings 22.000 Hektar. Und das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) geht davon aus, dass landesweit knapp 25.000 Hektar Koka ausgesät werden. Stellt sich also die Frage, was mit der Differenz geschieht. „Die Antwort“, so Leyton, „können wir uns vorstellen.“

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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