Autoproduktion in Zwickau Wie VW ohne Produktionsstopp auf Elektroautos wechselt

VW-Produktion in Zwickau: Das Werk wird im laufenden Betrieb auf die Herstellung von Elektroautos der ID-Reihe umgerüstet- Quelle: imago images

Volkswagen krempelt die Produktion in Zwickau im laufenden Betrieb um: Hier sollen ab Mitte 2020 nur noch Elektroautos vom Band rollen. Welchen Aufwand VW für das „Umziehen im Kleiderschrank“ betreiben muss.

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Noch ein wenig unsicher greift Martin Lehmann mit seiner Hand nach dem Klimakompressor des ID-Antriebsstrangs. Nach und nach wird der 31-Jährige mutiger, hebt die Fahrzeugkomponente hoch, dreht sie nach links und rechts – beziehungsweise deren virtuelles Abbild. Mit einer VR-Brille auf der Nase steht der Volkswagen-Mitarbeiter in einem virtuellen Showroom, der zum umfassendsten Weiterbildungsprogramm gehört, das der Autobauer in seiner Firmengeschichte bisher auf den Weg gebracht hat.

Denn bevor das VW-Werk in Zwickau-Mosel von November 2019 an zur ersten E-Auto-Fabrik Deutschlands wird, müssen die rund 7700 Mitarbeiter an dem sächsischen Standort fit gemacht werden. Das sind rund 13.000 Trainingstage und mehr als 300 verschiedene Module, die je nach Aufgabenbereich wenige Stunden bis hin zu 24 Monaten für Experten umfassen können. In einem extra aufgebauten Containerdorf auf dem Werksgelände will das Unternehmen seine Beschäftigten für das Auto der Zukunft begeistern. „Wissen spielerisch vermitteln, gleichzeitig den Teamgeist fördern und Feuer entfachen für das Thema Elektromobilität“, sagt Projektleiterin Katja Neef.

Unterdessen läuft der Umbau auf Hochtouren. Vor allem im Presswerk, in Montage und Karosserie wird nahezu alles umgekrempelt: Ab Mitte 2020 sollen in Zwickau nur noch Elektrofahrzeuge gebaut werden. Den Umbau bei laufender Produktion beschreibt Reinhard de Vries als „Umziehen im Kleiderschrank“. „Alles beengt, muss aber laufen“, sagt der Geschäftsführer Technik und Logistik bei VW Sachsen. „Wir haben noch eine Menge zu tun auf dem Weg zur E-Fabrik.“

1500 neue Roboter wurden angeschafft, die Hälfte ist bereits im Einsatz. In der 85.000 Quadratmeter großen Halle 2 für Karosseriebau wurde die alte Produktionsanlage abgerissen, hier und da wird gehämmert, es fliegen Funken vom Schweißen. Ein Teil der Roboter mit den großen Greifarmen wartet noch auf den Einsatz – sie werden gerade neu programmiert für einen E-Geländewagen.

Zwickau ist die Keimzelle

Das erste vollelektrische Fahrzeug, der ID.3, läuft schon automatisch durch die Produktion, mehr als 200 Testfahrzeuge wurden bisher gebaut. Die ersten Serienfahrzeuge rollen Ende 2019 vom Band. „Es überschneidet sich alles, das ist die Herausforderung“, erklärt Karosseriebau-Leiter Heiko Rösch. Ist der Umbau im Zwickauer Werk im nächsten Jahr abgeschlossen, läuft vieles automatisch. Viele Teile, etwa das Cockpit, wurden bisher von Hand eingebaut – künftig übernimmt ein Roboter die Arbeit. An der 60 mal 100 Meter langen Anlage stehen künftig nur noch neun Mitarbeiter, bisher waren es 25 – in einer Schicht.

Volkswagen setzt für seine neuen Modelle auf eine Art Baukastensystem für Elektroautos – den sogenannte Modularen Elektrifizierungsbaukasten (MEB). Auf eine Plattform wird die Technik samt Batterie – und die jeweilige Karosserie gebaut. Sechs ID-Modelle und drei Konzernmarken sollen künftig aus Zwickau kommen, bisher wurden hier der Golf Variant und der Passat gefertigt. Die Produktion läuft zwar noch, wird aber Stück für Stück heruntergefahren.

„Zwickau ist die Keimzelle, hier fällt der Startschuss“, sagt de Vries – und meint damit den Weg in die E-Mobilität. Er gibt sich optimistisch: Vor gut drei Wochen hat VW die Vorbestellungen für seinen Hoffnungsträger ID.3 im Internet gestartet, mehr als 15.000 Bestellungen für die zunächst auf 30.000 Fahrzeuge beschränkte Premieren-Edition sind schon eingegangen. Bis 2022 soll es dann acht Standorte geben, an denen Volkswagen E-Autos nach dem Baukastenprinzip fertigt, unter anderem in Emden und Hannover, aber auch im US-amerikanischen Chattanooga sowie in China.

Rainer Pilz ist VW-ler durch und durch. Seit 1990 stand er am Band in Mosel, zu DDR-Zeiten arbeitete er noch bei Sachsenring. Jetzt bringt der 59-Jährige kurz vor der Rente seinen Kollegen die neue elektrische Realität bei. „Ich habe einfach nochmal eine Herausforderung gesucht und mich zum Trainer ausbilden lassen“, erzählt er schmunzelnd. Es mache Spaß, seinen Kollegen die neue Technik zu erklären. „Ich spreche ihre Sprache und kann sie gut abholen, auch wenn sie zunächst skeptisch sind.“

Ein erster Blick auf Volkswagens ID.3
ID.3: Für sein neues vollelektrisches E-Auto startet Volkswagen erstmals ein Pre-Booking Quelle: Volkswagen
Für den ID.3 verspricht VW Reichweiten von 330 bis zu 550 Kilometern (WLTP) und Startpreis in Deutschland unter 30.000 Euro Quelle: Volkswagen
Den ID.3 soll es in drei Leistungsstärken geben: 45kWh, 58kWh oder 77kWh. Quelle: Volkswagen
Die ID.-Modelle sollen über ihre gesamte Lebensdauer hinweg bilanziell CO2-neutral sein können. Den Grundstein legt VW, indem die Modelle CO2-neutral produziert werden. Quelle: Volkswagen
Volkswagen ID.3 Quelle: Volkswagen
Volkswagen ID.3 Quelle: Volkswagen
Nach der IAA im September soll die Bestellphase für den ID.3 beginnen und zum Jahresende die ersten ID.3s im VW-Werk in Zwickau vom Band laufen. Quelle: Volkswagen

Und diese Skepsis scheint durchaus berechtigt: Allein in der Montage wird sich der Automatisierungsgrad von zwölf auf knapp 30 Prozent mehr als verdoppeln. Das heißt: weniger Personal. Um diese Veränderungen aufzufangen – laut Personalchef Dirk Coeurs soll keiner seinen Job verlieren – will VW mehr Autos auf die Straße bringen. Statt bisher jährlich 300.000 Fahrzeugen sollen in Zwickau künftig 330.000 und damit jeden Tag 1500 Autos vom Band rollen.

Verkauft werden sollen sie nicht nur in Deutschland, sondern vor allem im Rest der Welt – allen voran in China, wo der VW-Konzern zuletzt 40 Prozent seiner Jahresproduktion von 10,8 Millionen Fahrzeugen abgesetzt hat. Insgesamt 44 Milliarden Euro investiert der Konzern in den kommenden fünf Jahren in E-Mobilität, autonomes Fahren und Digitalisierung.

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