BMW-Motorsport-Chef Marquardt „Im Motorsport verschieben sich die Gewichte“

Die Formel 1 kämpft gegen den Zuschauerschwund und elektrische Konkurrenz. Im Interview erklärt BMW-Motorsport-Chef Jens Marquardt wo die Unterschiede liegen – und warum BMW die Formel E der Formel 1 vorzieht.

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BMW-Motorsport-Chef Jens Marquardt Quelle: BMW

WirtschaftsWoche: Herr Marquardt, BMW ist seit der ersten Saison als Partner bei der Formel E dabei und steigt 2019 mit einem eigenen Team in die Elektro-Rennserie ein – finden Sie als Motorsportfan der alten Schule, der auch schon als Teamchef in der Formel 1 dabei war, ein Strom-Rennen nicht viel zu leise?
Jens Marquardt: Auf den ersten Blick mag das so sein – ich habe ja tatsächlich noch eine Zeit erlebt, da waren Rennwagen mit 8-Zylinder-Motoren unterwegs, die haben 20.000 Umdrehungen erreicht, die Geräuschkulisse war wirklich brachial. Aber zum einen ist diese Zeit auch bei der Formel 1 erst einmal vorbei.

Und zum anderen muss man eins verstehen: Die Formel E fängt ganz woanders an. Sie ist von Anfang an fast geräuschlos unterwegs. Und das ist auch gut so, denn sie wendet sich an eine andere Zielgruppe. Kunden, die sich für ein Elektroauto interessieren, sind eher selten diejenigen, die noch einen neuen Sportauspuff bestellen. Wichtig ist aus Herstellersicht, dass das gleiche Prinzip dahinter steckt.

Welches Prinzip meinen Sie?
Beides ist Motorsport auf höchstem Niveau: In beiden Fällen treten Teams gegeneinander an, bei beiden Serien sind es hochbegabte Rennfahrer, die in kürzester Zeit und unter Druck Entscheidungen treffen müssen. Und entsprechend kochen bei der Formel E genauso Emotionen hoch wie bei der Formel 1. Der einzige größere Unterschied ist: Das eine ist laut, das andere – zumindest was den Motor angeht – nicht. Eine Komponente fällt weg, sonst ist alles gleich.

Zur Person

Wenn beides aus Ihrer Sicht gleich ist – was bringt dann die Formel E für BMW?
Das Entscheidende aus unserer Sicht ist: Die Formel E zeigt den Verbrauchern anschaulich und direkt, dass E-Mobilität genauso emotional sein kann wie das konventionelle Fahren mit Verbrennungsmotor. Wir nutzen die Formel E als Technologielabor für den BMW i Next und künftige Modellgenerationen. Die Entwicklung seriennaher Technologien ist die Triebfeder für den BMW i Motorsport. Im Formel-E-Projekt verschwimmen bei uns die Grenzen zwischen Serien- und Rennsportentwicklung.

Dafür lockt allerdings die Formel E deutlich weniger Zuschauer an als die Formel 1 – im Vergleich ist das doch ein Nischensport?
Die Zuschauerzahlen hängen natürlich ganz stark ab von den Möglichkeiten an den jeweiligen Rennstrecken. Die Tribünen selber sind voll, aber eben auch längst nicht so groß wie bei der Formel 1. In New York etwa passten nicht mehr auf das Gelände als die 20.000 Menschen, die da waren. Aber das reicht auch, die Stimmung war toll. Und auch in Hongkong war es mit 20.000 Leuten richtig voll.

Man darf ja eines nicht übersehen: Die Formel E ging 2014 in ihre allererste Saison, das Thema ist noch sehr jung. Anfangs kamen vielleicht 3500 Leute. Jetzt haben wir mit 20.000 Zuschauern pro Rennen im Schnitt eine gewisse Stabilität erreicht. Damit können wir vor Ort schon zufrieden sein. Beim Thema Fernsehübertragungen ist das sicher anders, da ist die Formel E noch deutlich stärker ausbaufähig.

In Deutschland liefen die Rennen zuletzt beim Nischensender DMax…
Ja, da geht sicher noch mehr, aber auch da ist wichtig: Die Formel E ist vielleicht bei den traditionellen Medien noch nicht so stark. Aber im Internet und bei den sozialen Medien hat sie einen sehr guten Start, das gilt es weiter auszubauen. Der Automobilverband FIA weiß aber auch, dass er bei der TV-Vermarktung mehr tun und die Zuschauerzahlen steigern muss.

Aber noch mal: Die Formel E ist erst drei Jahre dabei und hat schon viel erreicht. Es kommen immer neue Ideen dazu, derzeit wird beispielsweise über Nachtrennen nachgedacht. Und dadurch, dass bald vier deutsche Hersteller in der Formel E am Start sind, wird sicher auch die Aufmerksamkeit noch einmal deutlich steigen – wir werden unseren Teil dazu beitragen.

„Top-Speed von 225 km/h reicht vollkommen aus“

Müssten die Rennwagen nicht schneller sein, um sich den Respekt der Motorsport-Gemeinde zu holen?
Nein, das bringt nichts, aus einem einfachen Grund: Man sieht es doch beim Rennen in Monaco, wie schwierig es ist, eine sichere Rennstrecke für Autos zu bauen, die 300 Stundenkilometer schnell fahren. Außerdem geht das in der Formel E am Thema vorbei. Der Top-Speed von 225 km/h reicht vollkommen aus. Und er stellt sicher, dass das Konzept aufgeht, in den Städten, in den Ballungsräumen, bei den Leuten zu sein, was soll ich da mit 300 km/h?

Bei der Formel E ist auch nicht allein die Geschwindigkeit das A und O, hier kommt es darauf an, wie taktisch der Fahrer mit seiner Energie umgeht. Dazu bietet sie uns die Möglichkeit, die Fans viel stärker einzubinden. Ein Angebot wie Fanboost, bei dem Zuschauer ihren drei Lieblingsfahrern mit einer Internet-Abstimmung für das Rennen Zusatz-PS verschaffen können, kommt sehr gut an. Gerade bei den jüngeren Fans, die es von ihren PC-Spielen längst gewöhnt sind, nicht nur zuzuschauen, sondern ein Stück selber aktiv zu werden.

So fährt sich ein Formel-E-Renner
Formel E Quelle: Citroën
Kein Wunder also, dass der Testtag – einer von nur 15 im ganzen Jahr – sehr wichtig für das Team von DS-Performance ist. Entwicklungs-Fahrer Alex Lynn treibt den Testträger Runde um Runde über den engen Kurs im Pariser Hinterland. Optisch ist das Auto nahe an einem Formel-1-Fahrzeug, trägt aber trotzdem einige Alleinstellungsmerkmale wie die großen 18-Zoll-Räder. Quelle: AP
Während der rund 40 Minuten langen Lade-Pause für den Akku ist Zeit für einen Technik-Talk mit DS-Performance-Projektleiter Xavier Mestelan Pinon. Er erklärt die Besonderheiten des Formel-E-Reglements. So sind in der Meisterschaft alle Fahrzeuge mit dem gleichen Chassis, den gleichen 28-kWh-Batterien und der gleichen Aerodynamik auf identischen Michelin-Allwetter-Reifen unterwegs. Letztere sind für mehr Effizienz mit einem Profil versehen, das dem eines normalen Straßenreifens nicht unähnlich ist. Die Mischung des Gummis ist allerdings voll auf den Rennsport-Einsatz ausgelegt. Quelle: AP
Lediglich der Antriebsstrang aus Elektromotor, Getriebe und Motorsteuerung, die Hinterrad-Aufhängung und das Kühlsystem stammen aus dem Entwicklungs-Center von DS-Performance in Versailles nahe Paris. Doch die Formel-E-Macher haben einen klaren Plan, der in verschiedenen Phasen schon für die nächsten Jahre vorliegt. Daraus geht hervor, dass immer mehr Komponenten von den Teams selbst entwickelt werden sollen. Quelle: AP
Ein Blick in die Zukunft: In 20 Jahren möchte Formel-E-Boss Agag die Formel 1 als wichtigste Rennserie der Welt überholt haben. Momentan liegt der Fokus allerdings noch auf den Antriebs-Technologien, da diese das Aushängeschild der Meisterschaft und wichtig für den Technologie-Transfer der Hersteller sind. DS soll im PSA-Konzern die Elektro-Marke werden – logisch also, dass das junge Team den Formel-E-Einsatz übernimmt und nicht die Motorsport-erfahreneren Mannschaften von Peugeot Sport oder Citroën Racing. Quelle: AP
Formel E Quelle: Citroën
Formel E Quelle: Citroën

Manche Beobachter sehen in der Formel E nach dem Einstieg von BMW, Audi, Porsche und Mercedes schon eine potenzielle Konkurrenz für die Formel 1?
Für Automobilhersteller geht es ganz klar in Richtung Elektromobilität, daran gibt es keinen Zweifel. Das hat natürlich Folgen für das Motorsportengagement, hier verschieben sich die Gewichte. Für die Formel 1, die klassische Königsklasse des Motorsports, kann das bedeuten, dass dort künftig wieder mehr Spezialisten unterwegs sind, wie Cosworth, Aston Martin, Alfa Romeo. Das könnte es auch den neuen Besitzern der Formel 1, also Liberty Media, einfacher machen, eine Formel zu finden, durch die die technische Spanne nicht mehr so groß ist und die Teams enger zusammenrücken. Dann gäbe es auch wieder spannendere Rennen und Titelkämpfe bis zum Schluss.

Immerhin ist der Kampf um den WM-Titel in diesem Jahr einigermaßen eng…
Ja, aber hinter den beiden führenden Teams Ferrari und Mercedes klafft bereits eine Lücke, und hinter Red Bull fahren Teams schon mehrere Sekunden hinterher, das sind im Rennsport Welten. Dabei betreiben auch die kleinen Rennställe heute einen Riesenaufwand. Doch selbst wenn sie es schaffen, vielleicht eine Zehntelsekunde schneller zu werden, fahren sie immer noch hinterher. Da ist etwa eine Veranstaltung wie das Deutsche Tourenwagen-Masters DTM inzwischen deutlich spannender.

Teams und Fahrer in der Formel-E-Saison 2017/2018

Dennoch geht Mercedes von Bord und hat als einer von drei Herstellern angekündigt, die DTM im kommenden Jahr zu verlassen – bleibt BMW denn auf jeden Fall der DTM treu?
Die DTM ist als Plattform wirklich toll. Wir haben da in den vergangenen Jahren intensiv investiert, auch Hirnschmalz und Herzblut. Die DTM ist es wert, für diese Plattform weiter zu kämpfen. Wir müssen deshalb das Thema so attraktiv machen, dass mindestens ein weiterer Hersteller hinzukommt. Und da bin ich optimistisch, dass das gelingen wird. Zumal die Zuschauerzahl zuletzt stabil war, im Schnitt eine Million pro Rennen. Das müssen andere Serien erst einmal hinkriegen.

Warum bleibt BMW überhaupt noch im klassischen Motorsport und sattelt nicht komplett um auf Themen wie die Formel E?
BMW hat sich ja bereits 2009 aus der Formel 1 verabschiedet und danach das Geld lieber in neue Entwicklungen investiert wie das Elektro-Thema – wir haben damals schon gesehen: der Weg in die Zukunft ist ein anderer. Der Rückzug aus der Formel 1 war allerdings kein Abschied vom Motorsport schlechthin, sondern die Hinwendung zu mehr Nachhaltigkeit. Für uns gehören deshalb auf absehbare Zeit beide Formate dazu – Rennen mit Verbrennungs- wie mit E-Motoren – und deshalb haben wir gesagt, ein Teil der Gelder bleibt beim seriennahen Motorsport.

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