Daimlers S-Klasse Der Mythos einer Luxusmarke

Bundeskanzler Konrad Adenauer (rechts) mit Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel im Oktober 1963 Quelle: imago images

Mit der S-Klasse setzt Daimler-Chef Ola Källenius voll auf Premiumstrategie und betuchte Kunden. Früher „Adenauer-Limousine“ des Bundeskanzlers, heute Dienstfahrzeug von Managern und Politikern – und nicht zuletzt auch von Diktatoren. Ein Blick auf die bewegte Geschichte einer Luxusautomarke.

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Der Mythos begann in den Fünfzigerjahren, als die Stuttgarter auf der ersten Nachkriegs-Automesse (IAA) in Frankfurt das Vorgängermodell der S-Klasse präsentierten. Sie war die einzige Luxus-Karosse, die vollständig nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist – ein Zeichen der neuen Zeit: Aufbruch, Wachstum, Wohlstand. Zugleich galt sie als größter und schnellster Serienwagen der jungen Republik. Seit 1972 firmiert sie unter dem Namen S-Klasse.

Die „Adenauer-Limousine“: Ikone der jungen Republik
Konrad Adenauer war der erste Staatsmann, der das Premiummodell, das an die Tradition des „Großen Mercedes“ der Dreißigerjahre anknüpft, als Dienstwagen nutzte. Zu zahlreichen Anlässen ließ sich der Altbundeskanzler mit der Luxuskarosse chauffieren – sei es zum Neujahrsempfang in der Villa Hammerschmidt am Bonner Rheinufer oder dem Auftritt mit dem ehemaligen Bundespräsident Heinrich Lübke im Jahr 1963.

Der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik bestand darauf, nur mit seinem eigenen Mercedes gefahren zu werden – selbst im Ausland wollte er seinen „300er“ nicht missen. Bis heute ist die „Adenauer-Limousine“ eine Ikone des Automobilstandorts Deutschland. Während seiner 14-jährigen Amtszeit besaß Adenauer sechs S-Klassen, ohne Schutzvorkehrungen, alle von der Stange. So war das damals. Im Haus der Geschichte in Bonn steht das Original von 1951. Heute werden Oldtimer in Online-Autobörsen als „Adenauer-Limousinen“ zum Kauf angeboten.

Polizisten am Tatort der Entführung von Hanns-Martin Schleyer, Präsident Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, in Köln-Braunsfeld. Quelle: imago images

Zielscheibe der RAF
Doch in den Siebzigerjahren avancierte die S-Klasse zum Symbol der Geldelite - und zur Zielscheibe von Linksradikalen. 1977 entführte die Terrorgruppe RAF den damaligen Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer aus einer S-Klasse. Sein Chauffeur wurde erschossen. 1989 wurde der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, ermordet, als eine Sprengfalle die gepanzerte, knapp drei Tonnen schweren S-Klasse zerriss. Auch Lady Di sitzt bei ihrem Tod in einer S-Klasse.

Angela Merkel fährt Audi
Adenauers Nachfolger blieben der S-Klasse treu. Willy Brandt ließ sich in seiner Zeit als Regierender Bürgermeister von Berlin in einem „Heckflossen"-Benz 300 SE chauffieren. Helmut Kohl vertraute auf einen anthrazitfarbenen 500er SEL in Sonderschutzausführung. Erst als der Niedersachse Gerhard Schröder das Kanzleramt eroberte, wurde mit der Tradition gebrochen. Denn er etablierte die Volkswagen-Tochter Audi in Berlin. Angela Merkel hat daran nichts geändert. Man darf annehmen: Ihr ist egal, in welchem deutschen Auto sie Platz nimmt.

Mitten in der Krise will sich Daimler-Chef Ola Källenius mit einer Luxusstrategie retten – und riskiert damit eine fatale Schrumpfung seines Absatzmarktes.
von Hannah Krolle, Theresa Rauffmann, Annina Reimann, Jörn Petring, Stefan Hajek

Der typische S-Klasse-Fahrer: arrogant, unsportlich, spießig?
Angela Merkel ist ein gutes Stichwort. Nur ein paar Prozent der S-Klasse-Käufer sind Frauen – auch das ist ein Problem der Luxusstrategie von Källenius, der Daimler künftig auf noch mehr Premium ausrichten will. Amtsträgerinnen wie die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut oder ihre Kollegin, Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, lassen sich in S-Klassen chauffieren. Aber ansonsten ist der Zuspruch der weiblichen Kunden, höflich gesprochen, sehr ausbaufähig.

Der typische Käufer in der EU und den USA ist männlich, um die 60 Jahre alt – und verschrien als arroganter, unsportlicher, wenig umweltbewusster Spießer, so eine Studie der Unternehmensberatung Progenium aus dem Jahr 2018. Rüdiger Hossiep, Autopsychologe von der Uni Bochum, hat Persönlichkeitsprofile von Autofahrern verschiedener Marken erhoben – und für die WirtschaftsWoche die Daten von S-Klasse-Fahrern mit Fahrern anderer Modelle und Marken verglichen. Die Stichprobe ist nicht repräsentativ, gleichwohl: Der S-Klasse-Fahrer ist statusbewusst, konservativ, technikaffin, sicherheitsorientiert – und weniger impulsiv als Fahrer der Audi- und BMW-Oberklassen.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Zielgruppenanalyse der Mercedes-Fahrer, durchgeführt vom Meinungsforschungsinstitut YouGov. Unter den knapp 2000 Befragten betrachten sich überdurchschnittlich viele als finanziell abgesichert und behaupten, dass es ihnen in der Regel gelingt, Menschen von ihrem Standpunkt zu überzeugen. Wie zu erwarten besitzen die meisten gerne hochwertige Produkte und pflegen einen teureren Lebensstil als die Gesamtbevölkerung.

Ein Mercedes 2018 fotografiert in einer Residenz des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un. Quelle: imago images

Im Ausland ist die S-Klasse bis heute ein Synonym für Luxus und Sicherheit – und nicht selten beliebt bei unliebsamen Machthabern. Das macht sie zum idealen Fahrzeug für Diktatoren wie Kim Jong Un aus Nordkorea. Wie der an seinen S600 Pullman Guard kam, ist nicht ganz klar. Daimler will es nicht gewesen sein. Denn man unterhalte keine Handelsbeziehungen zu dem diktatorisch geführten Land, stellte das Unternehmen 2018 klar. Vermutlich wurde das 6,36 Meter lange und 5,3 Tonnen schwere Fahrzeug illegal über China oder Malaysia eingeführt. Auch Wladimir Putin fuhr eine gepanzerte S-Klasse, bis er die 2018 gegen ein russisches Modell des Hersteller ZIL austauschte.

Mit Tränengas und Satellitenverbindung

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt sich ebenfalls in einem Mercedes S600 kutschieren – allerdings mit allerlei Sonderausstattung für seine Sicherheit. So sollen die Türen mit 13 Zentimeter dickem Stahl und die Reifen mit Stahlseilen verstärkt sein. Nahe der Scheinwerfer soll Tränengas ausströmen können, das Fahrzeug ist direkt mit dem Satelliten Göktürk-1 des türkischen Verteidigungsministeriums verbunden. Bei einem Deutschlandbesuch vor zwei Jahren wurde er ebenfalls in einer S-Klasse vom Flughafen abgeholt und zum Hotel Adlon gebracht.

Fototermin in Stuttgart 2014: Ministerpräsident Winfried Kretschmann bekommt seinen neuen Dienstwagen. Quelle: imago images

Aus dem Fenster des Luxus-Wagens hinaus zeigte er den Gruß der Muslimbrüder, was für Aufregung sorgte. Außerdem stand Daimler zeitweise auf einer ominösen Terrorliste der Türkei, von Unternehmen, die in Kontakt mit der Gülen-Bewegung stehen sollten. Diese zog die Türkei zwar im Nachhinein formell zurück. Kurios ist es aber trotzdem. Auch zu diesem Zeitpunkt fuhr Erdogan munter in seiner S-Klasse.

„Ich hocke da wie eine Sardine in der Büchse.“
Auch bei deutschen Politikern ist die S-Klasse beliebt. Die S-Klasse biete Winfried Kretschmann „wichtige Arbeitsplatz- und Langestreckenqualität“, antwortet das baden-württembergische Staatsministerium auf die Frage, wie es vereinbar sei, als grüner Ministerpräsident eine verbrauchsstarke S-Klasse zu fahren. 2018 sagte Kretschmann noch selbst über sein Fahrzeug: „Ich hocke da wie eine Sardine in der Büchse.“

Berlin 2017: Der Dienstwagen des regierenden Bürgermeisters von Berlin Michael Müller. Quelle: imago images

Die gepanzerte S-Klasse nutze er für Strecken, die die Reichweite seines vollelektrischen Audis überschreiten, so das Staatsministerium weiter. Immerhin hat sie einen Hybridantrieb – alles andere wäre für einen grünen Ministerpräsidenten wohl auch schwer vermittelbar. „Bei allen Fahrten wird darauf geachtet, möglichst den elektrischen Antrieb einzusetzen“, heißt es aus der Landesregierung. Der prozentuale Anteil der elektrischen Nutzung des Plug-in-Hybrids würde aber nicht erfasst.

Die Antwort auf die „Klimanotlage“: 12 Liter und 530 PS
Michael Müllers S-Guard 600 Limousine ist laut der Deutschen Umwelthilfe der am wenigsten umweltfreundliche Dienstagwagen deutscher Politiker. 408 Gramm CO2 pro Kilometer stoße der Wagen unter realen Bedingungen aus, auf 100 Kilometer verbraucht der 530 PS starke Luxuswagen 11,6 Liter. Der regierende Bürgermeister von Berlin, der erst im Dezember letzten Jahres die „Klimanotlage“ ausrief, hatte deshalb eigentlich vor, sich einen umweltfreundlicheren Wagen zuzulegen – das war wohl nichts. Die Schadstoffwerte des bestellten Audi A8 mit Sicherheitsausrüstung seien im Endeffekt wohl noch höher gewesen als die der S-Klasse, weshalb Müller weiter im Mercedes durch Berlin kutschiert wird.

Auf Anfrage erklärte die Senatskanzlei Berlin dazu nur: „Im vergangenen Jahr wurde dem Regierenden Bürgermeister ein neu konzipierter Wagen angeboten, der 2020 fertiggestellt wurde. Technische Veränderungen haben den Regierenden Bürgermeister inzwischen aber dazu bewogen, den bisherigen Dienstwagen weiterzufahren. Da es sich um ein Sicherheitsfahrzeug und nicht um ein Serienfahrzeug handelt, ist es nicht möglich, zeitnah einen neuen Dienstwagen zu erhalten.“

Sicherheit für’s Establishment
Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke fährt S-Klasse. Von 2004 bis 2009 war er Minister für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz in Brandenburg, in seinem Bundesland wird Teslas Gigafactory gebaut. Dass gerade er eine S-Klasse fährt, begründet sein Regierungssprecher mit dem „wichtigen Aspekt der Sicherheit für hervorgehobene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“. Hinzu kämen Leasingkosten, Reichweite und Tankfüllung, die die Auswahl eines Fahrzeugs weiter beschränken würden. „Speziell für einen hochgewachsenen Mann“ biete die S-Klasse bei langen Fahrten gute Arbeitsmöglichkeiten. Dass Mercedes einen Produktionsstandort in Brandenburg hat, mag auch eine Rolle spielen.

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Mitten in der größten Krise der Automobilindustrie soll der Mythos S-Klasse Daimler retten: Nische statt Breite, Marge statt Stückzahl, Asien statt Europa – und sehr viel Risiko. Kann das gelingen? Lesen Sie hier die große WiWo-Analyse: „Daimlers Luxuswette“.

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