Lichte kann derartige Fragen nicht nachvollziehen: "Die klare Grundarchitektur ist die gleiche, aber die Proportionen haben sich dramatisch verändert." Lichte hält es nun nicht mehr am Platz. Zusammen mit dem Autor saust er quer durch die Nationalgalerie in einen Nebensaal, wo mehrere silberne Gölfe der verschiedenen Generationen gerade Schauspielern und in die Jahre gekommenen Rockmusikern als Staffage für Fotoaufnahmen dienen. Egal. "Wir haben beim neuen Golf Proportionen, wie man sie bislang nur von Mittelklasseautos kannte", erläutert er und fährt dabei mit der Hand die Dachlinie entlang. Tatsächlich verläuft diese flacher als bisher.
Der Grund: Die Vorderräder wanderten weiter nach vorne, der Radstand wurde größer, das Dach einen Tick niedriger. Zudem zieht sich eine scharfe Falz, Charakterlinie genannt, um das Fahrzeug herum, unterhalb der Türgriffe, durch den vorderen Kotflügel und Scheinwerfer über den Kühlergriff zur gegenüberliegenden Seite. Das bringt Spannung in die Fläche – aber auch eine große Herausforderung für die Fertigung: Sämtliche Teile müssen präzise zusammengefügt werden, sonst fällt es selbst Menschen mit Sehschwäche unangenehm auf.
Neben der Dachlinie ist die so genannte C-Säule das andere typische Golf-Element: Die hintere Stütze, die die Heckklappe trägt, ist als glatte Fläche geformt und soll an die gespannte Sehne eines Bogens erinnern. Fast ein Jahr lang hat Lichter allein dieses Element moduliert, bis auch der Konzernchef damit zufrieden war. Lichte: "Der neue ist damit eine Symbiose aus dem Golf 1 und dem Golf 4" – seinen bisherigen Lieblings-Gölfen.
Der Designer Lichte redet sich in Rage
Die trapezförmige Tankklappe auf der rechten Seite soll übrigens Winterkorns Idee gewesen sein. Das lassen wir mal so stehen. Für die filigrane Halterung der Außenspiegel erhebt allerdings Lichte das Urheberrecht. Sie ermöglicht es, die Fensterfläche um eine kleine Dreiecksöffnung zu vergrößern und die Übersichtlichkeit zu verbessern: Praktische Aspekte sollten bei allem Styling nicht zu kurz kommen.
Charakterlinie, Dachfallung, Lichtkanten – Lichte wirft mit Fachbegriffen um sich, redet sich in Rage. Obwohl das Projekt für ihn längst Vergangenheit ist und er im Studio längst anderen Autos Gestalt gibt (welchen, mag er allerdings partout nicht verraten), ist er Feuer und Flamme für den Golf 7. Er erzählt von den Details, an denen gefeilt wurde, um den Luftwiderstandsbei- oder cw-Wert von 0,30 auf 0,27 zu drücken: je windschlüpfriger die Karosserie, desto weniger Kraftstoff benötigt das Auto, um auf Geschwindigkeit zu kommen.
Wahrscheinlich könnte er über die neue Frontpartie eine Stunde reden, über die Platzierung des VW Logos und die Grafik der LED-Scheinwerfer, über die horizontalen Linien, die Breite schaffen, aber auch eine gewisse Aggressivität ausstrahlen. Beim sechsten Golf waren die Kotflügel höher als die Motorhaube, nun ist es umgekehrt.
Was ist der Effekt? Man fragt besser nicht, wenn man unter Zeitdruck ist. Auch über die Farbwahl könnte sich Lichte sicher noch eine ganze Weile auslassen: Schon in jungen Jahren "assistierte" er seinen Eltern bei der Frage, in welcher Lackierung der neue Golf zu ordern sein. Die Vorführautos bei der Weltpremiere waren allesamt Silber lackiert – "weil Silber die Konturen besser betont als jede andere Farbe."
Auch mit Silver Leaf Metallic – einem grauschimmernden Silberton könnte er sich anfreunden: "Da kann man die Muskeln des Autos sehr schön sehen". Seinen eigenen Wagen hat er allerdings in Schwarz geordert – die Farbe der Designer und Erfolgsmenschen.