Ex-Bosch-Anlasser-Sparte "Solide Geschäftsleute, die nicht spekulieren"

Ex-Bosch-Sparte SEG Automotive startet. Quelle: Presse

2017 hat Bosch seine Anlasser-Sparte nach China verkauft – jetzt geht sie in die Eigenständigkeit. Im Interview spricht Chef Ulrich Kirschner über Expansionspläne und das Verhältnis zu den chinesischen Eigentümern.

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"Chinesen sichern sich deutsche Auto-Technologie" oder "Bosch verkauft Traditionsbereich nach China" – so lauteten die Schlagzeilen, als im Mai 2017 der Verkauf der Anlasser-Sparte von Bosch an einen chinesischen Konzern bekannt wurde. 1914 hatte Bosch den ersten elektrischen Anlasser vorgestellt, doch für das heutige Großunternehmen ist die Richtung klar: Autonomes Fahren statt Anlasser.

Bosch selbst sprach von der "komplexesten Ausgründung der Unternehmensgeschichte" – schließlich war die Sparte SG (Starter Motors & Generators) seit Jahrzehnten etabliert und auf über 7000 Mitarbeiter weltweit angewachsen. Inzwischen ist der Prozess abgeschlossen, ab sofort firmiert der Bereich als SEG Automotive GmbH mit Sitz in Stuttgart – und der Name wird ganz international Englisch ausgesprochen. Das ergänzte E deutet auch die Ausrichtung des neuen Unternehmens an: „Components for Electrification“.

Im Interview spricht Geschäftsführer Ulrich Kirschner über den Verkaufsprozess, Expansionspläne und das Verhältnis zu den chinesischen Eigentümern.

Zur Person

WirtschaftsWoche Online: Bislang waren Sie Teil von Bosch, jetzt agieren Sie eigenständig. Wo spüren Sie diese neuen Freiheiten?
Ulrich Kirschner: Ich habe seit fast 30 Jahren für Bosch gearbeitet, das kann ich natürlich nur teilweise ausblenden. Wir sind erst wenige Tage eigenständig aktiv, deshalb ist es noch zu früh, um über neue Freiheiten zu reden.

Anders gefragt: Hätten die Pläne, die Sie jetzt für die Zukunft haben, unter der Führung von Bosch genauso ausgesehen?
Seit 2015 haben wir an der Neuaufstellung der Sparte Starter & Generatoren gearbeitet. Das war ein ergebnisoffener Prozess. An dessen Ende hätte eine vertiefte Zusammenarbeit mit einem anderen Unternehmen oder eben ein Verkauf stehen können. In den Verhandlungen mit zahlreichen Interessenten haben wir klar gemacht, dass wir einen Partner suchen, der unsere Pläne unterstützt. Und da hat sich sehr früh abgezeichnet, dass ZMJ unser Wunschpartner ist. Sprich: Die Pläne sind nicht in den vergangenen Tagen entstanden, sondern das Ergebnis eines langen Prozesses.

Können Sie die Pläne kurz umreißen?
Derzeit sind wir mit Starter und Generatoren im Bereich Verbrennungsmotoren tätig. Es ist bekannt, dass der Verbrennungsmotor – egal ob Benzin oder Diesel – sinkende Wachstumsraten haben wird. Wir haben mit unserer Boost Recuperation Machine (BRM) ein Produkt entwickelt, mit dem wir Herstellern eine einfach zu integrierende Hybridisierung ermöglichen – und das kostengünstig. Zudem wird die weitere Elektrifizierung in Zukunft sehr wichtig.

Wenn Sie größere Elektromotoren als einen Startermotor bauen, treten Sie dann nicht in Konkurrenz zu ihrem früheren Eigentümer Bosch?
Es ist nicht so, dass Verbrenner in zehn Jahren verschwinden. Dann werden immer noch ungefähr 75 Prozent aller Neuwagen einen Verbrenner haben und damit unsere Produkte benötigen. In dem Bereich E-Mobility, könnte es zukünftig womöglich zu einer Wettbewerbssituation kommen.

Welches Interesse hat die Zhengzhou Coal Mining Machinery Group an Startermotoren für Autos?
ZMJ ist bereits über verschiedene Beteiligungen im Automobilzuliefererbereich tätig. Sie haben die klare Absicht, ihre Abhängigkeit vom Maschinenbau zu verringern und im Autogeschäft zu wachsen. Sie stellen bereits Starter, Generatoren und Motorkomponenten für den chinesischen Markt her, wollen in dem Bereich aber das Portfolio ergänzen und expandieren.

"Alle Kunden sind an Bord geblieben"

Sie sind in Europa stark, ZMJ in China. Wo genau wollen sie expandieren?
Wir sind bereits heute international aufgestellt, nur noch knapp über 50 Prozent unseres Geschäfts kommt aus Europa. Fast 30 Prozent kommen aus China. Der Rest verteilt sich auf Märkte in Nord- und Südamerika sowie Indien. Mit unserem neuen Eigentümer können wir in Nordamerika wachsen – und natürlich in China.

Auf anderen Märkten sind bereits Konkurrenten wie Denso aus Japan, Valeo aus Frankreich und weitere kleine Unternehmen aktiv. Mit welchen Argumenten wollen Sie deren Kunden gewinnen?
Erstens müssen wir in der Autowelt immer einen technologischen Vorsprung haben, um interessant zu sein. Zweitens müssen das Produktportfolio und der Preis den Erwartungen des Markts entsprechen. Drittens braucht man eine globale Präsenz, da Aufträge heute weltweit vergeben werden und nicht mehr lokal unterschiedlich. Viertens braucht man einen guten Kundenstamm. Wir haben – auch wenn es pathetisch klingt – seit über 100 Jahren gute Kundenbeziehungen. Ich sehe uns in allen vier Bereichen gut aufgestellt.

Haben Sie die Kunden 1:1 übernommen?
Rein rechtlich mussten die Kunden einen neuen Vertrag mit uns abschließen. Alle haben dem zugestimmt. Wenn die Produkte und das Angebot stimmen, ist der Eigentümer zweitrangig.

Und ihre Mitarbeiter? Die konnten wählen, ob sie bei Bosch bleiben wollen oder zu SEG Automotive gehen.
Hier muss man differenzieren. Außerhalb Deutschlands lag die Zugstimmungsquote in allen Ländern über 90 Prozent, in China sogar bei fast 100 Prozent. Von unserem Führungsteam, das aus etwa 100 Mitarbeitern besteht, haben sich bis auf zwei alle zum Bleiben entschieden.
In Deutschland ist die Lage wegen des Arbeitsrechts anders, der Betriebsrat hat hier mit Bosch zwei Betriebsübergänge ausgehandelt. Beim ersten haben sich einige zum Verbleib bei Bosch entschieden, beim zweiten, nachdem der Name und das industrielle Konzept des neuen Eigentümers bekannt waren, lag auch hier die Zustimmung bei über 90 Prozent. Wir haben also ein sehr großes Vertrauen der Mitarbeiter, das ist wichtig.

War es nicht auch ein Vorteil, Teil der Bosch-Gruppe zu sein? Etwa in der Entwicklung oder im Recruiting?
Sicher ist der Name Bosch eine Marke, die wir mit SEG nicht 1:1 ersetzen können. Wir müssen im Recruiting neue Wege finden und nicht nur mit dem Namen überzeugen. Nicht jedem liegt die Arbeit in einem Großkonzern. Wir bieten jetzt ein mittelständisches Umfeld, in dem Kreativität und Eigenverantwortung sehr wichtig sind.

Bei anderen Übernahmen deutscher Unternehmen aus China ist das Zwischenfazit durchaus gemischt. Einige haben sich gut entwickelt, bei anderen fremdelt man noch sehr mit den neuen Eigentümern. Wie würden Sie Ihre ersten Eindrücke beschreiben?
Wir kennen unsere neuen Eigentümer seit geraumer Zeit, wir haben mindestens einmal im Monat Kontakt. Ich war froh, als die Entscheidung für ZMJ gefallen ist. Das sind sehr solide Geschäftsleute, die nicht spekulieren. Natürlich müssen wir uns auch an den neuen Eigentümer gewöhnen, keine Frage. Aber das wäre auch bei einem amerikanischen Investor oder einem Private-Equity-Unternehmen der Fall. Ich habe seit 1994 geschäftlich mit China zu tun und konnte viele Kontakte aufbauen. Es gibt zwischen Deutschen und Chinesen in den kulturellen Vorstellungen viele Überschneidungen.

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