Es geht – so schien es in der vergangenen Woche – ein Streit zu Ende, der fast so alt ist wie die ersten Exemplare des VW Golf. Auf Betreiben von Bundesjustizministerin Katarina Barley beschloss die Bundesregierung eine Lockerung des Designschutzes für Auto-Ersatzteile. Nicht etwa um Bremsen oder Motorenteile geht es dabei, sondern nur um die von außen sichtbaren Autoteile, also Blechteile, Stoßfänger, Glasscheiben und Leuchten.
Weil die Autohersteller Designschutz für diese Teile geltend machen können, darf kein anderer die Teile herstellen. Dieses faktische Monopol der Autobauer führt zu Mondpreisen bei den Ersatzteilen. Fällt der Designschutz weg, würden Deutschlands Autofahrer um hunderte Millionen Euro pro Jahr entlastet. Die Autohersteller wollen sich dieses hoch lukrative Geschäft nicht nehmen lassen. Seit über drei Jahrzehnten schon kämpfen sie gegen eine Liberalisierung des Ersatzteilmarkts. Hersteller und Händler von Ersatzteilen, organisiert im Gesamtverband Autoteile-Handel (GVA), pochen dagegen auf freien Wettbewerb.
In ihrer Kabinettsitzung am vergangenen Mittwoch beschloss die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs inklusive einer Neuregelung des deutschen Designgesetzes. „Bald“, so jubilierten daraufhin etliche Zeitungen, würden Ersatzteile billiger werden. „Bald“ allerdings ist eine ziemlich optimistische Lesart des Gesetzes: Vorausgesetzt, das Gesetz kommt überhaupt durch den Bundestag, dürfen sich erst nach 2040 alle Autobesitzer in Deutschland über günstigere Ersatzteile freuen. Denn das Gesetz enthält ein Hintertürchen, das die Autohersteller freuen dürfte. Demnach sind Autoteile, deren Design vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes ihren rechtlichen Schutz erhielten, von der Liberalisierung ausgenommen. Ihr Designschutz gilt noch bis zu 25 Jahre. Somit ändert sich für alle 45 Millionen Autos, die derzeit auf deutschen Straßen unterwegs sind, erst einmal gar nichts.
Wie viel Autofahrer bei Ersatzteilen sparen können
Durchschnittlich 47 Prozent Ersparnis wären drin
Kunden, die ihr Auto nach Inkrafttreten des Gesetzes kaufen, könnten allerding profitieren – und das ganz erheblich, wie eine Auswertung von Preislisten des GVA durch die WirtschaftsWoche ergab. So sind ausgewählte Ersatzteile (Motorhaube, Kotflügel, Stoßfänger, Außenspiegel) freier Hersteller um durchschnittlich 47 Prozent günstiger als die Ersatzteile der Autohersteller. Das zeigen Daten aus den Niederlanden, Spanien und Italien, wo das Ersatzteilgeschäft schon heute liberalisiert ist.
Für Hersteller von Ersatzteilen würde mit dem neuen Gesetz eine jahrelange Unsicherheit enden. Sie operierten bislang in einer rechtlichen Grauzone, die vom Gesetzgeber gewollt war. Laut Gesetz darf ein freier Hersteller von designgeschützten Teilen diese Ersatzteile nicht nach Deutschland einführen, ein Händler darf damit keinen Handel treiben, eine Kfz-Werkstatt darf sie nicht einbauen. Doch weil das Monopol der Autobauer auf diesem Sektor dem deutschen Gesetzgeber nicht passte, verlangte er schon vor fast 20 Jahren Zugeständnisse der Autohersteller. Die bekam er 2002 in Form einer freiwilligen Selbsterklärung des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Der VDA versicherte, die deutschen Autohersteller würden nicht gegen Herstellung und Handel mit frei hergestellten Teilen vorgehen.
Daraufhin schrieb die Bundesregierung in ein Gesetz: „Die Automobilhersteller haben versichert, dass sie den Wettbewerb im Ersatzteilhandel nicht beeinträchtigen (…) wollen.“ Diese Selbstverpflichtung reichte dem Gesetzgeber, um ansonsten alles beim alten zu lassen: „Auch diese Zusage“, so heißt es weiter im Gesetz, „ist Grundlage für eine Beibehaltung der Rechtslage“ – sprich: am Designschutz und dem dazugehörigen Mega-Geschäft der Autohersteller wird im Kern nicht gerüttelt.
Die Selbsterklärung habe nicht verhindern können, so berichtet der GVA, dass Behörden immer wieder gegen das illegale und von der Autoindustrie bloß tolerierte Geschäft mit freien Ersatzteilen vorgingen. Frei hergestellte Ersatzteile wurden zum Cannabis der Autoindustrie: Für den einzelnen Kunden sind sie ohne größere Risiken nutzbar, sie können sie an ihrem Auto höchstwahrscheinlich straffrei einbauen lassen. Händler und Hersteller dagegen müssen die Polizei fürchten.
Nur Neuwagenkäufer können profitieren
Diesen rechtlichen Schwebezustand könnte der Gesetzesvorstoß der Bundesregierung beenden. Das Hintertürchen im Gesetz führt aber nicht nur dazu, dass sich nur bei künftig verkauften Autos die Lage für die Verbraucher bessert. Selbst bei künftig hergestellten Autos haben die Autobauer noch die Möglichkeit, Designschutz zu ergattern: „Die Hersteller könnten noch vor Inkrafttreten des Gesetzes massenhaft neue Designs anmelden“, sagt GVA-Sprecher Alexander Vorbau. „Dann hätten sie für all die angemeldeten Designs noch jahrelang Designschutz.“
Der VDA dagegen pocht auf den Designschutz, auch für die Zukunft. Die geplante Liberalisierung stelle „einen kritischen Eingriff in das System des gewerblichen Rechtsschutzes dar“, schimpft der Verband nach der Entscheidung in Berlin. Ein uneingeschränkter Designschutz sei für Fahrzeughersteller und Zulieferer „eine wichtige Voraussetzung, um in Innovationen investieren zu können“. Nachgebaute Ersatzteile könnten darüber hinaus die Sicherheit gefährden. Generell ist der VDA der Ansicht, dass man bei dem seit über 30 Jahren diskutierten Thema nichts überstürzen sollte: „Aus Gründen des Binnenmarktes hätte eine einheitliche Regelung innerhalb der EU abgewartet werden sollen.“




