Patentrechtsreform Zehntausende Autos wegen eines Chips verschrotten? Es gibt eine bessere Lösung

Ford aus der Schrottpresse. Quelle: imago images

Wegen der Patentverletzung an einem Chip, der wenige Euro kostet, soll Ford seine Autos aus dem Verkehr ziehen – oder verschrotten. Das kann der Gesetzgeber nicht wollen. Das deutsche Patentrecht muss (erneut) entschärft werden. Ein Kommentar.

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Als Richter Matthias Zigann vom Münchner Landgericht 1 sein Urteil gegen Ford spricht, drückt er sich sehr klar aus: Es reiche nicht, dass Ford keine Fahrzeuge mehr in Deutschland verkaufen darf. Der amerikanische Autohersteller müsse alle seit 2012 gebauten Autos von seinen Händlern zurückrufen - und „vernichten“.

Werden nagelneue, niemals gefahrene Autos jetzt wirklich auf gerichtliche Anweisung hin verschrottet?

In der Tat hat Ford keine Lizenzgebühren gezahlt für die von ihm verbauten Mobilfunkchips. Allerdings handelt es sich um Waren im Wert von wenigen Euro – das gesamte Kommunikationsmodul, das tief hinter das Armaturenbrett eingebaut ist, ist gerade einmal 200 Euro wert. Die Lizenzplattform Avanci, die neben den Patenten des Klägers IP Bridge die von 47 Mobilfunk-Erfindern poolt, verlangt je Auto 15 Euro für die 4G-Lizenzen. Das mag wenig sein für ein Luxusauto, bei dem vom Mobilfunkchip unzählige Funktionen wie Parkplatzsuche oder Restaurantempfehlungen abhängen. Luxusmarken verlangen oft nach einer Übergangszeit von drei jahren die Bezahlung eines eigenen Abos – und lassen sich das mit 100 Euro im Jahr gut bezahlen. Für einen Ford Fiesta, der seinen Chip nur für rudimentärere Dienste einsetzt und keine Abogebühren bei seinen Kunden durchsetzen kann, ist es eine stolze Summe.

Schon Daimler blühte die Stilllegung seiner Werke in Deutschland und damit ein Milliardenschaden, als Nokia und zwei weitere Inhaber von Mobilfunkpatenten die Stuttgarter vor zwei Jahren verklagten. Damals erkannte der Gesetzgeber das Problem des unverhältnismäßigen Drucks und rief eine Patentrechtsreform aus.

Die wurde im vergangenen Sommer Gesetz. Allerdings änderte sie offenbar nichts am Problem der Unverhältnismäßigkeit des deutschen Gesetzes. Denn die Reform sieht lediglich vor, dass ein Patentgericht binnen sechs Monaten eine vorläufige Einschätzung zu dem in Frage stehenden Patent gibt – mehr nicht. So kann verhindert werden, dass ein Patent, das auf richterliche Prüfung hin vielleicht gar nicht gültig bleibt, einen riesigen ökonomischen Schaden auslöst. Einen Urteilsspruch, dass jedes wirtschaftliche Augenmaß überschreitet, verhindert sie nicht.

Dem Größenwahn der Richter Einhalt gebieten

Diesmal erhielt der japanische Patentverwerter IP Bridge in München Recht gegen den amerikanischen Autokonzern Ford. Das deutsche Gesetz ist weltweit für seine Schärfe bekannt. Es zieht Kläger aus allen möglichen Ländern vor unsere Gerichte. Aus einem Grund: Nirgends sonst lässt sich so einfach ein enormer finanzieller Druck gegen Patentverletzer aufbauen wie hier.

Nun wird Ford die neugebauten Autos, die bei seinen Vertragshändlern stehen, wohl nicht ganz verschrotten müssen. Dem Münchner Urteil wäre genüge getan, wenn die Kommunikationsmodule ausgebaut würden. Auf europäischen Straßen fahren dürften die Autos dann allerdings nicht mehr – denn sie könnten den gesetzlich vorgeschriebenen E-Call im Falle eines Unfalls nicht mehr auslösen. Wo würde Ford sie abstellen? Im Jahr verkaufen sie immerhin rund 125.000 Auto hierzulande.

Die Absurdität des Vollzugs dieses Urteils werden wir wohl nicht erleben. Ford wird sich zum Zahlen einer Lizenzgebühr gezwungen sehen. Doch der deutsche Gesetzgeber sollte dringend zurück an den Schreibtisch und eine ernsthafte Patentrechtsnovelle formulieren, die richterlichem Größenwahn einen Riegel vorschiebt.

Lesen Sie auch: Warum es bei der Klagewelle der Mobilfunkkonzerne gegen die Autoindustrie für die deutsche Wirtschaft um so viel mehr geht als nur 15 Euro Lizenzbebühren.

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