
Die ersten im VW-Abgas-Skandal betroffenen Autofahrer könnten noch Ende Januar zu Nachbesserungen in der Werkstatt fahren. Laut Volkswagen wird der Rückruf in der Abgas-Affäre mit den rund 2,4 Millionen Dieseln aus dem VW-Konzern hierzulande voraussichtlich Ende nächster Woche starten. Das sagte ein VW-Sprecher am Mittwoch auf Anfrage. Die erste Welle beinhalte den Pick-Up Amarok aus dem Hause VW-Nutzfahrzeuge sowie den VW-Passat - jedoch nicht alle betroffenen Wagen dieser Modellreihen, sondern nur Teile. Details waren unklar.
Als Lehre aus dem beispiellosen Diesel-Dilemma um weltweit rund elf Millionen Wagen baut der Konzern derweil intern weiter kräftig die Strukturen um. Eine neue Aufteilung für die Pkw-Kernmarke gab VW am Mittwoch bekannt. Sie soll auch helfen, Fehler künftig zu erschweren.
Zum Rückruf sagte der Sprecher: „Wir liegen genau im Zeitplan.“ Den Ablauf gebe das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) schrittweise frei. Das hänge an den einzelnen technischen Lösungen für die vielen Hundert Varianten, die sich mit den verschiedenen Motorgrößen, Modellreihen, Baujahren und Getriebearten ergeben. Daher kämen die Halteradressen aus dem KBA nur nach und nach. Zu der weiteren Abfolge und der Frage, wann zum Beispiel Deutschlands meistverkaufter Pkw VW-Golf erstmals an die Reihe kommt, konnte der VW-Sprecher noch keine Angaben machen.
VW hatte bisher die Kalenderwoche vier als Start für die Rückrufe im Abgas-Skandal genannt. Das präzisierte der Sprecher nun weiter: Es deute aktuell alles darauf hin, dass Donnerstag oder Freitag (28. oder 29. Januar) die ersten Wagen in die Werkstätten rollen könnten. Die dazugehörigen Halter dürften in den nächsten Tagen Post bekommen. VW rechne mit dem Eingang der Adressen für Ende dieser Woche.
Bei dem Rückruf soll für Motoren mit 1,2 Litern und 2,0 Litern Hubraum nur eine Software-Änderung nötig sein. Bei 1,6-Liter-Modellen soll zusätzlich ein Bauteil eingesetzt werden. Aus allen Wagen muss eine Software entfernt werden, die Abgaswerte manipuliert.
Was bei der Rückruf-Aktion auf VW-Besitzer zukommen könnte
Das Kraftfahrtbundesamt hat angeordnet 2,4 Millionen VW-Diesel-Fahrzeuge in die Werkstätten zurückzurufen. Laut Plan sollen im Januar 2016 die ersten Autos in die Werkstätten. Bis zum Ende des kommenden Jahres könnten dann alle betroffenen Autos überholt sein. In einem Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hatte VW-Chef Matthias Müller aber zuvor auch nicht ausgeschlossen, manche Autos komplett auszutauschen, anstatt sie umzurüsten: „Das muss man im Einzelfall prüfen.“
Es geht bei den Nachbesserungen nicht nur um die Manipulations-Software. Für die meisten Motoren genüge es zwar, wenn ein neues Programm aufgespielt werde, sagte Müller. Manche Autos könnten aber auch neue Einspritzdüsen und Katalysatoren bekommen. Die Umrüstung ist auch deshalb kompliziert, weil der betroffene Motortyp EA 189 in zahlreichen Kombinationen und Ländervarianten verbaut ist. Motorenexperte Prof. Jörn Getzlaff von der Hochschule Zwickau hält es aber für möglich, dass Volkswagen keine komplett neue Technik entwickeln muss: „Es kann durchaus sein, dass VW auf eine Lösung zurückgreift, die der Konzern schon heute in seine neue Motorengeneration einbaut.“ Diese neuen Aggregate erfüllen die strengeren Umweltauflagen der Euro-6-Norm.
Das ist möglich. Durch die Umrüstung könnten sich die Leistung und der Spritverbrauch ändern, sagt Getzlaff. Es müsse aber nicht unbedingt so sein, dass das Auto dann langsamer wird und mehr verbraucht. VW-Chef Müller sagte, es sei wichtiger, „das CO2-Ziel zu halten und dafür vielleicht auf 3 bis 5 km/h Höchstgeschwindigkeit zu verzichten“.
Autokäufer müssten sich vermutlich zunächst mit dem Verkäufer des Autos streiten - in den meisten Fällen also mit dem Händler, nicht mit dem VW-Konzern, erklärt Thomas Rüfner, Rechtsprofessor an der Universität Trier. Es sei möglich, dass der Händler Autos zurücknehmen müsse. Dafür müssten aber einige Voraussetzungen erfüllt sein: erhebliche Mängel, also dass das Auto nach der Umrüstung zum Beispiel deutlich langsamer fährt oder viel mehr Sprit verbraucht. Der Kauf darf auch nicht länger als zwei Jahre zurückliegen. „Der Autokäufer würde vermutlich den kompletten Kaufpreis zurückbekommen, müsste aber wohl nachträglich für die Nutzung des Autos zahlen“, sagt Rüfner. Wenn sich die Fahreigenschaften des Autos nur in geringem Maße ändern, könne aber der Kaufpreis gemindert werden.
Eine VW-Kundin, die ihr Auto im Jahr 2010 gekauft hat, versucht das bereits. Sie hat eine Klage direkt gegen den VW-Konzern eingereicht, unter anderem wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Die Frau sehe sich in ihrer Erwartung enttäuscht, ökologisch unterwegs zu sein, teilte ihr Anwalt mit. Ein VW-Sprecher wollte sich zu der Klage zunächst nicht äußern, der Vorgang sei ihm nicht bekannt.
Dazu hat sich VW bislang nicht geäußert. Autohersteller sind dazu jedenfalls nicht gesetzlich verpflichtet, sagt Gabriele Emmrich von der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt. Andere Autohersteller wie Toyota hatten einen solchen Service bei Rückrufen in der Vergangenheit schon angeboten, allerdings ging es da um weniger Autos als bei Volkswagen. Emmrich zufolge stellen Händler und Hersteller nur in Ausnahmefällen ein Leihauto zur Verfügung.
Zuvor hatte ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums in Berlin gesagt, die Erteilung der endgültigen Freigabe für die Lösungen bei den drei betroffenen Motorgrößen (1,2 und 1,6 sowie 2,0 Liter Hubraum) durch das KBA stehe noch aus. Das bezog sich aber auf die Gesamtzahl aller 2,4 Millionen Wagen. Den Start machen die 2,0-Liter-Maschinen. Bei ihnen genügt ein Software-Update. Das Ganze soll in den Werkstätten pro Auto nur eine halbe Stunde dauern.
Indes stellt sich die Kernmarke des Konzerns wie angekündigt neu auf und strafft ihre organisatorischen Zuständigkeiten. Damit will sie auch profitabler werden. Seit Jahresbeginn gibt es bei der Marke Volkswagen mit Modellen wie Golf und Passat vier Baureihengruppen mit mehreren Modellreihen, wie das Unternehmen mitteilte.
Markenchef Herbert Diess erklärte, VW verspreche sich davon eine „große Beschleunigung“ der Entwicklung. VW-Pkw ist seit längerem ertragsschwach. Die Neuausrichtung ist Teil eines „Kulturwandels“, den VW auch als Folge des Abgas-Skandals ausgerufen hat. Dazu zählt, dass die zwölf Konzernmarken mehr Verantwortung bekommen sollen.
Konkret sind bei der Marke VW vier Baureihengruppen gebildet worden: Zur „Small“-Gruppe gehören kleine Fahrzeuge wie der Polo sowie kleine Geländewagen. Die Baureihe „Compact“ wird auch Golf-Klasse genannt und reicht von Kurzheck- über Stufenhecklimousinen und Kombis bis zu sportlichen Geländewagen (SUV) wie dem Tiguan. Die Gruppe „Mid- und Fullsize“ umfasst etwa den Passat und den Touareg. In der Baureihe „Battery Electric Vehicles“ werden Elektrofahrzeuge wie der E-Golf zusammengefasst, künftig erweitert um E-Autos mit mehr Reichweite.
VW verspricht sich von der Neuordnung auch, dass Eigenverantwortung, Eigeninitiative und Teamgeist gestärkt werden. In der Vergangenheit war Volkswagen stark zentralistisch aus Wolfsburg geführt worden.
Im US-Bundesstaat New Mexico reichte unterdessen der Generalbundesanwalt eine weitere Klage gegen den Autobauer sowie die VW-Töchter Audi und Porsche ein. „Es ist ungesetzlich, Profite zu machen und dabei das Vertrauen der Verbraucher in New Mexico zu brechen“, heißt es in einer Mitteilung der Behörde. „Volkswagen hat hart arbeitende Menschen in New Mexico ausgebeutet, die die Umwelt schützen oder Treibstoff sparen wollten.“ Nun werde versucht, „das Maximale für den Steuerzahler herauszuholen.“