
Selten war eine Jahres-Bilanz bei einer Bilanzpressekonferenz nebensächlicher als am Donnerstag, wenn die VW-Führungsriege vor die Öffentlichkeit tritt. Die Kennzahlen sind seit vergangenem Freitag bekannt. Volkswagen hat infolge der Milliarden-Rückstellungen wegen des Dieselskandals den größten Verlust der Unternehmensgeschichte verkündet.
Beim kommenden Auftritt von VW-Chef Matthias Müller und seinem Finanzvorstand Frank Witter werden nicht der Fehlbetrag von 5,5 Milliarden Euro oder die aufgestockten Rückstellungen von 16,2 Milliarden Euro im Fokus stehen. So sehr sich der Autokonzern noch mit der Vergangenheit und deren Aufarbeitung beschäftigen muss: Wolfsburg will wieder nach vorne blicken.
Durchgerüttelt von Dieselgate will Müller das Forum nutzen, um einen Ausblick zu geben – auf das laufende Geschäftsjahr aber auch auf die Neuausrichtung des gesamten Konzerns. Es geht um die: Ob Müller den krisengeschüttelten Autobauer von Grund auf neu erfinden oder lediglich an einigen Stellen lenkend eingreifen will. Eben die Wahl zwischen Revolution und Evolution. Ein „Weiter so“ kann sich Wolfsburg nicht erlauben.
Wie sich Volkswagen die Autos der Zukunft vorstellt, war auf den vergangenen Messen zu sehen. Auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas präsentierte VW-Markenchef Herbert Diess mit dem Budd-e quasi die moderne Interpretation des legendären Bulli – nur eben mit futuristischem Design, Elektroantrieb und selbstredend voll vernetzt.
Bis aus dem Concept Car ein Serienauto geworden ist und Volkswagen damit Profit macht, werden noch viele Jahre vergehen. Jahre, in denen jeder Autobauer – egal ob vom Abgasskandal belastet oder nicht – auf Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor angewiesen ist.
Wie VW die „Dieselgate“-Drahtzieher finden will
Über ein halbes Jahr VW-Abgas-Skandal und eine entscheidende Frage ist weiter ungeklärt: Wer sind die Drahtzieher des Betrugs, der den größten Autobauer Europas in die schwerste Krise seiner Konzerngeschichte gestürzt hat? Der mächtige VW-Aufsichtsrat hat als Reaktion darauf im Oktober die US-Anwaltskanzlei Jones Day mit einer umfassenden Untersuchung beauftragt, um den Fall aufzuklären. Bis Ende April sollte ein erster Zwischenbericht vorgelegt werden. Diesen hat Volkswagen inzwischen auf unbestimmte Zeit verschoben – eine Veröffentlichung vor der Einigung mit den US-Behörden könne die Verhandlungsposition schwächen, so die Begründung. Der Abschlussbericht soll bis Ende des Jahres folgen.
VW muss zeigen, dass der Konzern die Affäre um manipulierte Emissionstests ernst nimmt und bei der Aufarbeitung nichts vertuscht wird. Das Unternehmen hat zwar Fehlverhalten eingestanden, aber auch immer wieder mit Relativierungen den Unmut der US-Ermittler auf sich gezogen. Anfangs wurde der Abgas-Betrug als „Unregelmäßigkeit“ bezeichnet, im Januar stellte Konzernchef Matthias Müller den Skandal – hausintern als „Diesel-Thematik“ abgetan – dann als „technisches Problem“ dar und sorgte damit für Empörung. Mit einer schonungslosen Aufklärung durch Jones Day könnte VW die wegen möglicher krimineller Vergehen ermittelnde US-Justiz milde stimmen.
VW dürfte auch ein starkes eigenes Interesse daran haben, die Schuldigen ausfindig zu machen. Es geht neben hohen Rechtskosten um die Frage, ob die Manipulationen das Werk einer kleinen Gruppe oder einer Unternehmenskultur sind, die der skrupellosen Trickserei zugeneigt war. Das von US-Klägern gezeichnete Bild einer Verschwörung bis in die Chefetage herauf streitet der Konzern vehement ab. Die Untersuchung soll dafür nun Belege liefern. VW glaubt, den Ursprung des Diesel-Debakels weitgehend nachvollziehen zu können. Der Konzern geht nicht von einem einmaligen Fehler, sondern von einer Fehlerkette aus. Wer jedoch auf konkrete Namen von Verantwortlichen hofft, dürfte enttäuscht werden.
Volkswagen muss die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen schützen. Erst wenn in einem nächsten Schritt die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren einleiten würde, könnten die Namen auch öffentlich genannt werden. Dies würde aber auch der Behörde obliegen. Am Ende dürfte deshalb eher eine Art Chronologie der Ereignisse stehen, in der haarklein die Abläufe vermerkt sind, die im größten Skandal der Konzerngeschichte endeten. Nichtsdestotrotz ist es Ziel von Jones Day, den Sachverhalt im juristischen Sinne aufzuklären. Die Erkenntnisse müssen nicht nur plausibel und stimmig, sondern auch gerichtsfest sein. Deshalb wurden die betroffenen Personen auch von den Ermittlern verhört und ihre Aussagen protokolliert.
An der Aufklärung sind rund 450 interne und externe Experten beteiligt. Die Untersuchungen erfolgen in einem zweigeteilten Prozess: Die interne Revision, für die Experten aus verschiedenen Konzernunternehmen zu einer Task Force zusammengezogen wurden. Sie fokussiert sich im Auftrag von Aufsichtsrat und Vorstand auf die Prüfung relevanter Prozesse, auf Berichts- und Kontrollsysteme sowie die begleitende Infrastruktur. Ihre Erkenntnisse stellt die Revision den externen Experten von Jones Day zur Verfügung. Die Kanzlei führt unter anderem die forensischen Untersuchungen durch und wird dabei operativ vom Wirtschaftsprüfer Deloitte unterstützt.
Die externen Ermittler müssen gigantische Datenmengen sichten. Laut Volkswagen wurden 102 Terabyte gesichert. Das entspricht umgerechnet etwa 50 Millionen Büchern. Mehr als 1500 elektronische Datenträger von rund 380 Mitarbeitern wurden dafür eingesammelt. Da niemand diese Menge an Daten lesen kann, müssen sie mit Suchmaschinen durchleuchtet werden. Ein Problem war dabei, dass die Beteiligten für den Schriftverkehr über die Manipulationen nur Codewörter benutzten – etwa „Akustiksoftware“ für das „defeat device“. Schlagwörter wie die im Skandal zentralen Begriffe „NOx“ oder „Stickoxide“ waren tabu. Wie groß die Datenmasse ist, zeigt ein Vergleich mit den „Panama Papers“, die derzeit Schlagzeilen machen. Sie umfassen 2,6 Terabyte. Mehr als 400 Journalisten brauchten ein Jahr für die Analyse.
Ob Zündschloss-Skandal bei der Opel-Mutter General Motors (GM) oder Airbag-Debakel beim japanischen Zulieferer Takata: Nach der Beteuerung „vollumfänglicher Kooperation“ mit den Behörden ist die interne Untersuchung mit Hilfe bekannter Kanzleien fast immer der nächste Schritt, wenn es für Großkonzerne kritisch wird. Genauso verbreitet wie die Praxis an sich ist allerdings auch die Kritik, dass es sich dabei eher um ein strategisches Alibi-Instrument des Krisen-Managements handelt als um ein wirkliches Bekenntnis zur entschlossenen Aufdeckung von Missständen. Bei den tödlichen Pannenserien von GM und Takata blieben die Vertuschungsvorwürfe trotz Untersuchungen durch externe Prüfer bestehen.
Die Verbrenner-Vision können derzeit die Messebesucher in Peking bewundern. Auf der Auto China stellt VW den T-Prime aus. Was wie ein fettes Steak klingt, ist der Ausblick auf die kommende Generation des Oberklasse-SUV Touareg. Das Concept Car ist freilich mit einem modernen Plug-in-Antrieb ausgerüstet. Dank des Elektromotors und den an der Steckdose aufladbaren Batterien sinkt der Normverbrauch des Benziners auf 2,7 Liter.
Aktuell führt kein Weg am Diesel vorbei
Klingt toll, die Praxis wird aber so aussehen: Von der jüngst beschlossenen Kaufprämie wird der Touareg-Hybrid nicht profitieren, weil er wohl mehr als 60.000 Euro kosten wird. Der Plug-in bleibt eine Nische, das Gros der Käufer wird – zumindest in Europa – zum in Verruf geratenen Diesel greifen.
Soll der Absatz nicht komplett einbrechen, führt bei der aktuellen Gesetzgebung kein Weg am Selbstzünder vorbei. Ein öffentlichkeitswirksamer Verzicht ist also auch von Müller nicht zu erwarten. Wohl aber eine Ansage, welche Technologien VW in welchem Zeithorizont vorantreiben will.
Natürlich wird Müller nicht ganz um einen kurzfristigen Ausblick herumkommen. Viel mehr als ein minimal umformuliertes oder gar wortgleiches Statement zum Stand der Aufklärung wird es kaum geben. Deshalb hier nochmals die Kernaussagen:
- „Aufsichtsrat und Vorstand von Volkswagen mussten allerdings nach eingehender Prüfung der rechtlichen Situation zu der Erkenntnis kommen, dass eine Veröffentlichung von Zwischenergebnissen der Untersuchung zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit unvertretbaren Risiken für Volkswagen verbunden wäre und damit derzeit nicht erfolgen kann.“
- „Eine weitergehende Veröffentlichung oder Beschreibung der aktuell vorliegenden Zwischenergebnisse würde die weitere Untersuchung zum gegenwärtigen Zeitpunkt beeinträchtigen, insbesondere weil die Personen, die noch befragt werden, ihre Aussagen an den Inhalten des Zwischenberichts ausrichten könnten.“
- „Außerdem würde, so die Warnung der Anwälte, eine Veröffentlichung die Zusammenarbeit von Volkswagen mit dem Department of Justice nachhaltig beeinträchtigen und die Position von Volkswagen in den verbleibenden Verfahren schwächen.“
Den Zwischenbericht soll es erst nach der endgültigen Einigung mit dem Justizministerium geben, der vollständige Bericht soll bis Ende des Jahres folgen.“
So brisant die Berichte über die Ursachen und Verlauf des millionenfachen Betrugs sein werden, die Grundsatz-Rede von Konzernchef Müller über die Neuausrichtung wird nicht minder spannend sein.