WirtschaftsWoche: Herr Weselsky, wie geht es Ihnen?
Mittlerweile wieder hervorragend! Es wird Sie aber nicht verwundern, wenn ich sage: Die vergangenen Monate waren für mich nicht ganz einfach.
Die wiederholten Bahnstreiks 2014 haben Sie zu einer Reizfigur in ganz Deutschland gemacht. Wie gehen Sie damit um?
Die persönlichen Attacken waren massiv. Ich habe mir ernsthaft die Frage stellen müssen, ob ich weitermachen will. Die klare Antwort lautet: Ja! Auslöser der Hassattacken auf mich ist die Bahn. Es hat sich in Deutschland noch nie ein Konzern erlaubt, der eigenen Gewerkschaft per Pressemitteilung einen „Amoklauf“ vorzuwerfen. Die GDL ist nicht Amok gelaufen, sondern wir haben unsere Arbeit gemacht, für die unsere Mitglieder ihre Beiträge zahlen.
Zur Person
Claus Weselsky, 55, ist seit 2008 Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL).
Haben Sie in der Auseinandersetzung mit der Bahn und Ihrer Konkurrenzgewerkschaft EVG persönliche Fehler gemacht?
Auf einer Veranstaltung in Fulda ist mir ein Satz über Behinderte herausgerutscht, für den ich mich mehrfach entschuldigt habe. Ansonsten bereue ich nichts.
Kritiker werfen Ihnen Sturheit und Beratungsresistenz vor. Selbst innerhalb der GDL hat sich eine Oppositionsgruppe formiert, die mehr Transparenz von der Gewerkschaftsleitung einfordert.
Rückgrat und innere Haltung haben nichts mit Sturheit zu tun. Richtig ist: Ich stelle meine Entscheidungen nicht ständig in Frage, nur weil der Wind rauer wird. Das mag man belächeln und falsch finden. Aber wer ständig zurückrudert, macht sich nach innen und außen unglaubwürdig. Und was diese internen Kritiker angeht: Hier geht es nicht um einen konstruktiven Dialog, sondern um einen persönlichen Rachefeldzug meines Amtsvorgängers Manfred Schell gegen mich. Mehr muss man dazu nicht sagen.
Was die GDL erreichen will
Wie immer geht es zwischen Arbeitgeber und den Gewerkschaften um Einkommen, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen. Das Besondere an diesem Tarifkonflikt ist jedoch, dass zusätzlich die GDL (34 000 Mitglieder) mit der viel größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG (210 000 Mitglieder) um die Vertretungsmacht bei einem Teil der Belegschaft konkurriert. Die Bahn wiederum will Tarifkonkurrenz vermeiden. Für eine Berufsgruppe soll ihrer Meinung nach nur ein Tarifvertrag gelten.
Die GDL will die Verhandlungsmacht auch für rund 8800 Zubegleiter, 2500 Gastronomen in den Speisewagen, 3100 Lokrangierführer sowie 2700 Instruktoren, Trainer und Zugdisponenten. Das macht zusammen 17 100 Mitarbeiter. Mit den rund 20 000 Lokführern bildet die GDL daraus die Gruppe „Zugpersonal“ mit 37 000 Mitarbeitern. In dieser Gruppe habe sie die Mehrheit der Mitglieder. Die EVG hält von der GDL vorgenommene Zusammenführung für willkürlich und bezweifelt deren Zahlenangaben.
Das ist der heikle Punkt, weil die Gewerkschaften aus dem Organisationsgrad ihr Verhandlungsmandat für die jeweiligen Berufsgruppen ableiten. Wer stärker ist, soll in Tarifverhandlungen das Sagen haben. Die Frage ist jedoch, welche Organisationseinheit man dabei betrachtet: Einen Betrieb, ein Unternehmen im Konzern, eine Berufsgruppe? Je nach dem kann die Mehrheit mal bei der einen, mal bei der anderen Gewerkschaft liegen.
Bei den Lokführern ist die Sache klar: 20.000 sind bei der Bahn beschäftigt. Die GDL reklamiert 78 Prozent von ihnen als ihre Mitglieder, das wären etwa 15.500. Die EVG gibt ihre Mitgliederzahl unter den Lokführern mit 5000 an, davon seien 2000 Beamte. Das geht nicht ganz auf, selbst wenn alle Lokführer gewerkschaftlich organisiert wären. Aber: Das Kräfteverhältnis ist eindeutig, drei zu eins für die GDL. Schwieriger und umstritten ist es bei den übrigen rund 17.000 Mitarbeitern, die nach GDL-Definition zum Zugpersonal zählen. Die EVG sagt, 65 Prozent der Zugbegleiter und 75 Prozent der Lokrangierführer seien bei ihr organisiert. Das wären zusammen allein bei diesen beiden Berufsgruppen 9860 Beschäftigte. Die GDL macht eine andere Rechnung auf: 37.000 Beschäftigte (inklusive Lokführer) gehörten zum Zugpersonal. Davon seien 19.000 GDL-Mitglieder, das sei eine Mehrheit von 51 Prozent.
Für die GDL ist das sehr bedeutsam. Denn ein solches Gesetz könnte ihre Handlungsmöglichkeit einschränken. Möglicherweise verlöre sie in bestimmten Ausgangslagen das Streikrecht. Damit wäre die GDL wie andere Berufsgewerkschaften in ihrer Existenz bedroht. Die GDL hat bereits angekündigt, dass sie ein solches Gesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen würde.
Streiks in rascher Folge, Lähmung des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft sollen erschwert werden. Die Diskussion hatte durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes schon vor vier Jahren an Fahrt gewonnen. Die Richter stärkten die Tarifvertrags-Vielfalt und die Konkurrenz unter großen und kleinen Gewerkschaften. Der Grundsatz „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ wurde damals hinfällig.
Wie hat sich das negative Echo in der Öffentlichkeit auf die Mitgliederzahl der GDL ausgewirkt? Es soll aus Protest gegen Ihre Verhandlungsstrategie eine Reihe von Austritten gegeben haben.
Es gab Austritte, aber es gab auch Eintritte. Ein solche Fluktuation ist vor und während einer Tarifauseinandersetzung – und auch sonst – normal. Unter dem Strich ist unsere Mitgliederzahl im Verlauf des Tarifkonflikts nicht gesunken.
An diesen Montag nehmen Bahn und GDL ihre Tarifverhandlungen wieder auf, ein weiteres Treffen ist für den 28. Januar geplant. Ist eine Einigung nahe?
Nein. Wir werden bis Ende Januar keinen Abschluss hinbekommen, dazu ist die Materie zu kompliziert. Unser Ziel ist es aber, bis zum März durch zu sein. Wenn die Bahn auf Zeit spielt und den Konflikt in die Länge zieht, wofür es Hinweise gibt, dann werden wir darauf reagieren.
Darum geht es bei der geplanten Tarifeinheit
Kommen weite Teile des Verkehrs in Deutschland durch Streiks bei der Lufthansa und der Bahn zum Erliegen? Das drohende ungemütliche Szenario setzt die Bundesregierung unter Druck, das Treiben kleiner, aber durchsetzungsstarker Gewerkschaften einzudämmen. Kommt das Gesetz zur Tarifeinheit - und wenn ja, wird es überhaupt helfen? Die wichtigsten Fragen im Überblick.
Quelle: dpa
Streiks in rascher Folge, Lähmung von öffentlichem Leben und Wirtschaft sollen erschwert werden. Die Debatte hatte durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes schon vor vier Jahren an Fahrt gewonnen. Die Richter stärkten Tarifvertrags-Vielfalt und Konkurrenz unter großen und kleinen Gewerkschaften. Der Grundsatz „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ wurde hinfällig.
Mit Arbeitsniederlegungen können etwa Lokführer, Piloten oder Klinikärzte und ihre Spartengewerkschaften trotz teils rein zahlenmäßig kleiner Bedeutung große Störungen verursachen und hohe Abschlüsse durchsetzen. Dabei können chaotische Zustände eintreten. Zum Beispiel will die Bahn unbedingt vermeiden, dass es für Lokführer zwei Tarifverträge gibt - einen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und einen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Nachdem die GDL auch für das übrige Zugpersonal Forderungen erhebt, will die EVG im Gegenzug auch für die ihr angehörenden Lokführer verhandeln.
Unmittelbar nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts forderten Arbeitgeber und DGB von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) 2010 eine Gesetzesänderung. Wenn sich in einem Betrieb die Geltungsbereiche mehrerer Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften überschneiden, sollte nur jener der dort größten Gewerkschaft gelten. Doch die ungewohnte Eintracht beider Seiten bröckelte - inzwischen lehnt der DGB eine Gesetzesregelung ab, falls damit eine Einschränkung der Tarifautonomie und des Streikrechts verbunden ist.
Im Moment liegt das Vorhaben auf Eis. Vor der Sommerpause wurde ein Eckpunktepapier von der Tagesordnung des Kabinetts genommen. Bedenken gibt es nicht nur beim DGB, sondern auch in der Unionsfraktion, nicht nur beim CDU-Abgeordneten Rudolf Henke, der auch Chef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund ist. Doch fallengelassen hat die Regierung die Pläne nicht. Ein Sprecher von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) versicherte am Montag, man werde nach der Sommerpause darüber sprechen. Einen konkreten Termin könne er allerdings noch nicht nennen.
Laut den Eckpunkten soll Tarifpluralität aufgelöst werden - außer wenn die Gewerkschaften ihre Zuständigkeiten abgestimmt haben und die Tarifverträge für verschiedene Arbeitnehmergruppen gelten oder wenn sie inhaltsgleiche Tarifverträge abgeschlossen haben. Andernfalls soll nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die im Betrieb mehr Mitglieder hat. Auch die Minderheitsgewerkschaft hat dann Friedenspflicht.
Streikrecht und Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer könnten gefährdet werden, wenn die Regelungen wirklich wirkungsvoll sein sollen. Es könnte auch schwer zu ermitteln sein, welche die größte Gewerkschaft ist. „Sollen die Gewerkschaften alle ihre Mitgliederlisten offenlegen - und wem gegenüber?“, fragt Henke. Bereits angekündigte Klagen gegen die Gesetzespläne könnten zu Rechtsunsicherheit und langem Hickhack führen. Das Gesetz könnte zum zahnlosen Tiger werden.
Das heißt: Sie wollen wieder streiken?
Die Urabstimmung ist bekanntlich gelaufen. Ein Arbeitskampf ist daher jederzeit möglich. Wir werden Ende Januar eine Bilanz ziehen und entscheiden, wie es weiter geht. Danach kann alles sehr schnell gehen. Dann sind wir quasi über Nacht wieder im Arbeitskampfmodus. Dann müssen wir wieder mehr trommeln und pfeifen, als er der Bahn lieb ist.
Wo ist das Problem? Die Bahn hat doch Ihre Hauptforderung erfüllt und will mehrere Tarifverträge für einzelne Berufsgruppen akzeptieren. Damit kann die GDL erstmals für das gesamte Zugpersonal verhandeln.
Das war in der Tat eine große und schöne Weihnachtsüberraschung. Erstmals in dieser Tarifrunde können wir nun über Inhalte reden. Zum Beispiel über die Frage, ob wir einen eigenen Tarifvertrag für die Zugbegleiter brauchen oder ob sich diese in das existierende Tarifwerk für Lokführer integrieren lassen. Wir haben im Übrigen das Entgegenkommen der Bahn honoriert und fordern unter anderem statt einer Arbeitszeitverkürzung von zwei Stunden nur noch eine Stunde weniger – auf dann 38 Stunden.