Insolvenzverfahren Zehn Jahre mit dem Schutzschirm – eine Bilanz

Passanten kämpfen mit dem Wind und ihrem Regenschirm. Quelle: dpa

Ob Karstadt-Kaufhof, Gerry Weber oder Esprit – in den vergangenen Jahren haben hunderte Krisenfirmen Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung genutzt. Taugt das Instrument als Allzweckwaffe für die Unternehmenssanierung?

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Als am 1. März 2012 das neue Insolvenzrecht in Kraft trat, war die Euphorie groß. Mit dem „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ – kurz Esug – sollte nicht weniger als „ein Mentalitätswandel für eine andere Insolvenzkultur eingeleitet werden“, pries die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ihr Gesetzeswerk. Schneller und leichter sollten Unternehmen künftig ihre Restrukturierung schaffen. Der Kern der Reform: Unternehmer und Firmenchefs, die rechtzeitig Hilfe suchen, sollten per Eigenverwaltungsverfahren mehr Einfluss auf den Verlauf der Insolvenz erhalten. Doch hat sich die Hoffnung auf den Sanierungsturbo für angeschlagene Unternehmen erfüllt? Und wie viele Unternehmen haben so langfristig den Sprung aus der Krise geschafft?

Genau zehn Jahre nach dem Esug-Start haben die Experten der Insolvenzkanzlei Schultze & Braun die Datenlage analysiert und dabei jene Unternehmen näher betrachtet, die seit März 2012 mindestens zwei Mal einen Insolvenzantrag gestellt haben. Unternehmen also, bei denen die erste Sanierung nicht so nachhaltig war, dass der erneute Gang zum Insolvenzgericht vermieden werden konnte. 

Das Ziel: „Wir wollen herausfinden, wie erfolgreich und nachhaltig Sanierungen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, einer Eigenverwaltung oder eines Schutzschirmverfahrens sind“, sagt Schultze&Braun-Partner Volker Böhm, der die Untersuchung fachlich geleitet hat. Die Resultate sind zumindest für Esug-Enthusiasten durchaus überraschend: Eigenverwaltungen schneiden demnach in puncto Nachhaltigkeit der Sanierung nämlich nicht per se besser ab als Regelinsolvenzverfahren. 

Geringe Zahl an Zweitinsolvenzen

Die Experten haben insgesamt 114 Zweitinsolvenzen im Detail analysiert. Zwar ist der Anteil der Zweitinsolvenzen ohne direkten Esug-Bezug in der Erstinsolvenz (70 Zweitinsolvenzen) im Vergleich zum Anteil mit Esug-Bezug (44 Zweitinsolvenzen) rund 1,6-mal so hoch. Zieht man jedoch die insgesamt weitaus größere Anzahl an Regelverfahren unter allen Insolvenzverfahren in Betracht, relativiert sich der Abstand. So liegt der Anteil von Eigenverwaltungen insgesamt bei unter drei Prozent aller Firmenpleiten.

Generell sei die Zahl an Zweitinsolvenzen jedoch äußerst gering. „Bei rund 2.200 Eigenverwaltungen und Schutzschirmverfahren über zehn Jahre sind 44 Zweitinsolvenzen eine Nachhaltigkeits-Quote, die sich definitiv sehen lassen kann“, sagt Böhm. Das Gleiche gelte aber auch für die Regelinsolvenzverfahren.

Die Untersuchung mache deutlich, dass in den Instrumentenkoffer eines Sanierers die Esug-Verfahren gehörten, aber genauso auch das Regelinsolvenzverfahren und die seit 2021 erleichterte Restrukturierung außerhalb der Insolvenz. „Die passende Sanierungsform sollte für jedes Unternehmen immer individuell geprüft werden“, empfiehlt Böhm. 

Das dürften auch die Mitglieder des Forum 270 unterschreiben. Der Zusammenschluss renommierter Insolvenzexperten hat ebenfalls Bilanz gezogen und zehn Thesen zum Esug formuliert. Die wichtigste: Die Eigenverwaltung habe sich „als effektive, planbare und erfolgreiche Möglichkeit zur Sanierung notleidender Unternehmen erwiesen“ und sei „ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen Sanierungskultur“. Dies würden auch die Zahlen bestätigen. „Im Jahr 2021 waren von den 50 größten Unternehmensinsolvenzen rund die Hälfte Eigenverwaltungsverfahren“, sagt Restrukturierungsexperte Marc-Philippe Hornung aus dem Vorstand des Forums 270. Das zeige, dass sich „die Esug-Werkzeuge in der Praxis etabliert haben.“ 

Ein Vorteil von Eigenverwaltungsverfahren sei ihre Planbarkeit, ergänzt der Düsseldorfer Insolvenzverwalter Dirk Andres, der ebenfalls Mitglied im Vorstand des Forums 270 ist. „Der Geschäftsbetrieb kann nahezu unterbrechungsfrei weitergeführt werden“, so Andres. Das ist bei klassischen Verfahren in Fremdverwaltung „nicht so einfach machbar.“ Allerdings wurden die Zugangsvoraussetzungen für Eigenverwaltungen im vergangenen Jahr deutlich verschärft. „Das beugt einerseits Missbrauch vor, erhöht aber auch den Beratungs- und Vorbereitungsaufwand“, sagt Andres. 

Was bringt das Starug?

Neben Regel- und Eigenverwaltungen wurde mit dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (Starug) im vergangenen Jahr auch die Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens erleichtert. Seit Anfang 2021 reicht es, wenn angeschlagene Unternehmen, die noch nicht zahlungsunfähig oder überschuldet sind, eine Mehrheit der Gläubiger vom ihrem Restrukturierungsplan überzeugen. Einzelne Gläubiger, an deren Widerspruch außergerichtliche Sanierungen bisher häufig scheiterten, können nun überstimmt werden. Bislang machen allerdings nur wenige angeschlagene Unternehmen davon Gebrauch, geht aus einer Auswertung des Fachmagazins „INDat Report“ hervor. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr demnach nur 22 Anträge für das Starug-Verfahren registriert. 

Für die Auswertung wurden den Angaben zufolge alle 24 Restrukturierungsgerichte befragt, die die vertraulichen Verfahren auf Antrag des betroffenen Unternehmens einleiten und beaufsichtigen. In 4 der 22 Verfahren gab es im vergangenen Jahr einen gerichtlich bestätigten Restrukturierungsplan. Dazu zählte das Modeunternehmen Eterna, das das Vorhaben selbst publik machte. Andere Verfahren waren Ende 2021 noch nicht abgeschlossen, oder das Unternehmen zog die Anzeige zurück.

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Grub-Brugger-Partner Frank Schäffler und sein Team haben nach eigenen Angaben bislang drei Starug-Verfahren begleitet. „Noch sind die Fallzahlen zwar überschaubar, aber in der Beratung ist das Thema durchaus präsent“, sagt er. „Das Starug lässt sich sehr schnell umsetzen, bietet gute Verhandlungsoptionen und ist teils auch eine geeignete Reaktionsmöglichkeit, wenn beispielsweise Finanzierungsgespräche ins Stocken geraten, oder sich Gesellschafter uneins sind“, sagt Schäffler. Dass das neue Verfahren die Eigenverwaltung überflüssig macht, glaubt er zwar nicht. Aber: „Ich gehe davon aus, dass Starug-Verfahren in Zukunft den ein oder anderen Eigenverwaltungsfall ablösen werden.“ 

Für Marc-Philippe Hornung vom Forum 270 bietet das Starug in bestimmten Situationen gute Sanierungsmöglichkeiten, etwa bei rein finanzwirtschaftlichen Problemen, oder wenn Gesellschafterkonflikte gelöst werden müssen. „Sobald es aber darum geht, die Gummistiefel anzuziehen und operative Themen hinzukommen“, sagt Hornung, „ist die Eigenverwaltung das Mittel der Wahl.“ 

Mehr zum Thema: Detailauswertungen des Insolvenzverwalter-Rankings zeigen, welche Verwalter die umsatzstärksten Insolvenzfälle betreut haben – und wer die meisten Verfahren bearbeitet hat.

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