Interview mit BBDO-Chef Frank Lotze "Ohne Ideen sind Daten nutzlos"

Fank Lotze, Chef der größten deutschen Werbeagentur BBDO, über das schlechte deutsche Fernsehen, den aktuellen Smart-Spot und die Zukunft seiner Branche.

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Frank Lotze Quelle: Frank Reinhold für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Lotze, warum gilt Werbung aus Deutschland weltweit als so langweilig und weit abgehängt von witzigen Kampagnen aus den USA, England oder Brasilien?

Moment, Einspruch: Kennen Sie unseren aktuellen Spot für den Smart nicht?

Den, in dem der Wagen zu lauter Rockmusik in felsigem Gelände stecken bleibt?

Genau – erst scheitert das Auto im unwirtlichen Gelände, dann prescht es in der Stadt in eine winzige Parklücke, und der Zuschauer denkt: Der kann und darf das. Der Film funktioniert weltweit, ist sehr erfolgreich und der bisher am meisten ausgezeichnete TV-Spot aus Deutschland. In allen Ländern, in denen für Smart geworben wird, wurde der Film häufiger geschaltet als geplant. Er lief sogar während des Endspiels um die US-Football-Meisterschaft, dem Superbowl. Gar so öde scheint Werbung aus Deutschland nicht zu sein...

Kassieren Sie nun bei jeder weiteren Ausstrahlung mit?

Der Aspekt der Honorierung ist sekundär. Wir freuen uns sehr darüber, dass der Film weltweit läuft, das ist im Bereich Auto nicht selbstverständlich.

Die fünf kreativsten Werbeagenturen Deutschlands

Mit dem britischen Zigarettenkonzern Imperial Tobacco Group haben Sie gerade einen internationalen Großkunden gewonnen. Kamen Sie innerhalb Ihres Netzwerkes BBDO nur zum Zuge, weil Ihre Konzernmutter in England und den USA eine strikte Anti-Qualm-Politik verfolgt?

Nein, es gibt kein grundsätzliches No-Go bei BBDO. Wir sind ein liberales Netzwerk ohne irgendwelche Anti-Tabak-Richtlinien. Zigaretten sind ein frei verkäufliches Produkt, das man bewerben darf. Insofern waren wir völlig frei, uns um diesen Etat zu bewerben...

...der Ihnen nun angeblich mehr als 20 Millionen Euro im Jahr beschert?

Die Zahl kommentiere ich nicht, aber das ist sicher einer der größten Etats, der international in den vergangenen zwölf Monaten ausgeschrieben wurde. Wir sind verantwortlich für alle ITG-Marken weltweit, also etwa Gauloises, JPS, Davidoff und West. Allein für ITG werden wir in Düsseldorf 80 Mitarbeiter einstellen. Bei uns haben sich Leute aus der ganzen Welt beworben, sie kommen von Top-Agenturen wie AKQA, Razorfish und Wieden & Kennedy und werden unseren Standort noch einmal zusätzlich beleben. Gleichzeitig bauen wir Teams in Bristol, am Hauptquartier des Kunden, und London auf. Und in Hamburg stocken wir unser Designteam auf.

Köpfe und Talente

Diese Sport-Stars machen mit Werbung Kasse
Eon & ErdingerMagdalena Neuner hat ihre Biathlon-Karriere 2012 zwar beendet. Für die Werbung ist sie aber auch nach dem Ende ihres sportlichen Schaffens interessant. Bei der einstigen Weltklasse-Sportlerin stehen die Sponsoren Schlange, sie kann sich ihre Verträge aussuchen. Zu den bekanntesten Partnern gehören die Techniker Krankenkasse, der Energielieferant Eon und die Brauerei Erdinger. Auch Audi und Adidas arbeiten mit Neuner zusammen. Gemeinsam mit dem Ex-Profifußballer Christoph Metzelder wirbt sie zudem für Allpresan.
Adidas, McDonald's und Ab-in-den-Urlaub.deMichael Ballack schickt schon seit 2009 Reisende ab in den Urlaub und das mit Erfolg. Die Zusammenarbeit mit den Online-Portal ab-in-den-Urlaub.de wurde im April 2014 bis 2017 verlängert. „Wir freuen uns über die weitere Zusammenarbeit mit Michael Ballack. Er gehört auch nach seinem Karriereende als aktiver Fußballprofi zu den bekanntesten deutschen Sportlern. Sein positives Image und seine hohe Bekanntheit passen perfekt zu ab-in-den-urlaub.de. Hinzu kommen seine große Professionalität und Beliebtheit, die ihn für uns zu einem wertvollen und sympathischen Partner machen“, so Geschäftsführer Andreas Prokop. In der Vergangenheit warb Micheal Ballack unter anderem für Sportartikel, Fast Food und war das Werbegesicht von Adidas und McDonald's. Quelle: PR
Hugo Boss, Red Bull und Puma Er hat gut lachen: Rund 2 Millionen Euro verdient Mario Gomez mit Werbeeinnahmen und durch Sponsoringverträge. Gomez hat bereits Hugo Boss, Red Bull und Puma sein Gesicht geliehen. Der Sporthersteller hat den Deal mit dem Bayern-Spieler allerdings Anfang dieses Jahres gekündigt – pro Jahr soll Gomez alleine durch Puma rund eine Million Euro verdient haben. Quelle: dpa
Adidas, Rewe und PrinzenrolleAuf der Website von Fußballer Lukas Podolski fällt zuerst die prominente Adidas-Werbung auf. Aber damit nicht genug: Der Spieler vom FC Arsenal hat außerdem noch Werbedeals mit Rewe, dem Solarstromtechnologiekonzern SolarWorld und – passend zu Prinz Poldi – der Prinzenrolle. Darüber hinaus macht sich „Poldi“ für die DKMS (Deutsche Knochenmarkspenderdatei) stark und war dort auf den Plakaten zu sehen. Mit seinen Werbeverträgen nimmt der Fußballer rund 2 Millionen Euro ein. Quelle: AP
Nintendo, Adidas und CEWEPhilipp Lahm macht vor allen Dingen gerne in eigener Sache Werbung. Zu seinen Partnern gehören unter anderen Nintendo, Adidas und das CEWE Fotobuch. Die Konzerne unterstützen den Abwehrspieler auch bei seinen beiden Projekten, der Philipp Lahm-Stiftung und dem Philipp Lahm-Sommercamp für Kinder. Insgesamt nimmt der Fußballprofi nur mit seinen Werbeeinnahmen rund 2 Millionen Euro ein. Quelle: dapd
Mercedes-Benz und NikeMario Götze verdient mit seinen Deal rund 2,5 Millionen Euro, er macht dabei unter anderem Werbung für Mercedes-Benz und Nike. Nach seinem Wechsel-Skandal trägt der Ex-BVBler, der zukünftiger bei Bayern spielen wird, im Spot für den Stuttgarter Autobauer vorsichtshalber ein Trikot, das die Gemüter nicht so erhitzt - das der Nationalmannschaft. Quelle: dapd
Müllermilch, Bifi und ReweEs „müllert“ überall. Thomas Müller (links im Bild) hat schon so einige gewinnbringende Werbedeals an Land gezogen. Mit Werbeeinnahmen von rund 2,5 Millionen Euro gehört der Bayern-Stürmer Thomas Müller zu den gut verdienenden deutschen Spitzensportlern in der Werbung. Quelle: AP

Vor drei Jahren kündigten Sie an, dass BBDO in der Rangliste der kreativsten deutschen Agenturen unter die Top Drei kommen soll, heute stehen Sie tatsächlich auf Platz eins. Haben Sie Geld in einen Award-Etat gepumpt, um in Kreativ-Wettbewerben zu glänzen?

Nein, im Gegenteil: Wir liegen mit unseren Award-Ausgaben im unteren Drittel dessen, was lokale Agenturen hierzulande für die Teilnahme an Wettbewerben ausgeben. Ausschließlich ungebriefte Award-Ideen für Scheinkunden zu produzieren, vollkommen losgelöst vom Tagesgeschäft, ist nicht marktkonform. Wir haben stattdessen in Köpfe und Talente investiert. So hat die BBDO-Gruppe mit Wolfgang Schneider seit 2011 wieder einen gesamtverantwortlichen Kreativchef. Diese Strategie zahlt sich nun aus.

2014 vergeben viele Unternehmen ihre Werbeetats neu. Haben Sie Vorgaben aus der Zentrale in New York, wie viel Neugeschäft Sie an Land ziehen müssen?

Dazu brauchen wir keine Vorgaben, das ist für uns wie beim Fußball: Wenn wir antreten, wollen wir gewinnen. Bislang sind wir gut unterwegs: Keine andere Agentur hat in den vergangenen drei Jahren so viel Neugeschäft gewonnen wie wir. Vor zwei Wochen etwa haben wir den ARAG-Etat geholt – gegen starke Konkurrenz.

Der Gesamtverband der Werbeagenturen rechnet für 2014 mit einem Umsatzwachstum im Agenturgeschäft von 7,4 Prozent – wären Sie damit zufrieden?

Nein, das wäre ich nicht, denn unser Anspruch als Marktführer ist es, über dem Durchschnitt zu wachsen. Bis jetzt haben wir das auch geschafft. Wir haben den Umsatz und Gewinn in der Gruppe seit 2010 kontinuierlich gesteigert.

Dann müssten Sie die 500-Millionen-Umsatz-Schwelle bald erreicht haben?

Dazu möchte ich nichts sagen, weil unsere Konzernmutter in New York an der Börse notiert ist. Wir sind allerdings auf einem sehr guten Weg und profitieren davon, dass auch potenzielle Kunden BBDO wieder als erstklassige Kreativagentur wahrnehmen. Es gibt kaum einen großen Pitch, zu dem wir nicht eingeladen sind.

"Umparken im Kopf" - Wenn Firmen neugierig machen wollen
„Umparken im Kopf“Die Welt ist voller Missverständnisse – das greift die Werbekampagne „Umparken im Kopf“ auf ihren zahlreichen Plakaten in deutschen Innenstädten auf: „Aus Sicht der Physiker kann die Hummel unmöglich fliegen – Der Hummel ist das egal“ heißt es auf dem einen Plakat, auf dem anderen  „68 Prozent der Männer halten rothaarige Frauen für  feuriger – 90 Prozent davon haben noch nie eine kennen gelernt.“ Die dazugehörige Internetseite zeigt Videos von Prominenten, die sich über Vorurteile aufregen. Das werbende Unternehmen dahinter kommt nicht zum Vorschein. Dabei handelt es sich um eine sogenannte „Teaser“—Kampagne, die Neugier wecken will. In solchen Fällen folgt meist eine Auflösungs-Kampagne, die klar stellt wer oder was dahinter steckt. Hierbei soll es der angeschlagene Autobauer Opel sein, der dies jedoch nicht bestätigt. Werbeexperte Ronald Focken sieht darin einen Versuch, Opel von seinem staubigen Image zu befreien: „Opel hat seit seiner Neuaufstellung gute Kampagnen gemacht, aber konnte mit den herkömmlichen Werbemechanismen nicht von den alten Vorurteilen loskommen“, sagt der Geschäftsführer der Münchner Werbeagentur Serviceplan, die nicht in der Opel-Kampagne involviert ist. Solche Neugier weckenden Kampagnen lohnen sich immer dann, wenn es darum geht, eine alte Marke neu zu entdecken, oder neue Marken vorzustellen. Dies zeigen folgende Beispiele. Quelle: Screenshot
Ich bin ON Quelle: imago/Enters
Don't be a Maybe Quelle: imago / steinach
Daewoo und DuSchon 1995 bediente sich der südkoreanische Autohersteller Daewoo einer Teaser-Kampagne, um sich den deutschen Kunden vorzustellen. Die damals unbekannte Automarke bewarb sich, indem rote Lippen vor weißem Hintergrund eingängig „Daewoo! Daewoo und Du! Daewoo und Du, eine Freundschaft beginnt!“ sangen. Die Stimme dahinter kam von Popstar Jennifer Rush. Daraufhin wurde der Text eingeblendet: „Wenn Sie wissen wollen, wer oder was sich hinter Daewoo verbirgt, rufen Sie bis zum 27.02.1995 an und gewinnen Sie eine Reise nach Fernost.“ Auch hier sollte die Neugier wieder für eine ganze Marke geweckt werden, erklärt Ronald Focken von der Werbeagentur Serviceplan. „Wegen ihrer hohen Kosten gibt es Teaser-Kampagnen meist nie für einzelne Produkte, sondern immer für ganze Markenauftritte.“ Grundsätzlich gehen solche Kampagnen zurück – vor allem sind sie nicht mehr in dem großen Ausmaß zu finden, wie bei E.On 2002. Opel ist aktuell etwa mit weniger Plakaten vertreten und setzt stattdessen stärker aufs Internet.  „Marketingchefs haben heutzutage gar nicht mehr das Budget, in eine Kampagne mit so vielen Plakaten und Printanzeigen zu investieren, die letztlich nur Neugier schaffen soll.“ Quelle: Screenshot

Liegt das nicht eher daran, dass immer mehr Werbekunden ihre Etats auf Großagenturen konzentrieren?

Ja, das wirkt sich positiv für uns aus. Alles andere wäre aber auch am Markt vorbeigedacht. In der globalisierten und digitalisierten Produkt- und Marketingwelt findet eine Konzentration auf die großen Agenturzentralen statt. Natürlich haben auch lokale Agenturen ihre Berechtigung. Und das ist auch gut so. Aber bei weltweiten Etats – wie dem von ITG – bleiben lokale deutsche Agenturen meist außen vor.

Warum?

Weil sie nicht die internationale Expertise haben, weil ihnen das globale Netzwerk fehlt und weil sie nicht so breit aufgestellt sind, um das gefragte Leistungsspektrum zu bieten. Kommunikation lässt sich nicht mehr auf Landesgrenzen oder einzelne Kanäle beschränken. Wir leben in einem Verdrängungswettbewerb, und der wird härter. Budgets werden gebündelt und wachsen nur noch bedingt. Gleichzeitig müssen Agenturen in der Lage sein, viel mehr Kanäle zu bespielen. Früher gab es praktisch nur TV, Funk, Print und Plakat. Heute liegt der Anteil dieser klassischen Medien bei großen, internationalen Etats oft nur noch bei 30 bis 40 Prozent. Das Gros fließt in digitale und dialogische Maßnahmen.

Die Rolle des Fernsehens

Wie RTL und Sat.1 das Fernsehen veränderten
1. Januar 1984Die Ära des Privatfernsehens in Deutschland begann am 1. Januar 1984 um 9.58 Uhr. Die Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk (PKS) ging um diese Zeit mit Sat1 auf Sendung, RTL plus folgte einen Tag später. Der damalige Geschäftsführer, Jürgen Doetz, begrüßte das Publikum gemeinsam mit Moderatorin Irene Joest vor den Fernsehern mit den Worten: „Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Moment sind Sie Zeuge des Starts des ersten privaten Fernsehveranstalters in der Bundesrepublik Deutschland.“ Quelle: dpa
2. Januar 1984Am 2. Januar 1984 sah das Publikum dann Helmut Thoma, damals Direktor der deutschen Programme, auf der Mattscheibe. Er begrüßte die Fernsehzuschauer zum Senderstart der ersten RTLplus-Sendung. RTLplus sendete damals aus Luxemburg sein deutschsprachiges Programm. 1988 zog der Privatsender nach Köln. Für Köln sprach, dass bereits wegen des WDR Übertragungsleitungen vorhanden waren. Quelle: dpa
8. April 1988Der junge Sender musste um das Publikum kämpfen. Erfolge verzeichnet RTL dabei unter anderem mit seiner Comedy-Spielshow „Alles Nichts Oder?!“ mit Hella von Sinnen und Hugo Egon Balder (hier im Jahr 2008). Trotz kleinem Budget und minimaler Ausstattung war das Moderatorenduo sehr gewinnbringend für den Sender. Die Grundidee war ein Kindergeburtstag für Erwachsene. Ein prominenter Gast musste an albernen Spielen teilnehmen und sich gegen die Moderatoren behaupten. Der Gewinn war eine Torte. Derjenige, der das Spiel verlor, musste seinen Kopf durch ein Loch in der Wand stecken, um dann die Torten aus dem Publikum ins Gesicht geworfen zu bekommen. Das klingt letztlich infantiler, als die Show tatsächlich war. Die Sendung lief bis 1992. Quelle: dpa
7. November 1988Große Erfolge brachte Sat.1 die Sendung „Glücksrad“ ein. Zum ersten Mal drehte es sich im Privatsender am 7. November 1988. Moderiert wurde die Ratesendung von Frederic Meisner (links) und Schauspieler Peter Bond (rechts), die sich wöchentlich abwechselten. Die Buchstabenfee, also die Dame, die die Buchstaben der Ratewand umdreht, war Maren Gilzer. Die Spiele-Show war montags bis freitags um 19.30 Uhr zu sehen. Wegen des hohen Erfolges wurde sogar 1991 eine samstägliche und eine sonntägliche Ausgabe ins Programm genommen. Fast sieben Jahre lang war das „Glücksrad“ damit täglich zu sehen. Vorbild für die Sendung war die US-Show „Wheel of Fortune“. Die Adaption ausländischer Formate wurde schnell zu einem Steckenpferd der Privaten – denn das brachte enormen Erfolg. Quelle: dpa
21. Januar 1990Die erste erotische TV-Show im deutschen Fernsehen war die Spiele-Show „Tutti Frutti“, moderiert von Hugo Egon Balder. Die Gäste konnten in Raterunden Punkte gewinnen, die sie in abzulegende Kleidungsstücke der Stripperinnen investierten. Den Privaten hing damals wegen zahlreicher Erotikfilmen im Nachtprogramm ein Schmuddel-Image an. „Tutti Frutti“ änderte daran nicht viel, wurde jedoch zum vieldiskutierten Gesprächsthema. Das Punktesystem begriff kaum jemand, nackte Haut wollten dafür genug Interessenten sehen. Ein Novum, was der Sender auch offensiv bewarb: Die Kandidaten mussten auch selbst Kleidung ablegen – und die Zuschauer durften hoffen, Nachbar oder Nachbarin in Unterwäsche zu erwischen. Die Sendung lief auf RTL bis 1993. Quelle: dpa
10. Dezember 1991Rosa von Praunheim präsentierte zu Beginn einer jeden Ausgabe der Show „Explosiv - Der heiße Stuhl“ eine Person, über die sie provokante Thesen aufstellte. Anschließend musste derjenige auf dem heißen Stuhl platznehmen und mit fünf weiteren Gästen über diese Thesen diskutieren. Dabei kam es zu lauten, persönlichen Diskussionen, die der Moderator immer wieder anheizte. Filmemacher Rosa von Praunheim outete in seiner Sendung außerdem die TV-Lieblinge Hape Kerkeling und Alfred Biolek als schwul, was einer der größten Skandale der TV-Geschichte war. Sein Kommentar dazu: „Mein Outing von schwulen Prominenten war ein Verzweiflungsschrei auf dem Höhepunkt der Aidskrise“, erklärt der heute 69-jährige Rosa von Praunheim auf seiner Website. Ihm ging es damals darum, schwule Sympathieträger, die versteckt lebten, zur Solidarität mit der Homosexuellengemeinschaft zu bewegen, weil es in ihr die meisten HIV-Infizierten und Aids-Toten zu beklagen gab. Generell war „Explosiv“ die wohl umstrittenste, da krawalligste Talkshow der privaten Fernsehsender. Quelle: dpa
19. Januar 1992Linda de Mol startete 1992 die Sendung „Traumhochzeit“ auf RTL. Die Sendung zählte mit bis zu elf Millionen Zuschauern zu den beliebtesten deutschen Fernsehsendungen der 1990er Jahre. Bis zum Jahr 2000 konnten in der Sendung drei Paare gegeneinander antreten, die (neben verschiedenen kleineren Preisen) eine Traumhochzeit gewinnen konnten. Der gigantische Erfolg der Samstagabend-Show legte den Grundstein für das Imperium der niederländischen Produktionsfirma Endemol, heute zweitgrößter Fernsehproduzent der Welt. Mitbegründer der Firma: Lindas Bruder John de Mol. Quelle: dpa

Welche Rolle spielt das Fernsehen noch?

Werbefilme werden immer das dominante Format sein. Nichts emotionalisiert mehr. Ob die Filme dann im TV oder auf dem Tablet laufen, ist egal.

Aber ist Opas Fernsehen wirklich noch attraktiv genug als Werbeumfeld? Die kaufkräftigen Zuschauer wandern ab, und auch die Älteren sehen immer häufiger Filme und Serien auf Web-Portalen wie Watchever oder bei Amazon.

Man muss sich die Frage stellen, ob die TV-Sender genug für ihr Medium tun. Sind sie innovativ genug, produzieren sie ausreichend gute Formate, erregen sie die Neugier der Zuschauer? Für meinen Geschmack könnten die Sender hier mehr unternehmen. Eine Agentur sucht ein attraktives Werbeumfeld, weil sie viele Menschen erreichen möchte für ihre Kunden. Mein Eindruck ist, dass das traditionelle Fernsehen dies oft nicht optimal erfüllt.

Woran liegt das?

Die Programmverantwortlichen setzen häufig auf Althergebrachtes, auf bekannte Muster, die sich dann totlaufen. Mittlerweile ist ja schon jede deutsche Familiensaga durchgefilmt worden. Oder die immer gleichen Castingshows, die rauf und runter laufen. Dabei suchen die Zuschauer durchaus nach neuen Formaten. Da ist es kein Wunder, dass immer mehr Leute – vor allem die jüngeren – ins Internet zu den Portalen abwandern. Allerdings ist das kein Naturgesetz. Es gibt genug Vorbilder für kreative Inhalte, die funktionieren.

Woran denken Sie?

In den USA gibt es gerade eine regelrechte Renaissance des Fernsehens dank toller Serien wie „House of Cards“ oder „Game of Thrones“. Das sind einzigartige Formate. Damit lassen sich Millionen vor die Bildschirme locken. Bei uns wird stattdessen die nächste Kochshow serviert, bis uns das Ganze zum Hals raushängt. Entscheidend ist die Qualität des Inhalts und nicht die Berechtigung des Mediums an sich.

Aber zersplittert das Publikum nicht dennoch in immer kleinere Fraktionen?

Das ist so, wird aber allzu oft auch schlicht als Ausrede für sinkende Quoten missbraucht. Denn gleichzeitig vernetzen sich die Leute auch so stark wie nie zuvor. Und das müssen wir genauso berücksichtigen wie die angebliche Zersplitterung. Werbung muss Menschen clustern und versammeln, ich kann nicht jeden individuell ansprechen, das wäre völlig ineffizient. Wir müssen möglichst viele Menschen mit einer Werbebotschaft erreichen.

Angeblich brechen doch gerade für Werber goldene Zeiten an, weil sie dank Big Data – den Unmengen von Daten, die jeder Internet-Nutzer hinterlässt– individualisierte Werbung schneidern können?

Daten sind ein toller Rohstoff, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Mit ihrer Hilfe können wir Zielgruppen segmentieren: Wen will und kann ich erreichen? Mit welcher Botschaft? Erreiche ich die richtigen? Wann sind sie empfänglich für die Werbebotschaft? Aber selbst, wenn ich Tausende von Daten beisammen habe, braucht es noch immer die kreative Idee, die packende Story der Marke, mit der ich Menschen erreiche und involviere. Ohne solche Ideen sind Daten nutzlos. Daten sind Teil der Lösung. Aber sie sind nicht die Lösung.

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