WirtschaftsWoche: Herr Lotze, warum gilt Werbung aus Deutschland weltweit als so langweilig und weit abgehängt von witzigen Kampagnen aus den USA, England oder Brasilien?
Moment, Einspruch: Kennen Sie unseren aktuellen Spot für den Smart nicht?
Den, in dem der Wagen zu lauter Rockmusik in felsigem Gelände stecken bleibt?
Genau – erst scheitert das Auto im unwirtlichen Gelände, dann prescht es in der Stadt in eine winzige Parklücke, und der Zuschauer denkt: Der kann und darf das. Der Film funktioniert weltweit, ist sehr erfolgreich und der bisher am meisten ausgezeichnete TV-Spot aus Deutschland. In allen Ländern, in denen für Smart geworben wird, wurde der Film häufiger geschaltet als geplant. Er lief sogar während des Endspiels um die US-Football-Meisterschaft, dem Superbowl. Gar so öde scheint Werbung aus Deutschland nicht zu sein...
Kassieren Sie nun bei jeder weiteren Ausstrahlung mit?
Der Aspekt der Honorierung ist sekundär. Wir freuen uns sehr darüber, dass der Film weltweit läuft, das ist im Bereich Auto nicht selbstverständlich.
Mit dem britischen Zigarettenkonzern Imperial Tobacco Group haben Sie gerade einen internationalen Großkunden gewonnen. Kamen Sie innerhalb Ihres Netzwerkes BBDO nur zum Zuge, weil Ihre Konzernmutter in England und den USA eine strikte Anti-Qualm-Politik verfolgt?
Nein, es gibt kein grundsätzliches No-Go bei BBDO. Wir sind ein liberales Netzwerk ohne irgendwelche Anti-Tabak-Richtlinien. Zigaretten sind ein frei verkäufliches Produkt, das man bewerben darf. Insofern waren wir völlig frei, uns um diesen Etat zu bewerben...
...der Ihnen nun angeblich mehr als 20 Millionen Euro im Jahr beschert?
Die Zahl kommentiere ich nicht, aber das ist sicher einer der größten Etats, der international in den vergangenen zwölf Monaten ausgeschrieben wurde. Wir sind verantwortlich für alle ITG-Marken weltweit, also etwa Gauloises, JPS, Davidoff und West. Allein für ITG werden wir in Düsseldorf 80 Mitarbeiter einstellen. Bei uns haben sich Leute aus der ganzen Welt beworben, sie kommen von Top-Agenturen wie AKQA, Razorfish und Wieden & Kennedy und werden unseren Standort noch einmal zusätzlich beleben. Gleichzeitig bauen wir Teams in Bristol, am Hauptquartier des Kunden, und London auf. Und in Hamburg stocken wir unser Designteam auf.
Köpfe und Talente
Vor drei Jahren kündigten Sie an, dass BBDO in der Rangliste der kreativsten deutschen Agenturen unter die Top Drei kommen soll, heute stehen Sie tatsächlich auf Platz eins. Haben Sie Geld in einen Award-Etat gepumpt, um in Kreativ-Wettbewerben zu glänzen?
Nein, im Gegenteil: Wir liegen mit unseren Award-Ausgaben im unteren Drittel dessen, was lokale Agenturen hierzulande für die Teilnahme an Wettbewerben ausgeben. Ausschließlich ungebriefte Award-Ideen für Scheinkunden zu produzieren, vollkommen losgelöst vom Tagesgeschäft, ist nicht marktkonform. Wir haben stattdessen in Köpfe und Talente investiert. So hat die BBDO-Gruppe mit Wolfgang Schneider seit 2011 wieder einen gesamtverantwortlichen Kreativchef. Diese Strategie zahlt sich nun aus.
2014 vergeben viele Unternehmen ihre Werbeetats neu. Haben Sie Vorgaben aus der Zentrale in New York, wie viel Neugeschäft Sie an Land ziehen müssen?
Dazu brauchen wir keine Vorgaben, das ist für uns wie beim Fußball: Wenn wir antreten, wollen wir gewinnen. Bislang sind wir gut unterwegs: Keine andere Agentur hat in den vergangenen drei Jahren so viel Neugeschäft gewonnen wie wir. Vor zwei Wochen etwa haben wir den ARAG-Etat geholt – gegen starke Konkurrenz.
Der Gesamtverband der Werbeagenturen rechnet für 2014 mit einem Umsatzwachstum im Agenturgeschäft von 7,4 Prozent – wären Sie damit zufrieden?
Nein, das wäre ich nicht, denn unser Anspruch als Marktführer ist es, über dem Durchschnitt zu wachsen. Bis jetzt haben wir das auch geschafft. Wir haben den Umsatz und Gewinn in der Gruppe seit 2010 kontinuierlich gesteigert.
Dann müssten Sie die 500-Millionen-Umsatz-Schwelle bald erreicht haben?
Dazu möchte ich nichts sagen, weil unsere Konzernmutter in New York an der Börse notiert ist. Wir sind allerdings auf einem sehr guten Weg und profitieren davon, dass auch potenzielle Kunden BBDO wieder als erstklassige Kreativagentur wahrnehmen. Es gibt kaum einen großen Pitch, zu dem wir nicht eingeladen sind.
Liegt das nicht eher daran, dass immer mehr Werbekunden ihre Etats auf Großagenturen konzentrieren?
Ja, das wirkt sich positiv für uns aus. Alles andere wäre aber auch am Markt vorbeigedacht. In der globalisierten und digitalisierten Produkt- und Marketingwelt findet eine Konzentration auf die großen Agenturzentralen statt. Natürlich haben auch lokale Agenturen ihre Berechtigung. Und das ist auch gut so. Aber bei weltweiten Etats – wie dem von ITG – bleiben lokale deutsche Agenturen meist außen vor.
Warum?
Weil sie nicht die internationale Expertise haben, weil ihnen das globale Netzwerk fehlt und weil sie nicht so breit aufgestellt sind, um das gefragte Leistungsspektrum zu bieten. Kommunikation lässt sich nicht mehr auf Landesgrenzen oder einzelne Kanäle beschränken. Wir leben in einem Verdrängungswettbewerb, und der wird härter. Budgets werden gebündelt und wachsen nur noch bedingt. Gleichzeitig müssen Agenturen in der Lage sein, viel mehr Kanäle zu bespielen. Früher gab es praktisch nur TV, Funk, Print und Plakat. Heute liegt der Anteil dieser klassischen Medien bei großen, internationalen Etats oft nur noch bei 30 bis 40 Prozent. Das Gros fließt in digitale und dialogische Maßnahmen.
Die Rolle des Fernsehens
Welche Rolle spielt das Fernsehen noch?
Werbefilme werden immer das dominante Format sein. Nichts emotionalisiert mehr. Ob die Filme dann im TV oder auf dem Tablet laufen, ist egal.
Aber ist Opas Fernsehen wirklich noch attraktiv genug als Werbeumfeld? Die kaufkräftigen Zuschauer wandern ab, und auch die Älteren sehen immer häufiger Filme und Serien auf Web-Portalen wie Watchever oder bei Amazon.
Man muss sich die Frage stellen, ob die TV-Sender genug für ihr Medium tun. Sind sie innovativ genug, produzieren sie ausreichend gute Formate, erregen sie die Neugier der Zuschauer? Für meinen Geschmack könnten die Sender hier mehr unternehmen. Eine Agentur sucht ein attraktives Werbeumfeld, weil sie viele Menschen erreichen möchte für ihre Kunden. Mein Eindruck ist, dass das traditionelle Fernsehen dies oft nicht optimal erfüllt.
Woran liegt das?
Die Programmverantwortlichen setzen häufig auf Althergebrachtes, auf bekannte Muster, die sich dann totlaufen. Mittlerweile ist ja schon jede deutsche Familiensaga durchgefilmt worden. Oder die immer gleichen Castingshows, die rauf und runter laufen. Dabei suchen die Zuschauer durchaus nach neuen Formaten. Da ist es kein Wunder, dass immer mehr Leute – vor allem die jüngeren – ins Internet zu den Portalen abwandern. Allerdings ist das kein Naturgesetz. Es gibt genug Vorbilder für kreative Inhalte, die funktionieren.
Woran denken Sie?
In den USA gibt es gerade eine regelrechte Renaissance des Fernsehens dank toller Serien wie „House of Cards“ oder „Game of Thrones“. Das sind einzigartige Formate. Damit lassen sich Millionen vor die Bildschirme locken. Bei uns wird stattdessen die nächste Kochshow serviert, bis uns das Ganze zum Hals raushängt. Entscheidend ist die Qualität des Inhalts und nicht die Berechtigung des Mediums an sich.
Aber zersplittert das Publikum nicht dennoch in immer kleinere Fraktionen?
Das ist so, wird aber allzu oft auch schlicht als Ausrede für sinkende Quoten missbraucht. Denn gleichzeitig vernetzen sich die Leute auch so stark wie nie zuvor. Und das müssen wir genauso berücksichtigen wie die angebliche Zersplitterung. Werbung muss Menschen clustern und versammeln, ich kann nicht jeden individuell ansprechen, das wäre völlig ineffizient. Wir müssen möglichst viele Menschen mit einer Werbebotschaft erreichen.
Angeblich brechen doch gerade für Werber goldene Zeiten an, weil sie dank Big Data – den Unmengen von Daten, die jeder Internet-Nutzer hinterlässt– individualisierte Werbung schneidern können?
Daten sind ein toller Rohstoff, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Mit ihrer Hilfe können wir Zielgruppen segmentieren: Wen will und kann ich erreichen? Mit welcher Botschaft? Erreiche ich die richtigen? Wann sind sie empfänglich für die Werbebotschaft? Aber selbst, wenn ich Tausende von Daten beisammen habe, braucht es noch immer die kreative Idee, die packende Story der Marke, mit der ich Menschen erreiche und involviere. Ohne solche Ideen sind Daten nutzlos. Daten sind Teil der Lösung. Aber sie sind nicht die Lösung.