Tauchsieder

Kaufen! Kaufen! Kaufen?

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The Winner Takes It All

Es ist eine Konsumrevolution, die ausgelöst wird durch junge, optionshungrige Kunden, die nicht immer nur Güter kaufen, sondern Services auf Zeit pachten wollen. Sie sind sozialisiert im Umfeld digitaler Möglichkeiten und allzeit vernetzt; sie suchen Erlebnisse statt Statussymbole, dingliche Lebensabschnittspartner statt Qualität auf Lebenszeit – und sie strafen Anbieter mit Liebesentzug, sobald ihnen etwas nicht passt. Entsprechend glatt und weich ist der rote Teppich, den Produzenten und Händler ihnen ausrollen. Die Konsumgemeinde will ständig bespielt, begeistert und neu erobert werden – denn wer sich dem Kunden erst mal als Partner empfohlen hat, zum Bestandteil seines Alltags wurde, zur Beförderung seines guten Lebensgefühls beiträgt, kann auf seine Treue setzen, wenn auch jederzeit kündbar, ganz so wie in Partnerschaftsfragen oder im Arbeitsleben: (Nur) solange die Bedingungen okay sind und das Gesamtpaket stimmt, ist die Beziehung perfekt - bis auf Weiteres, versteht sich: „Loyalität to go“.

Aber hinter Bezos’ Kundenoffensive steckt nicht nur die Vorstellung, Konsumenten mit datenbasierten Services immer perfekter bedienen, sie gleichsam algorithmisch umfangen, auf Dauertreue verpflichten zu können in einer Konsumwelt der unbegrenzten Möglichkeiten. Sondern sie hat auch zur Folge, dass das Macht- und Interessenverhältnis zwischen den Wirtschaftsakteuren - zwischen Unternehmer, Mitarbeiter und Kunden - sich ändert.

Seit den Achtzigerjahren lässt sich in westlichen Industriegesellschaften, nicht erst seit den Forschungen von Thomas Piketty, eine klare Akzentverschiebung zugunsten der Kapitaleigner beobachten: Ihre Profite sind im Vergleich zu den Profiten von Mitarbeitern und Kunden überproportional gewachsen. Ein Trend, der sich durch die Digitalisierung rasant beschleunigt, weil Unternehmen immaterielle Güter in mit geringen Herstellungs- und ohne Vertriebskosten in einer einzigen Sekunde weltweit lancieren und vertreiben können - und weil unternehmerischer Erfolg sich in der datenbasierten Plattform-Ökonomie nicht mehr linear und sukzessive, sondern plötzlich und infektiös ausbreitet: Mit jedem Nutzer einer Plattform wächst auch für jeden potenziellen Nutzer der Wert der Plattform, und am Ende heißt es: The Winner Takes It All. Zu den größten aller Gewinner zählen derzeit fraglos Mark Zuckerberg (Facebook), Jeff Bezos (Amazon) und Reed Hastings (Netflix): mit mehreren hundert Millionen Abonnenten.

Kurzum: Die Akzentverschiebung in Richtung Kapital hat sich damit verschärft - und sie ist in den vergangenen Jahren zugleich einhergegangen mit einer Akzentverschiebung in Richtung Konsument. Bleibt nur die Frage, was mit den Interessen der Mitarbeiter geschieht. Jeff Bezos hat die Frage für sich längst beantwortet, wie man weiß: Dass er die Mitarbeiter übertrieben teilhaben lässt am Unternehmenserfolg, kann man nun wirklich nicht behaupten.

Im Gegenteil: Er sieht in ihnen ein Kostenfaktor, den es im Interesse der Expansion von Kapital und Kundenstamm zu minimieren gilt. Kein Wunder, dass es da manchem beim Blick in die Zukunftskugel schon ganz blümerant zumute wird: Denn wer soll die Güter und Services kaufen, mit denen die Digitalkonzerne Kunden hofieren, die sie als Mitarbeiter entweder nicht wertschätzen - oder gar nicht mehr erst brauchen?
Die Lösung sehen manche, etwa Facebook-Gründe Mark Zuckerberg, aber auch der Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser, in einer Ruhigstellung der Abgehängten durch Zahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens: Niemand muss mehr arbeiten, um sich mit dem Minimalsten versorgen zu können.

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