Michael Hoffmann ist ein Freund klarer Worte – insbesondere dann, wenn er den Zustand seiner eigener Branche beschreibt. „Zurzeit kommt es beim Marketing per E-Mail gehäuft zu Fällen von Adressmissbrauch“, schimpft der Geschäftsführer der auf E-Mail-Aktionen spezialisierten Werbeagentur Kajomi mit Sitz in München. „Wenn das so weitergeht, gibt es bald keinen Markt mehr. Die gesamte Branche gerät dadurch in Verruf.“
Den verbalen Breitseiten lässt Hoffmann auch Taten folgen. Der 41-jährige Gründer von Kajomi, einem der Marktführer für E-Mail-Werbung in Deutschland, startete in den vergangenen Wochen einen ungewöhnlichen Feldzug gegen die schwarzen Schafe in seiner Branche: Er zerrt Konkurrenten, die eine seiner E-Mail-Adressen ohne seine Einwilligung in ihren Bestand übernehmen und zu Werbezwecken einsetzen, mit Unterlassungsklagen vor Gericht.
Die für eine erfolgreiche Klage erforderlichen Beweise verschafft er sich auf unorthodoxe Weise: Getarnt als normaler Verbraucher streut der Kajomi-Chef unter diversen Decknamen Testadressen in Online-Portalen. Dann wertet er aus, bei welchen Massenaussendungen seiner Konkurrenten sie später widerrechtlich zum Einsatz kommen. Denn die dafür vom Gesetzgeber eingeforderte Erlaubnis hat er nie erteilt.
Acht Firmen sind inzwischen in diese Falle getappt. Allein in diesem Jahr landeten drei Verfahren vor Gericht. Am 5. März 2013 verurteilte das Landgericht München Teledate mit Sitz in Nürnberg bei weiteren Verstößen zu einem Ordnungsgeld von bis zu 250 000 Euro. Das Unternehmen hatte einen von Hoffmanns E-Mail-Accounts zur Werbung für ein Gewinnspiel eingesetzt. Aus dem gleichen Grund verhängte eine Woche zuvor, am 27. Februar, das Landgericht gegen die im Schweizer Diepoldsau ansässige cpx Media ein Ordnungsgeld in Höhe von 5000 Euro.
Und nach einer einstweiligen Verfügung erwirkte Hoffmann – erneut vor dem Landgericht München – ein Versäumnisurteil gegen die im Schweizer Bachenbülach ansässige adMedialis in Höhe von 1220,50 Euro, weil sie eine Mail-Adresse von Hoffmann ohne seine Einwilligung zu Werbezwecken einsetzte. „Ich habe noch keinen Fall verloren“, sagt Hoffmann.
Die Betroffenen wollten auf Anfrage der WirtschaftsWoche keine Stellungnahme abgeben oder verwiesen darauf, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, weil sie in Berufung gegangen sind.
Verband geht zu langsam gegen Verstöße vor
Hinter vorgehaltener Hand werfen Konkurrenten Hoffmann vor, er wolle sich auf Kosten anderer als oberster Datenschützer profilieren. Den Kajomi-Chef ficht derlei Kritik nicht an: „Wachstum ist nur möglich, wenn die gesamte Branche sauber arbeitet“, sagt der 41-Jährige. Die Branchenvertretung Deutscher Dialogmarketing Verband (DDV) schwört zwar ihre Mitglieder mit einem Ehrenkodex darauf ein, „dass niemand gegen seinen Willen E-Mails zugesendet bekommt“. Doch gegen Verstöße gehe der DDV viel zu langsam vor. „Kunden brechen weg, weil andere Anbieter uns mit dem Faktor zehn unterbieten“, sagt Hoffmann. Wenn mehrere Vermarkter E-Mail-Adressen nutzen, refinanziert sich die einmal eingekaufte Liste schneller.
Beim DDV wacht das Council Digitaler Dialog darüber, dass sich die Mitglieder an den Ehrenkodex halten. Dessen Vorsitzender Sebrus Berchtenbreiter unterstützt alle Initiativen, die Missbrauchsfälle aufdecken. Denn er will schärfer gegen E-Mail-Sünder vorgehen. Das Council will eine „neutrale Instanz schaffen“, die – wie von Kajomi bereits erfolgreich praktiziert – mit verdeckten E-Mail-Adressen Nutzer illegaler Adresslisten in den eigenen Reihen aufspürt.
„Das Projekt befindet sich im nicht öffentlichen Testbetrieb“, sagt Berchtenbreiter, im Hauptberuf Geschäftsführer der Agentur promio.net in Bonn. Eine Entscheidung über die offizielle Einführung soll noch in diesem Jahr fallen.
Wie hilfreich solch eine Instanz wäre, erlebte auch die WirtschaftsWoche. Auf die Bitte um Stellungnahme bekam die Redaktion vom verurteilten Schweizer Unternehmen adMedialis keine Antwort.
Stattdessen trudelte kurz vor Ablauf der Antwort-Frist eine Werbemail für ein Gewinnspiel des schwedischen Möbelhauses Ikea ein. Ohne Einwilligung hatte adMedialis die E-Mail-Adresse des Redakteurs in ihren Werbeverteiler aufgenommen – und damit gegen den Ehrenkodex und geltendes Recht verstoßen.