Roland Brück öffnet die Tür zur Kühlkammer, begutachtet frische Möhren, Blattsalat und Kürbisse in Plastikkörben. Er prüft, ob keine Pappkartons in der Kammer lagern, die Keime an die frischen Lebensmittel abgeben könnten, und wirft einen Blick aufs Thermometer: Sieben Grad darf es höchstens anzeigen.
Brück ist Direktor für Qualitätsmanagement beim Kantinenbetreiber Compass aus Eschborn bei Frankfurt. Der 53-Jährige sorgt dafür, dass in seinen Küchen zum Beispiel Fleisch auf dem Weg aus dem Kühlhaus bis zur Pfanne möglichst wenig Keime und Bakterien abbekommt, dass die warmen Gerichte über 65 Grad erhitzt werden und dass seine Köche den Salat in Essigwasser mit etwas Salz waschen, um Bakterien ganz sicher abzutöten.
Die häufigsten Erreger in Lebensmitteln
In mehr als einem Drittel der Fälle hatten sich die Bundesbürger mit Salmonellen infiziert. Insbesondere in Eiern und Geflügelfleisch kommen Salmonellen häufig vor. Der Erreger trat in insgesamt 20 Fällen auf.
In sieben Fällen erkrankten Bundesbürger am Norovirus. Vor wenigen Wochen litten über 1000 Schüler in Ostdeutschland an Brechdurchfall, nachdem sie mit Noroviren verseuchte Erdbeeren gegessen hatten.
In insgesamt sechs Fällen traten Campylobacter-Bakterien auf. Unter dem Mikroskop erinnern die Bakterien an Korkenzieher.
Insbesondere in Reis findet sich der Bacilus cereus. 2011 war er für sechs Krankheitsausbrüche nach Genuss von Lebensmitteln verantwortlich.
Der Naturstoff ist in Bakterien weit verbreitet. Er spielt zum Beispiel bei allergischen Reaktionen eine Rolle. 2011 trat er in vier Fällen auf.
Insbesondere warmgehaltenes Fleisch sowie Austern und Meeresfrüchte laufen Gefahr, von diesem Bakterium befallen zu werden. 2011 fiel es im Zusammenhang mit Lebensmittel-Infektionen zweimal auf.
Das Bakterium kann sich durch Husten oder Niesen auf Lebensmittel übertragen. 2011 trat es zweimal auf.
Das Bakterium kann durch Trinkwasser, Weichkäse und rohes Gemüse übertragen werden. Das Risiko ist jedoch eher gering. Für 2011 konnte das Bundesinstitut für Risikobewertung gerade mal einen Fall nachweisen.
Doch der Compass-Manager ist Realist. „Kein Betreiber der Welt kann eine 100-prozentige Sicherheit garantieren“, gibt er zu. Zuletzt sorgte der Wettbewerber Sodexo für Schlagzeilen: Über 11 000 Kinder an ostdeutschen Schulen waren an Brechdurchfall erkrankt, nachdem sie verseuchte Erdbeeren aus China gegessen hatten, die der drittgrößte Caterer in Deutschland zu Desserts verarbeitet hatte.
Sodexo ist zwar der spektakulärste Fall seit Langem, aber nicht der einzige. Denn die Kantinenbetreiber stehen unter Druck wie seit Jahren nicht mehr. Kommunen und Unternehmen kürzen ihre Zuschüsse zur Verpflegung ihrer Beschäftigten und Anvertrauten, wo es nur geht. Den Caterern bleibt nur, an allen erdenklichen Ecken zu sparen – vor allem beim Wareneinsatz und beim Personal. Dabei bleibt die Qualität häufig auf der Strecke.
Insgesamt 50 Fälle von Infektionen durch Lebensmittel hat das Bundesinstitut für Risikobewertung für 2011 dokumentiert – etwa ein Dutzend Mal war mutmaßlich ein Kantinenbetreiber involviert. „Ob ein Caterer aus Kostengründen schon mal die eine oder andere Hygieneregel, etwa Händewaschen oder ausreichende Erhitzung, nicht beachtet, erfahren wir Verbraucher nicht – die Ergebnisse der Lebensmittelkontrollen werden nicht veröffentlicht“, kritisiert Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch.
Ohne Absender
Vergrößert wird die Gefahr, dass keimhaltiges Essen serviert wird, durch lückenhafte Gesundheitsvorschriften. Während bei Obst und Gemüse die Herkunft angegeben werden muss, fehlt diese Pflicht bei anderen Lebensmitteln. „Oft wissen die Betreiber gar nicht, woher die Ware und die Zutaten ursprünglich stammen“, sagt Günther Lehmann, Geschäftsführer des gleichnamigen Cateringbetriebs aus Bonn.
Im Fall der tiefgefrorenen Erdbeeren bei Sodexo dauerte es Tage, bis klar war, dass die Ware aus China angeliefert wurde. „Gerade bei Tiefkühlprodukten muss die Herkunft nicht angegeben werden“, sagt der Ernährungswissenschaftler Volker Peinelt von der Hochschule Niederrhein.
Die größten Cateringunternehmen in Deutschland 2011
Der erste Platz ging im Jahr 2011 an das britische Cateringunternehmen Compass, dass im Vergleich zu 2010 um 3,3% zugelegt hat.
Mit reichlich Abstand folgt das amerikanische Unternehmen Aramark, dass seine Umsätze im Vergleich zum Vorjahr um 4,3% steigern konnte.
Der französische Caterer liegt in diesem Ranking zwar bloß auf Platz drei, hat sich aber im Jahr 2011 als größter Caterer für Schulen, Mensen und Kitas in Deutschland durchsetzen. In diesem Segment verzeichnete Sodexo innerhalb eines Jahres eine Steigerung um 1,3%.
Der vierte Platz geht an das deutschstämmige Unternehmen Dussmann. Bei den deutschen Schulen, Mensen und Kitas landet Dussmann außerdem auf dem zweiten Platz, ist aber bisher noch schwächer als der französische Konkurrent.
Der Caterer Klüh ist Marktführer im deutschen Care Bereich und in 66 Krankenhäusern und Kliniken sowie in fast 100 Seniorenheimen vertreten. Damit schafft es Klüh im Ranking auf Platz 5.
Dritter deutscher Caterer, mit insgesamt 6. Platz, ist Apetito, der ein starkes Plus von 7,9% im Vergleich zu 2010 erzielt hat. Bei Schulen, Mensen und Kantinen hingegen sind die Umsätze des Caterers um 2,4% geschrumpft.
Sechstplatzierter ist SV, welcher aus einer Non-Profit-Organisation entstanden ist. Damals war eine preiswerte und gesunde Kost Sinn und Zweck der Organisation. Im Jahre 2011 konnte das Cateringunternehmen SV 2,9% im Vergleich zum Vorjahr zulegen.
Die Umsätze des achtplatzierten Schubert blieb im Vergleich zum Vorjahr konstant.
Dicht gefolgt auf Platz 9: der deutsche Caterer Ahr. Dieser legte um 4,3% zu.
L&D hat den 10. Platz erzielt und den stärksten Umsatzzuwachs verzeichnet: +13,5%.
Caterer Lehmann, der auf Schulspeisen spezialisiert ist, weiß zumindest bei vielen frischen Zutaten, woher diese stammen. Jeden Morgen ab fünf Uhr klappert er mit seinem VW Transporter die Bauern im Bonner Umland ab und lädt Salat, Kartoffeln und Obst in den Kofferraum, die seine Köche am Vormittag verarbeiten. Insgesamt liefert Lehmann täglich etwa 5500 Essen an etwa 70 Schulen in der Region.
Die großen Kantinenbetreiber in Deutschland – dazu zählen neben Compass und Sodexo noch der US-Konzern Aramark und der Berliner Dienstleister Dussmann – beschränken sich auf allgemeine Auskünfte, wenn es um die Herkunft ihrer Lebensmittel geht. „Wir haben die Herkunft der Lebensmittel und die Sicherheit in der gesamten Nahrungskette jederzeit im Blick“, heißt es etwa in einer Stellungnahme von Dussmann. Konkreter äußert sich Compass. „Bei den frischen Nahrungsmitteln wie Obst und Gemüse sind die Produzenten direkt auf der Verpackung ersichtlich. Bei bereits verarbeiteten » » Produkten wie Räucherlachs können wir beispielsweise über den Hersteller zusammen mit der Produktnummer das Fanggebiet ermitteln“, so Qualitätsmanager Brück.
Insgesamt erwirtschaftete die Cateringbranche im vergangenen Jahr einen Umsatz von drei Milliarden Euro; knapp die Hälfte davon entfällt auf die Branchenführer Sodexo, Compass und Aramark. Die meisten Unternehmen können sich über ordentliche Wachstumsraten freuen – die gute Konjunktur hat für mehr zahlende Gäste gesorgt. Bei den Gewinnen sieht es aber bescheidener aus. Die meisten Caterer veröffentlichen dazu keine Zahlen; neben dem Kantinengeschäft bieten sie oft noch andere Servicedienstleistungen an.
Knausrige Kommunen
Unisono klagen die Betreiber über den hohen Preisdruck. „Die Kommunen knausern beim Schulessen. Und viele Unternehmen haben ihre Kantinen ausgelagert, den Kostendruck erhöht und Zuschüsse gekürzt“, sagt Guido Zeitler, Referatsleiter für das Gastgewerbe bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).
Viele Kommunen, die per Gesetz für das Schulessen zuständig sind, sind selbst klamm. Sie setzen den Preis für ein Schulessen fest, meist etwas mehr als zwei Euro. Dazu schießen sie einen Teil oder gar nichts zu, den Rest tragen die Eltern. Als Berlin im Frühjahr 2,10 Euro pro Schulessen festschrieb, weigerten sich viele Caterer, überhaupt ein Angebot abzugeben.
„Bei mir geht kein Essen unter drei Euro raus“, sagt der Bonner Caterer Lehmann, „die Marge beträgt ohnehin nur wenige Cent.“ Der 55-Jährige rechnet vor: Bei einem Hähnchenschnitzel mit Brokkoli und Kartoffeln plus einem Apfel zum Nachtisch müsse er allein für die Zutaten mit 1,20 Euro pro Mahlzeit kalkulieren. Hinzu kommen Ausgaben etwa für Personal, Geräte und Logistik sowie die Mehrwertsteuer, die den Großteil der Kosten ausmachen.
Compass hält sich wegen des Preisdrucks beim Schulcatering zurück. „Wir würden gerne stärker in den Markt einsteigen, aber eine Drei müsste beim Preis schon vor dem Komma stehen, damit wir ausgewogene, frisch gekochte Gerichte anbieten können“, sagt Deutschland-Geschäftsführer Jürgen Thamm.
In den Betriebskantinen können die Caterer zwar mehr Geld verlangen, werden von ihren Auftraggebern aber auch dort knappgehalten. Etwa 30 Prozent der Unternehmen haben ihre Kantine bereits ausgelagert. „Die Zeiten, als die Arbeitgeber die Verpflegung ihrer Mitarbeiter noch als soziale Fürsorgepflicht gesehen haben, sind vorbei“, sagt Gewerkschafter Zeitler.
Immerhin betreiben etwa Daimler, VW, BMW und Siemens noch eigene Kantinen. VW stellt sogar in einer eigenen Fleischerei die Currywurst selbst her – und die ist bei den Beschäftigten so beliebt, dass die örtlichen Edeka-Märkte diese verkaufen.
Die Arbeitsbedingungen in den 9000 von insgesamt 13 800 deutschen Betriebskantinen, in denen noch selbst gekocht wird, entsprechen oft den bescheidenen Preisen, die Caterer erhalten. „Viele zahlen keine Tariflöhne, kein Urlaubs- und kein Weihnachtsgeld“, sagt Gewerkschafter Zeitler. Große Anbieter wie Sodexo bieten allerdings Tariflöhne – bei angelernten Kräften zwischen 8,00 und 8,50 Euro.
Schulessen vom Starkoch
Nach den massenhaften Brechdurchfällen an ostdeutschen Schulen beginnen nun die ersten Unternehmen, umzudenken und ihre Hygienepraxis zu überprüfen. Der Bonner Caterer Lehmann sucht derzeit nach Verbündeten, um endlich die Herkunft der Lebensmittel über mehrere Lieferstufen transparent zu machen.
Starkoch Johann Lafer sieht die Schuld an der Misere allerdings auch im System: „Ich weiß nicht, wie man bei einem Preis von zwei Euro pro Schulessen, von dem auch noch 19 Prozent Mehrwertsteuer abgeführt werden müssen, vernünftig kalkulieren soll.“ Deshalb plädiere er für eine Entlastung. „Es geht nicht an, dass für Hundefutter und einige Süßigkeiten nur sieben Prozent Mehrwertsteuer gezahlt werden müssen, für gesunde Schulverpflegung aber 19 Prozent angesetzt werden.“
Lafer handelt auch. Von November an betreibt der Spitzenkoch, der in seinem Restaurant „Le Val d’Or“ im rheinland-pfälzischen Stromberg Acht-Gänge-Menüs für 165 Euro kredenzt, eine eigene Schulmensa in Bad Kreuznach. Bis zu 1200 Kinder will er dort verpflegen – mit überwiegend regionalen und saisonalen Produkten, zum Preis von vier Euro. „Wenn man frisch kocht, sind hochwertige saisonale und regionale Produkte nicht zwingend teurer als Fertigkost, sie erfordern aber einen hohen Personaleinsatz“, sagt Lafer.