Explodierende Heizkosten Gazprom hält den Gaspreis unter Druck

Das Gazprom-Logo beim internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg: Außenpolitik über den Gaspreis? Quelle: REUTERS

Dank Allzeithoch beim Gaspreis droht ein kalter, teurer Winter. Russlands Gasgigant Gazprom denkt nicht daran, die Europäer zu beruhigen und schürt so Misstrauen. Manche Experten argumentieren: Gazprom kann nicht anders.

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Gazprom hatte eine Option – und ließ sie verstreichen. Gerade erst sind wieder kurzfristige Lieferkapazitäten für wichtige Gas-Pipelines für den Monat Oktober versteigert worden. An sich hätten Gapzroms Händler da locker zugreifen können. Haben sie aber nicht oder nur kaum. Die Gaspreise liegen weiter über 70 Euro für eine Megawattstunde Erdgas. 

Für Franziska Holz, stellvertretende Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist die Botschaft der Russen eindeutig, unmissverständlich: „Höhere Lieferungen – und wahrscheinlich selbst schon die Ankündigung von höheren Lieferungen – hätten den Höhenflug der Preise vermutlich beendet“, sagt Holz. Und: „Gazprom hat mit dem Nicht-Buchen weiterer Transitkapazitäten gezeigt, dass es die derzeitige angespannte Situation auf dem europäischen Markt aufrecht erhalten will.“ Mit anderen Worten: Gazprom hält Europa unter Druck, in dem es Europa kurz hält.

Dabei ist erstaunlich, wie sehr Gazprom gerade seine Rolle als Gaslieferant Europas neu definiert, sich, freundlich formuliert, emanzipiert, sich unfreundlich formuliert, einen feuchten Kehricht um die Befindlichkeiten in Berlin, Brüssel oder London schert. Bislang war der Konzern mit Sitz in Sankt Petersburg für die Europäer nicht nur Gas-Garant, sondern im Tagesgeschäft auch ein flexibler Partner, ein „Swing Supplier“, der auch auf saisonale Schwankungen reagiert hat. Aber genau dieses Verhalten scheint sich jetzt zu ändern.

von Cordula Tutt, Florian Güßgen, Silke Wettach

Die Frage ist nur: Warum?

Klar, die am nächsten liegende Antwort lautet: Weil sie es können. Europa braucht das russische Gas dringend. Alternativen gibt es derzeit kaum.

Die zweite Antwort lautet: Na, ist doch offensichtlich, Nord Stream 2! Das wollen die durchdrücken, mit freundlichen Grüßen aus dem Kreml. Dieses Narrativ ist plausibel – und angesichts der jüngsten Verknüpfung der Pipeline mit zusätzlichen Gaslieferungen durch Wladimir Putins Sprecher wird es auch von Tag zu Tag überzeugender. Gazprom ist ein mächtiger Knüppel in der Hand des Präsidenten.

Doch gibt es auch weitere Erklärungsmuster. 

Das erste führt das renommierte Oxford Institute for Energy Studies in einer diese Woche veröffentlichten Studie an, Titel: „Big Bounce. Russian gas amid market tightness.“ Die Analysten argumentieren, dass Gazprom immerhin in die Türkei und nach Deutschland Gasmengen geliefert habe, die entgegen dem gegenwärtigen Eindruck durchaus an das „Rekordniveau“ der Jahre 2018 und 2019 herankomme. Aber Gazprom schaffe es trotzdem nicht, den gesamten europäischen Bedarf bei extrem hoher Nachfrage zu decken. „Wenn andere Quellen in Europa wegfallen und angesichts der Tatsache, dass die Geografie der russischen Gasreserven sich ändert, scheint Russland nicht ohne Weiteres in der Lage, plötzliche Spitzen in Europas Nachfrage abzudecken“, heißt es in der Studie.

Ein weiteres Erklärungsmuster ist, dass Gazprom mit seinem Verhalten im Kern auch auf Forderungen der Europäer reagiert: Stellt Euch darauf ein, hatten die Gazprom schon lange wissen lassen, dass wir Gas in Zukunft nicht mehr so lange so intensiv brauchen werden wie das früher der Fall war. Denn bei unserer Energiewende wird Erdgas zwar eher lang- als mittelfristig noch eingesetzt werden, aber vor allem als Back-Up für Zeiten, in denen die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst. Deshalb: Setzt doch auf kurzfristige Verträge, in denen Ihr dann Preise optimieren könnt. Und Preise optimieren: Genau das tut Gazprom gerade, eigentlich im Sinne der Europäer. Nur haben die sich das so nicht vorgestellt.

Und noch etwas entspricht eigentlich genau den Vorstellungen der Europäer: Der Gaspreis wird nicht mehr an den Ölpreis-Index gekoppelt, sondern stärker an die Entwicklung auf dem Spot-Markt, der wiederum vom Angebot an Flüssiggas in Europa abhängt, vom LNG. Auch hier kann Gazprom locker sagen: Was regt Ihr Euch auf? Flüssiggas ist in Europa gerade knapp, weil Asien das bitter nötig braucht. Die Spot-Markt-Preise schießen hoch – und das nehmen wir eben mit. Es lebe der Markt, das wollt Ihr doch!

Weitere Verwerfungen sind absehbar

So oder so muss das brachiale Vorgehen des Konzerns den Europäern allen Grund zur Sorge geben. Denn die Haltung ist ja: Wir machen das, weil wir es können. Und so eine Haltung nimmt man nur ein, wenn man weiß, dass sich an der eigenen Stärke vorerst nichts ändern wird. Gazproms derzeitiges Verhalten gibt also nur einen Vorgeschmack auf weitere Konflikte.

Getrost können die Europäer davon ausgehen, dass der Wandlungsprozess des Konzerns über diesen Winter hinaus zu Verwerfungen führen wird. Allein mit Nord Stream 2 hat Gazprom Überkapazitäten für den Transport geschaffen, die fundamentale strategische Entscheidungen nach sich ziehen werden. Welche Transportwege will Gazprom in Zukunft nutzen, zu welchem Preis und zu welchen politischen Kosten? Welche Pipeline bekommt den Vorrang, wenn Engpässe mal schnell ausgeglichen werden müssen. Wird die Ukraine dann, wie befürchtet, schlicht umgangen?

Die Experten des Oxford Institute for Energy Studies kommen übrigens zu einer interessanten Einschätzung. Selbst wenn Moskau sein politisches Ziel durchsetzt, Nord Stream 2 möglichst schnell zum Laufen zu bringen, argumentieren sie, würden die zusätzlichen Transportmengen nicht genügen, um den Markt dauerhaft zu beruhigen. „Das reicht nicht, um die Flut zurückzudrängen“, heißt es in der Analyse. „Die Fundamentaldaten deuten auf extrem enge Gasmärkte im Winter hin.“

Mehr zum Thema: Der Kreml und der russische Konzern Gazprom nutzen den rekordhohen Gaspreis, um Europa Druck zu machen. Droht durch Moskaus Gas-Monopoly eine politische Eiszeit?

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