Als Klaus Gehrig jüngst zum Manager des Jahres gekürt wurde, hielt sich die Begeisterung des Lidl-Patrons im überschaubaren Rahmen. Er könne die Ehrung nicht annehmen, erklärte Gehrig dem „Manager Magazin“. Den Einwand des Reporters: „Sie machen es einem echt nicht leicht“, fegte der Lidl-Grande vom Tisch: „Na, was glauben Sie, warum ich noch immer in diesem Unternehmen sitze: weil ich es den Leuten nicht leicht mache.“
Eigentlich hätte es für derlei Aussagen keines weiteren Beleges bedurft, gilt Gehrig der Branche doch seit Jahren als Prototyp eines hemdsärmeligen Handelsmanagers, der in der Schwarz-Gruppe, zu der neben Lidl auch die SB-Warenhauskette Kaufland gehört, unumstritten die Richtung vorgibt. Und dennoch lässt die jüngste Personalie im Hause Schwarz aufhorchen: Sven Seidel, bisher als Vorstandschef von Lidl für das operative Geschäft des Discounters zuständig, verlässt das Unternehmen „aufgrund unterschiedlicher strategischer Geschäftsauffassung“, wie es in einer Unternehmensmitteilung heißt.
Stattdessen übernimmt Jesper Hojer den Job. Er war bisher für Lidls internationalen Einkauf zuständig. Ein Wort des Dankes für Seidels Tätigkeit sucht man vergebens in der offiziellen Mitteilung, die damit all jene Spekulationen befeuert, dass es um die Stimmung zwischen Seidel und Gehrig nicht zum Besten bestellt war in den vergangenen Monaten.
Die größten Lebensmittelhändler Deutschlands
Bartells-Langness
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 3,09 Milliarden Euro (Schätzung)
Globus
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 3,23 Milliarden Euro
Rossmann
Umsatz mit Lebensmitteln in Deutschland: 5,18 Milliarden Euro
dm
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 6,33 Milliarden Euro
Lekkerland
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 8,98 Milliarden Euro
Metro (Real, Cash & Carry)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 10,27 Milliarden Euro (Schätzung)
Aldi (Nord und Süd)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 22,79 Milliarden Euro (Schätzung)
Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 28,05 Milliarden Euro (Schätzung)
Rewe-Gruppe
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 28,57 Milliarden Euro (Schätzung)
Edeka (inkl. Netto)
Umsatz mit Lebensmitteln 2015: 48,27 Milliarden Euro
Quelle: TradeDimensions / Statista
So seien Gehrig zuletzt unter anderem über Kleinigkeiten wie das Handball-Sponsoring aneinander geraten, berichtet die in der Regel gut informierte „Heilbronner Stimme“. Seidel wollte demnach das Handball-Engagement des Discounters vorantreiben, um Lidls Image weiter zu stärken. Gehrig gelte indes als Discountpurist. Auch der Start von Lidl Express, mit dem das Unternehmen in den Online-Handel mit Frische-Artikeln einsteigen will, wurde laut „Heilbronner Stimme“ in den vergangenen Monaten mehrfach verschoben. Dabei hatte Seidel gegenüber der WirtschaftsWoche noch Ende 2016 erklärt, „die digitale Transformation“ sei 'eine Kernaufgabe'. Auch zwischen Kaufland-Chef Patrick Kaudewitz und Seidel soll es in der Vergangenheit zu allerlei Dissens gekommen sein, berichtet ein Branchenkenner.
Trotz solcher Hinweise auf Auseinandersetzungen in der Neckarsulmer Zentrale kommt Seidels Abgang überraschend. Denn die Performance des 43-Jährigen, der im März 2014 die Spitze des Discounters übernahm, kann sich durchaus sehen lassen: Seidel hatte den Lidl-Filialen einen strikten Modernisierungs- und Öffnungskurs verordnet. Zudem trug Lidl unter Seidels operativer Führung entscheidend zum stolzen Umsatzwachstum der Schwarz-Gruppe bei, die im Geschäftsjahr 2016/17 erstmals die 90-Milliarden-Euro-Marke überschreiten wird.
Aldi will Lidl in den USA einen heißen Empfang bereiten
Ob der Erfolge wurde Seidel lange Zeit als möglicher Nachfolger von Konzernchef Gehrig gehandelt. Womöglich, so vermutet der Manager eines Wettbewerbers, sei er der „Sonne zu nah“ gekommen. Zuletzt jedenfalls hielt sich der Lidl-Frontmann mit öffentlichen Auftritten zurück und überließ im Zweifel dem 68-jährigen Gehrig die Show. Zumal Letzterer unmissverständlich klar machte, dass er die Zeit für einen Rückzug auf’s Altenteil längst noch nicht gekommen sieht.
So verlängerte der Discountveteran kürzlich seinen Vertrag bis 2020 und dürfte auch durch einen Managementumbau die Ambitionen seines Führungskaders deutlich gedämpft haben. Fortan sollten sich mit Seidel, Kaufland-Chef Kaudewitz sowie den Managern Gerd Chrzanowski und Andreas Strähle gleich vier Vorstände um die Geschicke der Unternehmensgruppe Schwarz kümmern – unter Oberkommando von Gehrig versteht sich. Der Umgang sei zwar kollegial, aber „am Ende muss einer entscheiden“, ließ Gehrig wissen. Nun dürfte Seidels operativer Nachfolger Hojer in das Gremium aufrücken. Offen ist, welche Auswirkungen, die Personalie für das operative Geschäft hat. Klar ist: Der Neue steht vor gewaltigen Aufgaben.
So liefert sich Lidl derzeit ein Wettrennen mit dem Erzrivalen Aldi um die globale Vormachtstellung. 2000 zusätzliche Läden wollen Lidl und Kaufland nach Berechnungen der Handelsexperten von Planet Retail bis Ende 2021 weltweit hochziehen. Die Schwarz-Gruppe käme dann insgesamt auf rund 13.700 Standorte und dürfte einen Bruttoumsatz von rund 142 Milliarden Euro erzielen. Vor allem in Großbritannien und in osteuropäischen Ländern wie Serbien will das Unternehmen wachsen. Das weitaus wichtigste Ziel aber ist der amerikanische Markt. Offiziell sollen hier 2018 die ersten Filialen eröffnen. Bis 2023 soll Lidls US-Umsatz laut Prognosen des Marktforschers Kantar Retail auf 8,8 Milliarden Dollar steigen.
Ein Selbstläufer wird die US-Expansion nicht. Nicht nur der amerikanische Handels-Weltmarktführer Walmart verteidigt sein Revier. Auch Erzrivale Aldi, der seit 40 Jahren in den USA aktiv ist, will Lidl einen heißen Empfang bereiten und könnte - ganz Aldi-like - einen Preiskampf entfachen, sobald der Newcomer seine ersten Stores eröffnet.
Bis dahin sichert sich Aldi im großen Stil Immobilien, dehnt sein US-Imperium immer schneller aus und geht auch auf dem Heimatmarkt in die Vollen. So hat der Konzern eine breitangelegte Werbekampagne gestartet, mit der Aldi vor allem jüngere Kunden ansprechen will. Schon zuvor hatten Aldi Nord wie auch Aldi Süd ihr Sortiment, das jahrelang fast ausschließlich aus Eigenmarken bestand, mit Herstellerlabels von Pampers-Windeln bis zu Wagner-Pizza aufgemöbelt. Der Umbau zeigt bereits Wirkung im Aldi-Zahlenwerk. Keine Frage, auf den neuen operativen Lidl-Chef Hoyer wartet reichlich Arbeit.