Wer sich dafür interessiert, wie es um die Zukunft der Lieferdienste von frischen Lebensmitteln steht ist, schaut am besten auf Bewegung im Markt für Gewerbeimmobilien. Die Schlacht um den Kunden, der per App drei Pfund Kartoffeln, sechs Eier und eine Packung Mehl im Netz ordert, ist eine der Lieferwagen, Radtransporter und gekühlten Lagerstätten. Es ist ein Logistikkampf.
Wann immer eine große Fläche angemietet oder ein Bauantrag für ein Logistikzentrum gestellt wird, lohnt es sich, hinzuschauen, wer das tut. Die Anmietung einer Lagerhalle in München Daglfing mit einer maximalen Bauhöhe von 15 Metern und einer guten Anbindung an die A94, beschäftigte die Lokalpolitiker, die örtliche Presse und nun auch die Lebensmittelzeitung.
„Ich fress‘ einen Besen, wenn hier nicht Amazon einzieht“, zitierte schon im September 2015 der Münchener Merkur die Grünen-Politikerin Angelika Pilz-Strasser nach einer Sitzung des Bezirksausschuss Bogenhausen. Mehr als 16 Monate später ist sich die Lebensmittelzeitung sicher: „Der Standort verfügt über zwei Ebenen mit jeweils 7000 Quadratmeter und kann so gleichzeitig als Paket-Verteilungszentrum und Frische-Lager dienen.“
Das sind Amazons nächste Projekte
Unter Amazon Dash versteht der Internetkonzern eine Art Einkaufsliste auf Knopfdruck. Die kleinen Aufkleber mit Taste können die Kunden einfach im Haus an das Waschmittel oder an das Hundefutter kleben - und wenn die Packung leer ist, per Knopfdruck schnell bei Amazon eine neue bestellen. Bisher ist der Service nur für Kunden des Premiumdienstes Amazon Prime in den USA und in Großbritannien erhältlich - für 4,99 US-Dollar je Button.
Mit "Amazon Handmade" macht der Online-Händler Anbietern wie Etsy oder DaWanda Konkurrenz. Auf dem Marktplatz will Amazon Künstler und Bastler versammeln, die individualisierbare Produkte verkaufen: Selbstgeschneiderte Kleider und Taschen, Schmuck, Armbänder, Möbel. Die Plattform befindet sich in den USA noch im Aufbau. Wer dort verkaufen will, kann sich jetzt schon bewerben. Allerdings kostet ein professioneller Verkäufer-Account knapp 40 Dollar im Monat, und Amazon will bei jeder Bestellung zwölf Prozent Provision einstreichen. Bei anderen Plattformen sind diese Konditionen weitaus günstiger für die Verkäufer - allerdings erreichen sie dort wahrscheinlich nicht so viele Kunden. Ob und wann Amazon Handmade auch nach Deutschland kommen soll, ist nicht bekannt.
Über seine Plattform "Amazon Home Service" vernetzt der Online-Händler in den USA Techniker, Handwerker und Trainer mit seinen Kunden in den Großstädten. Wer bei Amazon einen neuen Fernseher kauft, kann also gleich einen Techniker beauftragen, der den Fernseher anschließt und einrichtet. Auch Yoga-Stunden und Gitarren-Lehrer lassen sich über die Plattform buchen. Bis zum Jahresende will Amazons einen Service in 30 amerikanischen Großstädten anbieten.
In der Amazon-Heimatstadt Seattle fährt seit diesem Sommer der "Treasure Truck" - ein Lkw, vollgeladen mit Sonderangeboten. Kunden können die Waren auf dem Truck per App bestellen und direkt liefern lassen - zum Beispiel ein Surfboard für den Preis von 99 Dollar anstatt den üblichen 499 Dollar.
Prime Music ist der Musik-Streamingdienst von Amazon, eine Konkurrenz zu Spotify oder Apple. Wer Mitglied beim Amazon Premiumdienst Prime ist, kann den Service in den USA und auch in Großbritannien ohne Zusatzkosten nutzen. Allerdings verfügt Amazon bisher nur über eine Bibliothek von etwa einer Millionen Songs.
Amazon begnügt sich schon lange nicht mehr, Medien zu verkaufen - der Online-Händler produziert sie mittlerweile auch selbst. Über seinen Streamingdienst zum Beispiel hat Amazon die ersten Folgen der Serie "The Man in the High Castle" veröffentlicht. Darin geht es um die Frage: Wie würde die Welt aussehen, wenn die Nazis den zweiten Weltkrieg gewonnen hätten? Auch einen eigenen Kinofilm mit dem Titel "Elvis & Nixon" produziert Amazon. Was danach kommt? Wahrscheinlich ein eigenes Videospiel. Laut Medienberichten hat Amazon Entwickler von bekannten Spielen wie World of Warcraft oder Halo verpflichtet.
Der amerikanische Versandkonzern Amazon hat still und heimlich im vergangenen Oktober begonnen, in München den Kunden seines Dienstes „Prime“ auch frische Lebensmittel anzubieten.
Noch firmiert Amazons Angebot gar nicht unter dem Namen „Fresh“ wie in den USA, sondern wird als Zusatzservice in Berlin und München den Kunden angeboten, die die Prime-Mitgliedschaft besitzen. Er gehört zu dem Service "PrimeNow", mit dem sich Kunden binnen Stunden Batterien, Matratzen oder auch einen 130-teiligen Steckschlüsselsatz zusenden lassen können. Obst, Fleisch und Käse sind nur ein Teil des Angebots - einer, mit dem der Versender unter dem Radar operiert und Erfahrungen mit schnell vergänglichen Gütern übt.
Die Angst vor Amazon
So fahren zwar noch keine Laster mit dem Aufdruck Amazon Fresh wie in den USA durch deutsche Städte. Dennoch ist klar: Der Angriff auf den deutschen Lebensmitteleinzelhandel kommt.
Rewe-Chef Alain Caparros fürchtet die Attacke. „Wir müssten uns warm anziehen gegen Amazon Fresh“, sagte er bereits Ende 2016 in einem Interview mit der Rheinischen Post.
Seit Monaten brodelt es in der Branche: Die Sorge vor einem Umbruch wächst, die Unsicherheit, was zu tun ist, auch. Dabei sind Lieferdienste für Lebensmittel im Prinzip nichts Neues. Die sogenannten Obst-Tüten, die Kunden einmal wöchentlich mit frischem Gemüse und Obst versorgen, sind ein alter Hut. Auf der anderen Seite der Skala – im exklusiven Feinkosthandel – ist die Zusendung auch verderblicher Waren längst nötiges Standbein von Anbietern wie Otto-Gourmet, die ihre gereiften Edel-Steaks quer durch die Republik versenden. Selbst Käseaffineure wie Waltmann in Erlangen erreichen per Post eine nationale Klientel.
Allein die Grundversorgung der großen Masse an Kunden – die tritt noch immer auf der Stelle. Etwa 1,3 Milliarden Euro wurden online im deutschen Lebensmitteleinzelhandel umgesetzt - dem stehen 160 bis 170 Milliarden Euro gegenüber im stationären Handel.
Doch mit dem Markteintritt von Amazon als Möhren- und Milch-Auslieferer in Deutschland, der sich zunächst auf Berlin und München beschränkt, wird sich das vermutlich ändern, wollen die bisherigen Platzhirsche nicht zusehen, wie der amerikanische Gigant auch diesen Markt im Sturm erobert.
Potenzial ist da: Die Strategieberatung Oliver Wyman rechnet bis 2020 mit einem Umsatz von sechs bis acht Milliarden mit Onlinebestellungen - das wären rund vier bis fünf Prozent statt 0,8 Prozent dieses Jahr. Dass Amazon Chancen hat, sich ein großes Stück vom Kuchen zu holen, bezweifelt niemand. In Deutschland wappnen sich deswegen große Lebensmittelhändler für die Zeiten, in denen nicht der Kunde zur Kühltheke, sondern die Schinkenwurst zum Kunden geht.