Karin Meinerz steht hinter der Kasse und zuckt mit den Schultern. Einen echten Groll hege sie eigentlich nicht gegen ihren alten Chef, sagt sie. „Ich hinke Sachen nicht ewig hinterher.“ Elf Jahre war sie bei Schlecker beschäftigt. Europas ehemals größte Drogeriekette ist längst pleite. Und die 56-jährige Meinerz hat im baden-württembergischen Kreis Ludwigsburg ihren eigenen Dorfladen aufgemacht, Drehpunkt heißt er. „Ich finde, jeder soll die gerechte Strafe kriegen für das, was er getan hat“, sagt sie. „Aber meist werden die Großen laufen gelassen.“
Die Schlecker-Insolvenz in Zahlen
... Menschen kostete die Schlecker-Pleite den Job
... Mitarbeiter hatte Schlecker zu Bestzeiten
... Schlecker-Märkte gab es vor der Insolvenz im In- und Ausland
... Euro zahlte ein Hilfsfonds an Ex-Mitarbeiter
... Milliarde Euro forderten Gläubiger nach der Pleite
... Millionen Euro zahlte Anton Schleckers Familie an die Insolvenzverwaltung
2006 rühmte sich Anton Schlecker noch, „Alleininhaber des größten Drogeriemarktunternehmens der Welt“ zu sein. Zehn Jahre später könnte er nun ins Gefängnis kommen: Der 72-Jährige muss sich vom 6. März an wegen vorsätzlichen Bankrotts vor Gericht verantworten. Schlecker hatte im Januar 2012 Insolvenz angemeldet - kurz vor der Pleite soll er Millionen beiseite geschafft haben. Die Staatsanwaltschaft hatte auch seine Familie - seine Frau und seine beiden Kinder - und Wirtschaftsprüfer angeklagt.
Die Schlecker-Story ist so dramatisch, weil Zehntausende Menschen damals plötzlich auf der Straße standen. „Ich fange erst an, das zu verarbeiten“, sagt die einstige Gesamtbetriebsratschefin Christel Hoffmann. Sie erinnert sich noch gut an die Verzweiflung, den Schock, die Mutlosigkeit unter den Angestellten damals. „Das war eine riesengroße Enttäuschung auf menschlicher Ebene - und natürlich hat man die Existenzangst gespürt.“ Bis heute habe sich die Familie nicht bei den Beschäftigten entschuldigt.
Hoffmann ist gespannt auf den Prozess. Wären die Vorwürfe gegen die Familie unbegründet, hätte das Gericht die Anklage nicht zugelassen, meint sie. „Sie sind die Verantwortlichen, die Verursacher und die Schuldigen, und aus der Verantwortung werde ich sie niemals entlassen.“
20 Jahre arbeitete Hoffmann für Schlecker, zunächst in einer Filiale in Pforzheim, später im Betriebsrat. Die 63-Jährige berichtet von Problemen mit dem Arbeitszeitgesetz, mit der tariflichen Bezahlung, mit der Sicherheit der Beschäftigten. „Da lag vieles im Argen“, sagt sie. Auch die Pleite wäre ihrer Meinung nach vermeidbar gewesen. „Er hat den Sprung ins Neue verpasst“, sagt sie über ihren ehemaligen Chef. Die Belegschaft habe durchaus kreative Vorschläge gemacht, etwa für ein vielfältigeres Angebot, ein attraktiveres Ladenlayout. Sie seien aber nicht gehört worden. Und im Gegensatz zu Schlecker hätten die Mitbewerber zudem ein echtes „Verkaufserlebnis“ geboten.
Hoffmann begleitete die Beschäftigen nach der Pleite in der Übergangszeit. „Es gibt nur sehr wenige Kolleginnen, die heute zu den alten Arbeitbedingungen Beschäftigung gefunden haben“, sagt sie. Anton Schlecker soll Millionen beiseite geschafft haben. Viele seiner ehemaligen Beschäftigten hätten hingegen einen schlechten Job annehmen müssen, um einigermaßen überleben zu können, sagt Hoffmann.
Karin Meinerz ist zufrieden mit ihrem schwäbischen Dorfladen. „Wir können die Rechnungen bezahlen“, sagt sie. Nach der Schlecker-Pleite hatten frühere Beschäftigte insgesamt acht Drehpunkt-Läden in Süddeutschland aufgemacht, nur drei seien noch übrig. Gegen die großen Drogerieketten komme man preislich einfach nicht an, meint Meinerz. Aber sie habe gemeinsam mit ihrer Mitinhaberin Bettina Meeh eine gute Lage im Zentrum des Dorfs, rund 150 Kunden kämen am Tag. „Es geht langsam und stetig voran.“
Eine Kundin kommt an die Kasse und fragt nach Ohrenstöpseln. „Sie stehen im richtigen Gang, nur ein bisschen weiter nach hinten“, ruft Meinerz. Der Plausch mit den Kunden sei wichtig in einem kleinen Ort wie Erdmannhausen, sagt sie. Auf ihren 180 Quadratmetern verkauft sie alles von Bilderbüchern über Babybrei bis hin zu Badebomben. Das grüne Drehpunkt-Logo soll sich vom früheren Schlecker-Blau absetzen. Über dem Fenster hat sie weihnachtlich dekoriert. Das war früher zu Schlecker-Zeiten nicht drin, sagt sie. Alle Läden mussten damals gleich aussehen. Nun könne sie mehr auf ihre Kunden eingehen, das Sortiment individuell gestalten, sagt Meinerz.