Der Newsletter der Weinhandlung Lorenz Adlon in Berlin schwärmt in den höchsten Tönen: Wer zu Gast sei auf Château d’Yquem auf der Spitze eines Hügels oberhalb der Ortschaft Sauternes südöstlich von Bordeaux, habe „wirklich das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein“.
Das ist sie auch. Insbesondere die Süßweine des Gutes gelten als die rarsten und besten der Welt. Ein d’Yquem aus dem Jahr 1811 ist bis heute laut „Guinness Buch der Rekorde“ die teuerste je versteigerte Flasche Weißwein: Sie erzielte 2011 in London 75 000 Pfund.
Der jüngste aktuell zu kaufende Jahrgang 2011 ist bei Lorenz Adlon allerdings zurzeit zum Kampfpreis von 299 Euro zu haben – 50 Euro weniger als Discounter Lidl seit Ende Oktober für den gleichen Wein in seinem Online-Shop verlangt.
Bei solchen Preisen ist die Gewinnmarge schmal: Etwa 250 Euro pro Flasche verlangt das Weingut, das zum Pariser Luxuskonzern LVMH gehört, schon von seinen Zwischenhändlern, die an den Einzelhandel weiterverkaufen.
2,60 Euro für Discounter-Wein
Die Reaktion der Berliner zeigt, wie bedrohlich der Einstieg von Lidl ins Geschäft mit hochpreisigen Weinen von der Branche eingeschätzt wird. „Das ist ein harter Schlag für den eh schon leidenden Weinfachhandel“, sagt Olaf Müller-Soppart, Mitgründer von Jacques’ Weindepot und heute Inhaber eines Spezialhauses für Weinkellereinrichtungen. Und die Lage dürfte sich verschärfen. Denn neben Lidl planen auch andere Einzelhandelsriesen, das Geschäft mit teureren Tropfen auszubauen.
Wo die Deutschen ihren Wein kaufen
Tankstellen, Restaurants, etc.
2012: 5%
2013: 5%
Absatzmengen von Wein in Deutschland nach Einkaufsstätten für die Jahre 2012 und 2013.
Fachhandel
2012: 7%
2013: 7%
Lebensmitteleinzelhandel (bis 1500 qm Ladenfläche)
2012: 12%
2013: 13%
Selbstbedienungswarenhäuser und Verbrauchermärkte
2012: 13%
2013: 13%
Winzer
2012: 15%
2013: 14%
Aldi
2012: 27%
2013: 26%
Discounter (mit Ausnahme Aldi)
2012: 27%
2013: 26%
Absatzmengen von Wein in Deutschland nach Einkaufsstätten für die Jahre 2012 und 2013
Quelle: GfK Consumer Scan
Der Konkurrenzkampf um den rund fünf Milliarden schweren Weinmarkt in Deutschland erreicht mit dem Lidl-Vorstoß eine neue Dimension. Bislang beschränkten sich die Discounter darauf, neben ihrem Standardsortiment billiger Weine in Aktionen Rieslinge und Barolos namhafter Weingüter anzubieten. Die kosten dann auch mal deutlich mehr als die 2,60 Euro, die der Deutsche im Schnitt für einen Liter Discounter-Wein zahlt. Die Aktionen taten dem Fachhandel wegen der begrenzten Mengen nicht wirklich weh.
Dennoch wurden Winzer wie Hans Lang aus Eltville am Rhein, die an Aldi lieferten, nicht selten von Ortsnachbarn oder Verbandsfreunden gerüffelt. Lang gehört zum Verband deutscher Prädikatsweingüter, der für sich in Anspruch nimmt, die große Mehrheit der Spitzenproduzenten der 13 deutschen Weinbauregionen zu vertreten.
Die Dämme brechen. Mit Online-Offerten wie dem 2011er Château d’Yquem für 349 Euro oder dem Saint-Estèphe Grand Cru Classé 2 Château Montrose des gleichen Jahrgangs für 89,99 Euro nimmt Lidl den Wettbewerb nicht nur mit dem stationären Fachhandel, sondern auch mit den Versendern hochwertiger Weine auf.
Bei den Bordeaux-Weinen soll es nicht bleiben, Lidl will weitere Länder dazunehmen. Und andere Handelsketten ziehen nach. Real plant für die wichtige Vorweihnachtszeit eine Aktion mit Weinen renommierter Häuser wie Antinori, Mondavi oder Torres.
Discounter Netto lässt sich von dem Mastersommelier Frank Kämmer beraten und führt im laut eigenen Aussagen größten Online-Weinsortiment eines Discounters unter anderem chilenische Rotweine für 99,50 Euro oder einen Château Figeac für 249 Euro. Rewe plant seit Monaten den Aufbau eines Online-Weinshops und muss nun zusehen, wie Wettbewerber Lidl mit Werbung in allen Filialen und TV-Spots voranprescht.
Die Probleme des Fachhandels
All dies trifft auf einen Fachhandel, der bereits angeschlagen ist. Weinverkauf ist in Deutschland mittlerweile die Domäne der Supermärkte, großen Kaufhäuser und Discounter. 74 Prozent aller Flaschen gehen in diesem Segment über das Kassenband, gerade einmal sieben Prozent verkauft der Fachhandel.
Das könnte nun noch weniger werden. „Bis heute war es nicht lustig mit Weinhandel, jetzt ist er tot“, klagt ein Berliner Händler, dessen Spezialität hochwertige Weine aus dem Bordeaux, der Champagne und den deutschen Spitzenweingütern sind.
Der Fachhandel leidet darunter, dass für Weine unterhalb von zehn Euro kaum ein Kunde Beratung im Ladengeschäft sucht. Und selbst Händler in der Preislage oberhalb von 20 Euro pro Flasche können nicht sicher sein, dass der Kunde, der sich einen Sancerre zum Steinbutt empfehlen lässt, den auch im Geschäft einpackt.
Das Phänomen ist auch in anderen Branchen bekannt: „Die Kunden suchen heute zum Teil noch im Geschäft auf dem Smartphone nach dem empfohlenen Wein, und wenn er im Versand billiger ist, bestellen sie ihn dort“, schimpft der Berliner Händler, der weiß, dass nur die Spezialisierung auf seltene Weine sein Überleben sichert.
Deutschlands größter Weinhändler heißt Aldi
In der Beletage der Weinexperten gibt es gegenüber den Discountern – anders als bei manchen Winzern – offenbar weniger Berührungsängste. So hat Lidl die Kompetenz für den Verkauf hochwertiger Weine eingekauft und dafür Richard Bampfield verpflichtet.
Der Brite hat 2012 in Großbritannien erstmals für die dortigen Lidl-Filialen Top-Weine ausgesucht und bewertet. Bampfield ist einer von nur knapp 300 Masters of Wine, die vom gleichnamigen Institut ausgebildet und geprüft werden. Zu ihnen zählen einige der einflussreichsten Weinkritiker wie Michael Broadbent oder Jancis Robinson.
Aus Deutschland gehört Caro Maurer zu dem exklusiven Club. Für die Weinautorin und Dozentin ist Bampfields Lidl-Engagement kein Sündenfall: „Er bewertet die Weine nach den üblichen Kriterien.“ Sie freue sich, dass mit Lidl ein Discounter auch bessere Qualitäten anbiete und der Kunde so dazu angeregt werde, auch mal mehr Geld für einen Wein auszugeben.
Bei Deutschlands größtem Weinhändler Aldi ist der ehemalige Sommelierweltmeister Markus Del Monego an Bord – auch er ein Master of Wine. Del Monego ist Gründer der Essener Agentur Caveco, die für Aldi die Weine aussucht. Früher stand Del Monego mit seinem eigenen Gesicht für die Aldi-Weinauswahl, nach vielen Anfeindungen von Kollegen wirkt er inzwischen nur noch abseits der Öffentlichkeit.
Aldi – bekannt dafür, bewusst spät auf Branchentrends aufzuspringen – hat noch keinen Online-Shop, setzt aber auch auf bessere Weinqualitäten. So arbeitet der Discounter mit dem badischen Winzer Fritz Keller zusammen, der seit 2008 für Aldi Süd die Edition Fritz Keller produziert – zu Preisen deutlich über dem Aldi-Durchschnitt. Die Trauben stammen von mehr als 450 badischen Winzern, die nach Vorgaben Kellers die Rebstöcke beschneiden und Mengen reduzieren müssen.
Hinter Lidls Vorstoß stecken indes weitere Motive als nur der Angriff auf Weinhändler und Handelskonkurrenten. Lidls Strategie mit dem Angebot von 1000 Weinen im Online-Shop ist es auch, die eigenen Kunden an den gerade durchstartenden Kauf von Lebensmitteln im Internet zu gewöhnen. Alle fürchten sich auch vor dem Versandhändler Amazon, der in den USA mit fresh.amazon Erfolg hat.
Tjorven Jorzik ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Frag’ Henry, das einen digitalen Sommelier für Supermärkte entwickelt hat. Via Touchscreen können sich dabei Kunden im Geschäft einen Wein empfehlen lassen. Jorzik meint: „Die Weinfachhändler leiden zwar unter dem Vorstoß der Discounter, sind aber eher Kollateralopfer.“