Die bitteren Folgen des Coronaschocks In diesen vier Branchen wird es eng

Vier Branchen sind von der Coronakrise besonders stark betroffen - darunter die Gastronomie. Quelle: dpa

Die Coronakrise drückt die deutsche Wirtschaft in die Rezession. Insolvenzexperten und Sanierungsspezialisten haben für die WirtschaftsWoche analysiert, in welchen Wirtschaftszweigen das Virus jetzt am stärksten wütet.

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Es ist die bislang wohl größte Insolvenz in Deutschland, die durch das Coronavirus ausgelöst wurde: Am vergangenen Montag stellten mehrere Gesellschaften der Arwe Group Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung. Die Unternehmensgruppe beschäftigt nach eigenen Angaben europaweit mehr als 4000 Mitarbeiter und sorgt etwa dafür, dass Mietwagen nach der Rückgabe durch die Kunden gereinigt und wieder bereitgestellt werden.

Zu den Kunden gehören neben Autovermietungsgesellschaften auch Autohersteller, -händler, Leasinggesellschaften und Carsharing-Anbieter – und damit all jene Unternehmen, die die Auswirkungen der Coronakrise derzeit mit voller Wucht zu spüren bekommen. Sie senken die Kosten, stornieren Aufträge und geben so den Druck an Dienstleister wie Arwe weiter. „Die sich seit längerem abzeichnende schwierige wirtschaftliche Lage in den Kernmärkten des Unternehmens hat jetzt durch die Auswirkungen des Coronavirus Dimensionen angenommen, welche eine Fortführung der Geschäfte auf einer soliden finanziellen Basis nicht mehr ermöglichen“, teilte das Unternehmen denn auch mit.

Der Insolvenzrechtler Stefan Proske von der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek und ein Team der Unternehmensberatung Restrukturierungspartner um Stefan Weniger sollen die Firma jetzt durch die Krise manövrieren. Anchor-Partner Paul Abel führt als vorläufiger Sachwalter die Aufsicht über die Rettungsmission. Ob die gelingt, ist völlig offen. Zu tief frisst sich das Corona-Virus derzeit in die deutsche Wirtschaft, lässt Läden schließen, Lieferketten zusammenbrechen und Bänder in den Fabriken stehen. „Die gesamte Wirtschaft leidet unter den Corona-Auswirkungen“, konstatiert Lucas Flöther, einer der bekanntesten deutschen Insolvenzverwalter. Vier Branchen seien dabei besonders stark betroffen: „Dazu zählen neben der Autoindustrie auch der Einzelhandel mit Nonfood-Produkten wie Bekleidung, die komplette Gastronomie sowie die Reise- und Veranstaltungsbranche von Hotels und Fluglinien bis hin zu Messebauern“, sagt Flöther.

Arwe passt ins Raster, auch wenn das Unternehmen kein klassischer Autozulieferer ist. Bei denen schlägt die Krise spätestens jetzt – nachdem die großen Hersteller VW, BMW und Daimler ihre Produktion gestoppt haben – auf die Bilanzen durch und verstärkt tiefgreifende strukturelle Probleme.

„Noch stärker leidet momentan sicherlich die Reise- und Veranstaltungsbranche unter den Virusfolgen“, sagt Thomas Hoffmann, Co-Leiter der Noerr-Praxisgruppe Restrukturierung & Insolvenz. Von Airlines über Kreuzfahrtanbieter bis zu Hotels und Reisebüros spüre die gesamte Touristik-Branche den Corona-Effekt. Bereits Ende Februar hatte der Reiseveranstalter China Tours Hamburg (CTH) ein Insolvenzplanverfahren beantragt, nachdem das Geschäft der auf Asienreisen spezialisierten Firma eingebrochen war. Inzwischen wurden Deutschlands Grenzen geschlossen, Flüge gestrichen und Urlauber im großen Stil aus den Urlaubsregionen ausgeflogen - weitere Pleiten sind wohl nur eine Frage der Zeit.

Ähnliches gilt für die Gastronomie. Um das Ansteckungstempo zu reduzieren, gibt es gravierende Einschränkungen für Cafés und Kneipen, teils auch einen kompletten Gastro-Bann. Die Folge: „Restaurants, Cafés, ganze Gastronomieketten erwischt die Krise mit voller Wucht“, sagt Tillmann Peeters, Geschäftsführer der Düsseldorfer Sanierungsberatung Falkensteg. „So schnell können die Unternehmen gar nicht gegensteuern, wie ihr Geschäft wegbricht“, sagt Peeters. Würden Nothilfefonds und andere Entlastungsmaßnahmen nicht „schnellstmöglich greifen“, sei die „Existenz tausender Betriebe akut bedroht“, warnt auch Guido Zöllick, Präsident des Branchenverbandes Dehoga.

von Philipp Frohn, Volker ter Haseborg, Henryk Hielscher

Selbst großen Gastronomieketten wie Vapiano macht die Lage zu schaffen: In Deutschland mussten 55 Restaurants auf unbestimmte Zeit schließen, weltweit sogar mehr als 230. Da Umsätze ausbleiben und Miete und Gehälter trotzdem gezahlt werden müssen, musste Vapiano am Freitag verkünden: Die Kasse ist leer, wir sind zahlungsunfähig. In normalen Zeiten müsste das börsennotierte Unternehmen nun innerhalb von drei Wochen formal Insolvenz anmelden. In der Corona-Realität hofft Vapiano hingegen darauf, noch den Kopf aus der Schlinge ziehen zu können. Der Wettbewerber L’Osteria, ein Marktschwergewicht mit 124 Restaurants in acht Ländern und allein in Deutschland über 5000 Mitarbeitern, gibt sich dagegen kämpferisch. „Wir halten das durch, aber der Markt wird nach Corona sicherlich anders aussehen als zuvor“, sagt Unternehmenschef Mirko Silz.

Das dürfte auch für den deutschen Einzelhandel gelten. Während Supermärkte, Drogeriefilialen und Onlineplayer wie Amazon an der Kapazitätsgrenze arbeiten, ruht bei vielen anderen Händlern das Geschäft. „Die Einzelhändler treffen die angeordneten Schließungen der Geschäfte ins Mark“, sagt Insolvenzexperte Flöther. Der Strukturwandel und die damit einhergehende Abwanderung der Kunden ins Netz sei für Modehändler, Warenhäuser oder Elektronikketten ohnehin schon eine gewaltige Herausforderung. „Corona könnte jetzt vielen Händlern den Rest geben“, erwartet Flöther.

Selbst wenn sich die Lage in einigen Wochen wieder bessert, dürften nicht alle Branchen einen Aufholeffekt spüren. „Wer jetzt auf den Kauf eines neuen Sofas verzichtet, wird das später nachholen“ und „wer ein neues Gebäude bauen lässt, wird das irgendwann fortsetzen“, sagt Sanierungsexperte Peeters. „Aber Flugreisen, Events und Tagungen, oder auch nur einen Kneipenabend werden die Konsumenten nicht eins zu eins nachholen“.

Auch Modeartikel, die im Frühjahr nicht verkauft werden, könnten die Bekleidungshändler im Herbst nicht loswerden. „Dieser Umsatz ist für die Unternehmen weg“, so Peeters. Er empfiehlt Unternehmen jetzt rasch einen Liquiditätsplan für die nächsten Wochen zu erstellen. Dabei gehe es um die zentralen Fragen: Wann sind welche Rechnungen fällig, welche Reserven habe ich, welche Einnahmen sind sicher – welche nicht? „Mit einem solchen Instrument schaut man wieder nach vorn und kann bei Bedarf rechtzeitig gegensteuern“, sagt Peeters.

Mehr zum Thema: In der Gastronomie macht sich Untergangsstimmung breit: Cafés und Restaurants erleben einen beispiellosen Einbruch ihres Geschäfts. Das erste Virus-Opfer ist die ohnehin angeschlagene Restaurantkette Vapiano, die sich am Freitag für zahlungsunfähig erklärte.

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