Klimazertifikate Macht Bäume pflanzen ein Kohlekraftwerk klimaneutral?

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„Vertrauenswürdigen Markt bauen“

Roger Sants Erfindung rettet also die Klimaverhandlungen. Und wird zum Milliardenmarkt. Eine Win-win-Situation: Reiche Länder müssen weniger einsparen, in ärmere Länder fließt viel Geld. Doch das Ganze ist unübersichtlich. „Ich hoffte, dass die UN einen vertrauenswürdigen Markt bauen“, sagt Roger Sant im Poolhaus. „Aber das ist ganz klar nicht geschehen.“

Das Kyoto-Protokoll gilt keine drei Wochen, da verwandelt eine indische Chemiefabrik das Klimainstrument in eine Gelddruckmaschine. Die Fabrik in Ranjitnagar, einem kleinen Dorf ganz im Westen von Indien, stellt Kältemittel her, etwa für Kühlschränke oder Klimaanlagen. Dabei setzt sie ein Gas frei, HFKW-23, etwa 11.000 Mal klimaschädlicher als CO2. Das macht es besonders wertvoll. Für eine Tonne eingespartes CO2 darf man ein Zertifikat verkaufen, für eine Tonne des Gases aus der Chemiefabrik etwa 11.000 Zertifikate. Also beginnt die Fabrik damit, das Gas unschädlich zu machen, statt es in die Luft zu blasen – und verdient damit in einem Jahr über 60 Millionen Euro.

Auf einmal ist es lukrativer, das Gas herzustellen als das Kältemittel. Zahlreiche Chemiefabriken registrieren sich bei den UN. Sie stellen Unmengen klimaschädlicher Gase her – nur um sie gleich danach wieder zu vernichten. Manche Fabriken werden damals nur noch betrieben, um möglichst viele Zertifikate zu generieren. Dem Klima nützte das dann gar nichts mehr. Allein der Trick mit dem HFKW-23-Gas nimmt Ausmaße an, die das ganze System zu sprengen drohen. Laut einem UN-Bericht stammen über die Hälfte aller UN-Zertifikate zwischenzeitlich aus den Kältemittelfabriken. Und das ist längst nicht alles. „Es gab viele weitere Probleme“, sagt Lambert Schneider vom Öko-Institut in Berlin. „Das Regelwerk hatte zu viele Schlupflöcher.“

„Minimaler Missbrauch“

Irgendwann wird das Problem so groß, dass auch der größte Abnehmer der Zertifikate es nicht mehr ignorieren kann: die EU. Sie beschließt, sich ab 2013 weitgehend aus dem Handel zurückzuziehen. In der Öffentlichkeit nimmt von dieser Entscheidung kaum jemand Notiz. Bei den UN aber löst sie ein Beben aus. 90 Prozent der Zertifikate wurden bis dahin in der EU verkauft. Das bricht nun mit einem Schlag weg. „In dieser Zeit fiel der Preis dramatisch“, sagt Lambert Schneider vom Öko-Institut. „Was übrig blieb, waren jede Menge billiger Zertifikate, die kaum noch Abnehmer fanden.“

Die UN brauchen nun dringend einen neuen Markt für ihre Zertifikate. Und sie finden: Menschen wie mich. 2015 eröffnen sie einen Onlineshop, auf dem man seinen CO2-Fußabdruck ausgleichen kann – den Shop, für den Edward Norton ganz am Anfang dieser Recherche geworben hat. Bin ich für die UN also bloß ein Abnehmer für Ramschzertifikate?



Man kann die Sache auch so wie John Kilani sehen. Als die EU sich aus dem UN-System zurückzieht, arbeitet er im Klimasekretariat der UN. Er gibt damals ein Interview, man kann es sich auf YouTube ansehen. Einen Markt für CO2-Ausgleich, sagt er, das hätte vor den UN noch niemand versucht: „Wir betraten neues Territorium.” Am Anfang, lautet die Botschaft, macht man nun mal Fehler. Dann hebt er das Kinn: „Wir freuen uns, öffentlich verkünden zu können, dass das Potenzial für Missbrauch auf ein Minimum reduziert wurde.”

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Tatsächlich haben die UN die Regeln für die Kältemittelfabriken geändert, um den Trick mit den HFKW-Gasen zu unterbinden. Und ein neues Kontrollsystem soll sicherstellen, dass für jedes Zertifikat wirklich CO2 eingespart wird. Als die UN den Shop starten, in dem ich eingekauft habe, schreiben sie selbstbewusst in einer Pressemitteilung: „Jedes Projekt“ verringere nun Emissionen. Also auch mein Staudammprojekt? Das will ich den Mann fragen, der mir die Zertifikate verkauft hat. Ähnlich wie bei Amazon bieten die UN die Projekte im Shop nicht selbst an. Als Verkäufer des Staudammprojekts tritt der brasilianische Konzern Carbotrader auf. Sein Chef heißt Arthur Moraes.

Ich schreibe ihm Mails, wähle die Nummer, die auf der Website des Konzerns steht. Doch egal, wie oft ich es versuche, eine Antwort bekomme ich nicht. Am Ende bleibt mir nichts anderes übrig: Ich muss nach Brasilien. In São Paulo führt der Weg zu Arthur Moraes durch verstopfte Straßen, in denen Smog hängt, raus aus der Metropole, vorbei an Favelas aus Wellblech und Sperrholz, bis zu einem gläsernen Bürokomplex. Laut seiner Website hat Carbotrader hier seinen Sitz. Die Frau am Empfang aber schüttelt verwirrt den Kopf. Arthur Moraes gehöre zwar eins der Büros, sagt sie, und wirft einen Blick auf ihren Bildschirm. Aber die Karte, mit der man ins Gebäude kommt, wurde seit Jahren nicht benutzt. Die Firma Carbotrader? Nie gehört.

Dammbruch: Zertifikatestaudamm in Brasilien, Milliardär Sant (l.), UN-Werber Norton mit Ehefrau Shauna Robertson Quelle: PR

Einige Tage später stoße ich im Netz auf Moraes’ Handynummer. Langsam tippe ich die Zahlen ins Handy ein. Es klingelt. Einmal. Zweimal.

Dann eine Stimme:
„Arthur.“
„Arthur Moraes?“
„Jo.“
Er ist es.
„Ich war bei Ihrem Büro“, sage ich.
„Ich weiß“, sagt Moraes, „aber ich habe Sie nicht eingeladen.“
„Haben Sie meine Mail bekommen?“
„Ja, aber ich habe nicht geantwortet.“ „Warum wollen Sie nicht mit mir sprechen?“
„Ich kann Ihnen keine Informationen geben, weil wir eine Verschwiegenheitsklausel mit unseren Kunden haben, okay?“

Moraes meint damit wohl die Betreiber der Staudämme. Aber ich bin auch sein Kunde – und das Staudammprojekt ist angeblich eine gute Sache. Warum will Moraes lieber im Schatten agieren?

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