Klimazertifikate Macht Bäume pflanzen ein Kohlekraftwerk klimaneutral?

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Wertlose Zertifikate?

Vielleicht hat das mit einem Trick zu tun, von dem man sagt, dass er das ganze UN-System infrage stellt. Es ist der Trick mit der Zusätzlichkeit: Bei jedem Klimaprojekt lautet die große Frage, ob es wirklich zusätzlich ist – oder nicht ohnehin umgesetzt worden wäre. Denn Windräder oder Staudämme werden ja auch gebaut, um mit ihnen Geld zu verdienen. Aber es ist verlockend, zusätzlich Zertifikate zu verkaufen. Ein bisschen Extrageld kann jedes Unternehmen gebrauchen. Nur: Alle Zertifikate, die das Projekt ausgibt, sind dann völlig wertlos.

2016 untersuchte das Öko-Institut im Auftrag der EU, wie viele Klimaprojekte der UN wirklich zusätzlich sind. Das Ergebnis der Studie ist vernichtend: Bei 85 Prozent der analysierten Projekte sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie entweder zusätzlich sind oder nicht zu viele Zertifikate produzierten. Das heißt: Die meisten UN-Projekte haben entweder mehr Zertifikate ausgegeben, als sie durften – oder all ihre Zertifikate sind von vorneherein wertlos, weil die Projekte ohnehin umgesetzt worden wären, also nicht zusätzlich sind. So oder so: lauter wertloses Zeug.

Das große Klimaprogramm der UN? „Völlig unklar, inwieweit es dem Klima überhaupt geholfen hat“, sagt Martin Cames, der die Studie leitete. Ein Großteil der unwirksamen Zertifikate sei nach wie vor verfügbar. Auch in jenem Shop, in dem ich eingekauft habe. Cames entdeckt Projekttypen, die mit geringer Wahrscheinlichkeit zusätzlich sind. „Trotzdem trägt das alles das UN-Siegel. Ich halte das für problematisch.“ Carsten Warnecke vom New Climate Institute geht sogar noch einen Schritt weiter. Seit Jahren forscht er zum UN-System. Er kennt auch den Shop, in dem ich eingekauft habe. Firmen, sagt er, könnten sich dort mit den wirkungslosen Zertifikaten billig klimaneutral kaufen. „Damit wird die Öffentlichkeit dann getäuscht.“ Bin auch ich mit meinem Staudammprojekt darauf hereingefallen?

Ich bitte Carsten Warnecke, sich das Projekt anzusehen. Um eine zweite Meinung zu haben, frage ich außerdem die renommierte Wissenschaftlerin Barbara Haya, die in Berkeley forscht. In den Dokumenten, die die UN zu dem Projekt veröffentlicht haben, stoßen beide unabhängig voneinander auf fragwürdige Angaben. Da ist etwa die sogenannte Investmentanalyse. Sie soll beweisen, dass die Staudämme nur mit dem Geld aus Zertifikaten gebaut werden können. Laut Haya beruht sie aber auf zweifelhaften Annahmen: „Die Rechnung beweist gar nichts.“ Warnecke stolpert über die Lizenz einer regionalen Umweltbehörde. Sie datiert vom 30. Januar 2004. Über ein Jahr, bevor das Kyoto-Protokoll und das UN-Programm überhaupt in Kraft treten. „Da stellt sich schon die Frage, ob die Zertifikate wirklich notwendig waren oder einfach nur mitgenommen wurden“, sagt Warnecke.

Die UN äußern sich trotz mehrfacher Anfrage weder zu ihrem Klimashop noch zu dem brasilianischen Staudamm. Für den TÜV Nord ist die Sache hingegen eindeutig. Dessen Prüfer haben sich den Damm schon 2012 angesehen und bescheinigt: Das Projekt entspreche allen UN-Kriterien. Auch die Merkwürdigkeit mit der Vor-Kyoto-Lizenz ändere daran nichts. „Eine Lizenz bedeutet noch nicht, dass ein Kraftwerk gebaut wird“, teilt der TÜV Nord mit. Das widerspreche auch den UN-Regeln nicht. Was nun stimmt, kann ich wohl nur vor Ort herausfinden.

Zum Staudamm führt eine bucklige Feldstraße, vorbei an Sojafeldern und Kuhweiden. Kilometerweit schlängelt sich der Fluss Ivaí durch die Graslandschaft, bis er hier auf 40 Meter Stahlbeton prallt, die aus dem Flussbett wachsen. Davor staut sich das Wasser zu einem kleinen See. Dahinter ist der Fluss nur noch ein Rinnsal. Das also ist er: der Ort, an dem ich klimaneutral wurde.

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In einem Konferenzraum ganz in der Nähe sitze ich den Menschen gegenüber, die das Wasserkraftwerk betreiben: Mateus Stefanello und zwei seiner Mitarbeiter. Sie arbeiten für den Energiekonzern Coprel. Alle tragen Jeans und Hemd mit Firmenlogo. An der Wand eine PowerPoint-Präsentation: „Wie lässt sich die Zukunft in eine nachhaltige Welt verwandeln?“, steht dort. Stefanello sagt, dass sie das Geld aus dem Verkauf der Zertifikate sinnvoll einsetzen. Zum Beispiel halte man Vorträge über Umweltschutz. Aber ist das Projekt zusätzlich? Hätten sie den Staudamm nicht ohnehin gebaut, auch ohne die Zertifikate? Für einen Moment ist es ganz still im Konferenzraum. Dann nicken die drei Männer langsam: „Ja, ja, ja, klar.“

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