Lobbyismus Unternehmen gründen undurchsichtige Bürgerinitiativen – und die EU finanziert sie mit

Nicht so sauberes Europa: Die Geldgeber von NGOs bleiben trotz Transparenzregister im Dunkeln Quelle: Illustration: Dmitri Broido

Fast-Food-Ketten, Tabakkonzerne und andere Unternehmen nutzen angeblich unabhängige Initiativen für ihre Interessen. Die kassieren sogar Steuergeld.

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In den kommenden Monaten kommt viel Arbeit auf Eamonn Bates zu. Denn die EU-Kommission will seinen Kunden einen schweren Schlag verpassen. Noch im Mai will sie voraussichtlich den Verkauf von Einweggeschirr verbieten. Damit bedroht sie das Geschäftsmodell von Fast-Food-Ketten und Verpackungsherstellern gleichermaßen. Bates arbeitet für beide. Er ist Generalsekretär an der Spitze des europäischen Verbands der Fast-Food-Branche. Der heißt „Serving Europe“, und in ihm haben sich Branchengrößen wie McDonald’s und Burger King zusammengeschlossen. Die gleiche Funktion hat der Ire auch beim europäischen Verband der Verpackungsindustrie namens Pack2go.

Es wäre nicht das erste Mal, dass die EU-Kommission noch kurz vor Ende der Legislaturperiode ein weitreichendes Verbot durchsetzt. Vor fünf Jahren etwa hat sie mit der Änderung einer Richtlinie im Hauruckverfahren die Verwendung von Plastiktüten stark eingeschränkt. „Ohne echte Debatte“, erinnert sich Lobbyist Bates. „Aber Politiker greifen halt gern zu Maßnahmen, von denen sie sich einen Imagegewinn versprechen“, ergänzt er.

Den Kampf um Becher, Messer und Gabeln aus Plastik gibt Bates jedoch noch nicht verloren. Als ebenso findiger wie erfahrener Berater setzt er dabei auf ein effizientes und zugleich irreführendes Instrument. Seinen dritten Job als Generalsekretär übt Bates nämlich beim Clean Europe Network aus. Der Zusammenschluss diverser Initiativen, Organisationen und Recycling-Unternehmen tritt wie eine idealistische Nichtregierungsorganisation (NGO) auf. Die Visitenkarte ziert neben gelben Sternen auch das Piktogramm eines umweltbewussten Bürgers, der brav seinen Müll an der richtigen Stelle entsorgt.

Dabei sind die Botschaften des Clean Europe Network ganz im Sinn von Bates’ Kunden aus der Industrie. Für ihren Müll sollen vor allem die Verbraucher und weniger die Hersteller verantwortlich sein. Letztere sollten allenfalls freiwillig Aufräumkosten übernehmen. Der Konsument, so heißt es etwa in einem Positionspapier, dürfe nicht den Eindruck bekommen, dass er beim Kauf auch ein „Recht zur Vermüllung“ miterworben habe. Der Befund passt perfekt in den Kampf für den Erhalt des Plastikgeschirrs.

Dass im Eingang der von Bates gegründeten Agentur im Brüsseler Europa-Viertel ein Gemälde mit gesichtslosen Männern in Grau hängt, wirkt angesichts der strategischen Flexibilität der Agentur fast schon antiquiert. Lobbyarbeit wird in Brüssel heute nicht mehr nur in Kostüm und Anzug, sondern auch in Hoody und Lederjacke betrieben. Industrievertreter setzen vermehrt auf vermeintlich unabhängige Bürgerinitiativen und Thinktanks, um die politische Meinungsbildung in ihrem Sinne zu beeinflussen. „Das gehört heute schon fast zum Standardrepertoire“, sagt Daniel Freund von Transparency International.

In den USA hat sich diese Praxis als „Astroturf“ schon länger etabliert. Der Name leitet sich von einer bekannten Marke für Kunstrasen ab und ist zugleich Programm. Wer keine echte Graswurzelbewegung an seiner Seite weiß, schafft sich eben selbst eine. Vor allem Branchen mit zweifelhaftem Image unterstützen oder gründen Bewegungen, die ihre Botschaften aussenden und dabei authentisch wirken. Bei vielen Politikern kommt das an. Da sie sich nicht von den Bedürfnissen der Bürger entfernen wollen, neigen sie dazu, NGOs mehr Aufmerksamkeit zu schenken als Industrielobbyisten. Wer tatsächlich hinter der angeblichen Volksbewegung steht, bleibt ihnen jedoch oft verborgen.

Steuergeld für Lobbyarbeit

In Deutschland war der schwedische Energiekonzern Vattenfall Vorreiter der Praxis. Als er im Osten des Landes noch luftverschmutzend Braunkohle förderte, finanzierte er zugleich den Verein „Pro Lausitzer Braunkohle“. Als Sprachrohr einer angeblich schweigenden Mehrheit brachte der auf seiner Website und bei Veranstaltungen Argumente für den Kohleabbau unter die Leute. Bis heute ist nicht bekannt, wie viel Geld von Vatenfall floss. Vereine, NGOs und andere Initiativen der Zivilgesellschaft müssen ihre Einkünfte nicht offenlegen.

Genau diese Lücke macht es Unternehmen einfach, falsche Graswurzeln anzulegen. Selbst wenn die NGOs Informationen herausrücken, also freiwillig angeben, für wen sie arbeiten, machen sich Politik und Verwaltung nicht die Mühe, genau hinzusehen. So weist etwa das Clean Europe Network brav darauf hin, dass die angeblich so umweltbewusste Organisation zugleich Mitglied im Verband der Verpackungshersteller ist.

Die EU-Kommission hat die Arbeit der zweifelhaften NGO trotzdem mit Steuergeld gefördert. 2013 überwies sie 250 000 Euro, 2015 noch mal 167 600 Euro an das Netzwerk. Angesichts dieser Großzügigkeit kann sich der Verpackungsverband finanziell zurückhalten. Er beschränkt sich auf eine Zuwendung von 7500 Euro im Jahr.

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