Online-Lebensmittelhandel Die Amazon-Revolution ist ausgeblieben

Amazon Fresh Quelle: dpa

Der Online-Handel spielt beim Lebensmittelkauf bislang kaum eine Rolle. Viele glaubten, der Start des Lebensmittellieferdienstes Amazon Fresh würde dies ändern. Doch bislang hat sich diese Erwartung nicht erfüllt.

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Als der Internetgigant Amazon im Mai vergangenen Jahres seinen Lebensmittellieferdienst Amazon Fresh in Deutschland startete, hielt der Lebensmittelhandel den Atem an. Die Sorgen waren groß. Denn niemand wusste, wie dramatisch der durch den US-Konzern ausgelöste Wandel sein würde. Doch nicht einmal ein Jahr später sind die größten Ängste offenbar verflogen. Der Siegeszug des Online-Handels im Geschäft mit Hackfleisch, Tomaten und Mineralwasser ist vielleicht nicht abgesagt, aber doch aufgeschoben.

„Im Lebensmittelhandel ist eine Ernüchterung zu beobachten, was das Online-Geschäft angeht. Viele haben einen Gang zurückgeschaltet, was den Ausbau ihrer Internet-Aktivitäten angeht“, beobachtet der E-Commerce-Experte Kai Hudetz vom Kölner Institut für Handelsforschung (IFH). Die Erwartung, dass durch den Start von Amazon Fresh der Online-Handel mit Lebensmitteln unheimlich an Fahrt gewinne, habe sich noch nicht erfüllt. Das Branchenfachblatt „Lebensmittel-Zeitung“ beschreibt den Trend mit den Worten „Zwei Schritte vor und einen zurück“.

Tatsächlich scheinen die großen deutschen Handelsketten beim Ausbau ihrer Online-Aktivitäten ein wenig die Lust verloren zu haben. Beim Internet-Vorreiter Rewe stagniert die Zahl der vom Lieferservice abgedeckten Regionen schon seit geraumer Zeit bei 75. Statt das Netz weiter zu verdichten, testet Rewe lieber in gut 50 Läden Servicestationen, bei denen der Kunde per Internet bestellte Waren selbst abholt.

Konkurrent Edeka beschränkt sich mit dem von Tengelmann übernommenen Lieferdienst Bringmeister nach wie vor auf Berlin und München. Die zur Schwarz-Gruppe gehörenden Handelsketten Lidl und Kaufland haben das mit viel Ehrgeiz gestartete Online-Geschäft mit Lebensmitteln sogar wieder weitgehend aufgegeben. Ein Lieferservice im Lebensmittelbereich lasse sich „auf Sicht nicht kostendeckend betreiben“, hieß es zur Begründung bei Kaufland. Aldi lässt bisher in Deutschland ganz die Finger von dem Thema. Der Discounter investiert lieber Milliarden in die Verschönerung seines Ladennetzes.

Selbst Amazon legt beim Ausbau seiner Lebensmittel-Aktivitäten in Deutschland bisher ein eher geruhsames Tempo vor. Bislang ist Amazon Fresh nur in Berlin, Hamburg und München am Start. Doch wuchs die Zahl der angebotenen Artikel immerhin von mehr als 85 000 beim Start in Berlin auf inzwischen mehr als 300 000 in München.

„Die Händler stehen vor einem Dilemma: Wer zu früh in den Online-Handel einsteigt, verliert Geld. Wer zu spät kommt, verliert Marktanteile. Die Kunst ist es, bereit zu sein, um auf den Zug aufzuspringen, wenn er losfährt. Aber nicht vorher. Das Anschieben kostet im Moment noch unheimlich viel Geld“, meint Hudetz.

Tatsächlich liegt der Marktanteil des Online-Handels bei Lebensmitteln nach wie vor bei nur rund einem Prozent. Die durch ein dichtes Ladennetz verwöhnten Deutschen erweisen sich als schwierige Kunden für die Onliner. Woran es den Internet-Supermärkten vor allem fehlt, ist Stammkundschaft. Laut EY-Studie kaufte im vergangenen Jahr gerade einmal jeder 70. Befragte (1,4 Prozent) seine Lebensmittel bereits mindestens zur Hälfte online. Nur jeder achte befragte Verbraucher gab an, künftig häufiger online shoppen zu wollen.

„Das Marktpotenzial des Online-Handels mit Lebensmitteln wurde von vielen überschätzt“, glaubt inzwischen der Handelsexperte Hudetz. Bei den meisten Verbrauchern fehle die Bereitschaft, die Kosten für den teuren Lieferservice extra zu bezahlen.

Ob die noch überschaubaren Auswirkungen von Amazon Fresh auf den deutschen Lebensmittelhandel allerdings wirklich Anlass zur Entwarnung sind, ist unter Branchenkennern umstritten. „Keiner der großen deutschen Lebensmittelhandelsketten nimmt das Thema Online-Handel ernst genug“, kritisiert etwa der E-Commerce-Experte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein.

Amazon sei bereit, auf Jahre hinaus auf Profite zu verzichten, um einen Markt zu erschließen und beweise dies einmal mehr auf dem deutschen Lebensmittelmarkt, meint der Branchenkenner. Am Ende werde Amazon damit erfolgreich sein. Heinemann prognostiziert: „Der Online-Anteil beim Verkauf von Lebensmitteln kann in den nächsten zehn Jahren zehn Prozent erreichen. Wie es heute aussieht, wird sich Amazon mindestens 50 Prozent davon sichern. Wenn Rewe und Edeka nicht bald wieder Gas geben, könnten es sogar 80 Prozent werden.“

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