
Paukenschlag am Stuttgarter Landgericht: Anton Schlecker muss nicht ins Gefängnis, seine Kinder hingegen schon. Während der 73-Jährige wegen vorsätzlichen Bankrotts zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 54.000 Euro verurteilt wurde, kamen seine Kinder nicht so glimpflich davon: Meike (44) muss für zwei Jahre und acht Monate in Haft, ihr Bruder Lars (46) sogar noch einen Monat länger – unter anderem wegen Insolvenzverschleppung, Untreue und Beihilfe zum Bankrott.
Im Zentrum des Verfahrens stand eine Frage: Hat Anton Schlecker aus Gier Geld verschoben, als die Insolvenz nicht mehr abzuwenden war?
Auch nach neun Monaten an Gerichtsverhandlungen hielten es die Staatsanwälte für erwiesen, dass Schlecker im Angesicht der drohenden Pleite seines Drogerie-Imperiums Millionen für sich und seine Kinder beiseite geschafft hat. Da er die Insolvenz hätte kommen sehen müssen, so die Ankläger, hätte er sich schuldig gemacht – in zwei der zahlreichen Anklagepunkte sogar in einem besonders schweren Fall des vorsätzlichen Bankrotts.
Das sah die Große Wirtschaftskammer des Stuttgarter Landgerichts unter dem Vorsitzenden Richter Roderich Martis am Ende in dieser Form nicht als erwiesen an und blieb mit dem Strafmaß deutlich unter den von Staatsanwalt Thomas Böttger geforderten drei Jahren Haft.
Stationen der Schlecker-Insolvenz
Schlecker meldet Insolvenz an.
Das Verfahren wird eröffnet. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz hofft noch auf die Rettung von Teilen der Drogeriekette.
Es wird bekannt, dass Anton Schlecker sein Privathaus im Wert von zwei Millionen Euro vor der Insolvenz an seine Frau übertragen hat. Ein zweites Grundstück soll sein Sohn bekommen haben.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart leitet ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Untreue, Insolvenzverschleppung und Bankrott gegen Anton Schlecker ein.
Die Schlecker-Gläubiger fordern mehr als eine Milliarde Euro.
Der österreichische Investor Rudolf Haberleitner will 2013 bis zu 600 ehemalige Schlecker-Filialen mit dem Konzept eines modernen Tante-Emma-Ladens wiederbeleben.
Gut ein Jahr nach der Pleite zahlt die Familie Schlecker dem Insolvenzverwalter 10,1 Millionen Euro. Hintergrund ist der Streit um übertragenes Vermögen aus dem Unternehmen.
Haberleitner will einstige Schlecker-Filialen unter dem Namen Dayli wiederbeleben und Testläden in Deutschland eröffnen.
Noch vor dem geplanten Deutschland-Start ist der Schlecker-Nachfolger Dayli pleite.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erhebt Anklage gegen Anton Schlecker wegen vorsätzlichen Bankrotts.
Der Insolvenzverwalter reicht Klage gegen ehemalige Schlecker-Lieferanten ein. Sie sollen Schlecker wegen illegaler Preisabsprachen um viel Geld gebracht haben. Geiwitz will Schadenersatz in Millionenhöhe.
Es wird bekannt, dass das Landgericht die Anklage zulassen will. Der Schlecker-Prozess soll im März 2017 beginnen.
Der Prozess vor dem Landgericht Stuttgart beginnt.
Staatsanwalt Thomas Böttger fordert für Anton Schlecker drei Jahre Haft. Lars Schlecker soll nach dem Willen der Staatsanwälte zwei Jahre und zehn Monate in Haft, Meike zwei Jahre und acht Monate. Die Verteidigung hält die Forderungen für „überzogen“, nennt aber selbst kein empfohlenes Strafmaß.
Das Urteil des Landgerichts Stuttgart ist am Ende doch eine Überraschung: Anton Schlecker muss nicht ins Gefängnis. Das Gericht verurteilte den 73-Jährigen wegen vorsätzlichen Bankrotts zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 54.000 Euro. Schleckers Kinder Lars (46) und Meike (44) wurden dagegen zu Haftstrafen von zwei Jahren und acht Monaten beziehunsgsweise zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, unter anderem wegen Insolvenzverschleppung, Untreue und Beihilfe zum Bankrott.
Anders bei Lars und Meike Schlecker, hier folgten die Richter den Staatsanwälten. Ihnen hatte Böttger im Kern zwei Dinge zur Last gelegt:
- Den Kindern gehörte eine Logistikfirma namens LDG, die die Ware aus den Schlecker-Zentrallagern in die zeitweise 8000 Filialen transportierte – und dafür nach den Erkenntnissen der Strafverfolger zu viel Geld kassierte. Damit habe die Familie ihrem Unternehmen Millionen entzogen, die den Gläubigern am Ende fehlten – für Böttger ein „besonders schwerer Fall des vorsätzlichen Bankrotts“. Zudem hätten sie für die LDG selbst viel zu spät Insolvenz angemeldet.
- Anton Schlecker hatte drei Tage vor dem Gang zum Insolvenzrichter in Ulm zwei Immobilien einer Österreich-Tochter und der Drogeriekette „Ihr Platz“ in Osnabrück für sieben Millionen Euro zu Gunsten seiner Kinder verkauft. Das Geld ließen sich Lars und Meike noch am gleichen Tag als Gewinnausschüttung auf ihre Konten überweisen.





Ein Punkt, mit dem sich die Staatsanwaltschaft sicher keinen Gefallen getan hat: In der zu Prozessbeginn vorgetragenen Anklage hieß es noch, dass Schlecker Ende 2009 die Zahlungsunfähigkeit drohte – angemeldet hatte Schlecker die Insolvenz im Januar 2012. Im Laufe des Verfahrens rückten die Staatsanwälte aber von ihrer Anklage ab und hielten später Ende 2010 für den Zeitpunkt, ab dem die Pleite nicht mehr abzuwenden war.
„Nach Überzeugung der Kammer drohte die Zahlungsunfähigkeit ab dem 1. Februar 2011“, sagte Martis. Deshalb setzte das Gericht im Falle von Anton Schlecker die Summe, die dem Unternehmen entzogen wurde, deutlich geringer an als die Staatsanwaltschaft – was das geringere Strafmaß erklärt.
Die Schlecker-Familie auf der Anklagebank
Der 73-Jährige ist der große Unbekannte. Selbst örtliche Politiker und Wirtschaftsvertreter hatten kaum Kontakt zu ihm. Nach der Pleite soll sich Anton Schlecker auch von Vertrauten zurückgezogen haben. Der gelernte Metzgermeister eröffnete 1975 den ersten Schlecker-Markt. Bereits zwei Jahre später betrieb er mehr als 100 Filialen. Er baute ein Imperium auf und beschäftigte in Glanzzeiten mehr als 55.000 Menschen.
Der heute 46-Jährige saß mit in der Geschäftsführung des Schlecker-Imperiums. Er wurde an der European Business School in London ausgebildet und machte 2000 an der Steinbeis-Hochschule in Berlin seinen Master of Business Administration. Zu Zeiten des Internet-Hypes sammelte Lars Schlecker unternehmerische Erfahrungen als Gesellschafter des B2B-Portals Surplex.com.
Mit seiner Schwester verbindet ihn eine schreckliche Erfahrung: An Weihnachten 1987 wurden die Schlecker-Kinder entführt. Vater Anton handelte die Lösegeldforderung der Erpresser von 18 auf 9,6 Millionen Mark herunter. Das Geld wurde gezahlt, die Kinder konnten sich aber selbst befreien. Nach einem Bankraub wurden die Entführer 1998 gefasst. Lars Schlecker ist verheiratet und lebt in Berlin.
Lars' zwei Jahre jüngere Schwester (44) legte eine mustergültige Karriere vor. Sie studierte an der renommierten IESE Business School in Barcelona, ist aber schon etwa seit dem Jahr 2000 im Unternehmen beschäftigt. Meike Schlecker war es, die sich 2012 vor Journalisten stellte, um die Pleite zu verkünden. Es war der erste öffentliche Auftritt der Familie seit dem Prozess gegen die Entführer der Kinder 1999. Meike Schlecker ist geschieden; sie lebt in London.
Ende Mai durfte Christa Schlecker die Anklagebank verlassen. Sie erklärte sich bereit, 60.000 Euro an gemeinnützige Organisationen zu zahlen – das Verfahren wurde eingestellt. Über Anton Schleckers Frau ist am wenigsten bekannt. Die 69-Jährige wird als „resolut“ beschrieben. Sie galt als enge Vertraute Antons und soll zusammen mit ihm das berüchtigte Kontrollnetz über Mitarbeiter errichtet haben.
Im Nachgang der Pleite gab es darüber die unterschiedlichsten Äußerungen. „Nach meinem Dafürhalten wurde Anton Schlecker von der Insolvenz überrascht“, sagte etwa der Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz vor Prozessbeginn. „Er war überzeugt, dass er vom Einkaufsverbund Markant wieder ein Lieferantendarlehen bekommt. Dass dieses überraschend ausblieb, war der Anfang vom Ende.“ Ein ehemaliger Steuerdirektor des Drogerie-Imperiums soll hingegen in einer polizeilichen Vernehmung ausgesagt haben, dass „seit 2004 operativ mehr oder weniger kein Geld mehr“ verdient wurde.