Pleiten bei Modefirmen „Der Online-Boom ist nur ein Krisenverstärker“

Modebranche in der Krise: Online-Boom ist nur ein Faktor Quelle: PR

Zahlreiche deutsche Modefirmen kämpfen ums Überleben. Verantwortlich dafür sind nicht nur Online-Boom und Wetterkapriolen, sondern auch hausgemachte Fehler, sagt Insolvenzverwalter Christian Gerloff. Im Interview erklärt der Experte, warum 2019 das entscheidende Jahr für die Branche wird.

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Herr Gerloff, in den vergangenen Jahren mussten zahlreiche Textilhändler ihre Läden schließen. Bekannte Marken kämpfen auch jetzt ums Überleben. Rechnen Sie 2019 mit weiteren Mode-Insolvenzen?
Viele Unternehmen aus der Textilbranche agieren schon seit geraumer Zeit im Krisenmodus. Das betrifft sowohl Hersteller als auch Modehändler. Ob die Zahl der Insolvenzen in dem Bereich steigen wird, lässt sich noch nicht sagen. Aber klar ist: 2019 wird für viele Modehändler und -hersteller das entscheidende Jahr.

Warum kam es in den vergangenen Jahren zu vergleichsweise vielen Pleiten in der Branche?
Es gibt eine Vielzahl von Gründen. Der bekannteste ist sicherlich, dass der Onlinehandel den stationären Anbietern Umsatz wegnimmt. Das ist aus meiner Sicht aber nicht unbedingt der entscheidende Grund.

Sondern?
Mode hat in Deutschland nicht mehr den Stellenwert, den sie in anderen Ländern einnimmt. Die deutschen Verbraucher geben ihr Geld offenbar lieber für andere Dinge aus. Dabei spielt auch eine gewisse Übersättigung eine Rolle. Während in anderen Weltregionen anlassbezogen ganze Outfits, oftmals sogar markenkonform, neu gekauft werden, erstehen die deutschen Kunden lieber Bekleidungsstücke, die sich flexibel kombinieren lassen. Hinzu kommt, dass schlicht zu viel Ware auf dem Markt ist. Unter dem Überangebot leiden die Margen. All das macht die Marktsituation derzeit nicht einfacher. Der Onlineboom wirkt in gewisser Weise nur wie ein Krisenverstärker.

Wie reagiert der Handel darauf?
Jeder Anbieter meint, er muss einen eigenen Online-Shop aufmachen. Und tatsächlich kann E-Commerce als zusätzlicher Vertriebskanal durchaus sinnvoll sein. Aber der Onlinefokus allein reicht nicht aus. Die stationären Anbieter müssen wieder stärker in die Läden und damit in ihr Kerngeschäft investieren. Da passiert bislang relativ wenig. Wenn Sie sich die Flächen anschauen, finden Sie kaum Innovationen. Viele Anbieter sind zudem nicht mehr in der Lage, Begehrlichkeiten zu wecken, oder zumindest schnell genug auf neue Trends zu reagieren. Ein Großteil der Angebote ist austauschbar geworden. Sinkt der Absatz, werden einfach die Rabatte erhöht. Nach und nach wird so auch die finanzielle Kraft für Innovationen schwächer, und es beginnt eine Krisenspirale.

Viele Unternehmen aus der Branche erklären ihre Probleme mit den Wetterbedingungen. Sie argumentieren, der heiße und lange Sommer 2018 habe massiv Umsatz gekostet. Ist das nur eine Ausrede?
Die Sommerhitze hat die Lage natürlich nicht besser gemacht. Bei 35 Grad bummeln die Leute nicht durch die Geschäfte, sondern gehen lieber ins Freibad. Trotzdem liegen die Probleme tiefer. Bei allen Unternehmen, die Insolvenz anmelden oder sich restrukturieren wollen, gibt es immer auch grundlegende operative Baustellen.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie als Sanierer oder Insolvenzverwalter zu einem Modehändler gerufen werden?
Zunächst geht es darum, das Vertrauen der zentralen Akteure zu gewinnen. In der Regel sind das die Mitarbeiter, die Lieferanten und die Kunden. Gerade im Einzelhandel ist es dabei wichtig, dass die Kunden möglichst wenig von einer Insolvenz spüren und das Thema bei ihrer Kaufentscheidung keine Rolle spielt. Meine Kernbotschaft gegenüber Lieferanten und Mitarbeitern lautet immer: Ich bin nicht der Pathologe, sondern der Notarzt – der Patient lebt und kann gerettet werden...

... wenn auch oft nur unter großen Schmerzen.
Richtig. Bei einer Sanierung geht es auch darum, die Kosten zu senken, um das Unternehmen wieder handlungsfähig zu machen. Das gelingt aber nicht mit pauschalen Ansagen und Forderungen, sondern über Standort- und Marktanalysen, auf deren Basis ich mit Lieferanten und Vermietern über bessere Konditionen verhandele. Neben der Notwendigkeit, die Kosten zu senken, ist es wichtig, Erträge und Produktivität auf der Fläche zu steigern. Es geht dabei um Themen wie den richtigen und spannenden Sortimentsmix und eine bessere Kundenansprache.

Welche weiteren Branchen müssen 2019 kämpfen?
Neben der Fashionbranche gibt es im gesamten Handel Teilsegmente, die unter erheblichem Druck stehen. Apotheken und Autohäuser müssen kämpfen. Der Automotive-Bereich schwächelt, und auch viele Krankenhäuser hatten wirtschaftlich schon bessere Zeiten.

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