
Herr Caparros, Sie lieben Kunst, Kultur und klare Worte. Woran erinnert Sie das Gefeilsche um die Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann?
Alain Caparros: Das Ganze hat schon etwas von einer Wagner-Oper: Mit reichlich Donnerhall, Kampf und Dramatik. Aber ein Schlachtengemälde aus dem 17. Jahrhundert trifft die Szenerie auch ganz gut.
Und Sie geben den Ritter in strahlender Rüstung? Oder wie sehen Sie Ihre Rolle?
Nein. Es gibt keinen Sieger in dieser Auseinandersetzung. Es ist ein Desaster, was bei den bisherigen Verhandlungen herausgekommen ist. Tausende Beschäftigte von Kaiser’s Tengelmann bangen um ihre Jobs.
Sie haben Ihr wichtigstes Ziel erreicht: Sie wollten verhindern, dass Edeka-Chef Markus Mosa Kaiser’s Tengelmann komplett übernimmt.
Unser primäres Ziel haben wir von Anfang klar gemacht: Edeka soll nicht alle Märkte bekommen. Aber es ist bitter. Es lagen deutlich bessere Lösungen auf dem Verhandlungstisch als die Zerschlagung und Einzelverwertung, auf die es nun hinauszulaufen scheint. Die Sturheit des Tengelmann-Eigentümers und von Herrn Mosa haben einen fairen Kompromiss verhindert. Das trifft nun leider vor allem die Mitarbeiter von Kaiser’s Tengelmann.
Die Hängepartie bei Kaiser's Tengelmann
Der Handelskonzern Tengelmann teilt mit, seine Supermärkte an Edeka verkaufen zu wollen. Die verbliebenen rund 450 Kaiser's-Tengelmann-Filialen, die seit Jahren rote Zahlen schreiben, sollen bis Mitte 2015 komplett an den deutschen Marktführer gehen.
Das Bundeskartellamt untersagt Edeka die Übernahme. Die Behörde befürchtet Preiserhöhungen und weniger Wettbewerb.
Tengelmann und Edeka wollen das Veto des Kartellamts nicht hinnehmen. Sie beantragen eine sogenannte Ministererlaubnis für den Zusammenschluss.
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) gibt grünes Licht für die Übernahme - unter harten Auflagen. So muss Edeka den Erhalt von über 15 000 Jobs bei Kaiser's Tengelmann für mindestens sieben Jahre garantieren.
Edeka-Konkurrent Rewe legt beim Oberlandesgericht Düsseldorf Beschwerde gegen die Ministererlaubnis ein, wie auch Markant und Norma.
Das Oberlandesgericht stoppt die Ministererlaubnis vorläufig. Die Ausnahmegenehmigung Gabriels sei rechtswidrig. Er habe sich in dem Verfahren befangen und nicht neutral verhalten.
Gabriel wirft dem Gericht schwere Versäumnisse vor. Das Urteil enthalte falsche Behauptungen.
Edeka geht juristisch gegen den Stopp der Fusion durch das Oberlandesgericht vor. Das Unternehmen reicht eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) ein. Der BGH will darüber am 15. November entscheiden.
Auch Gabriel legt Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Gerichts ein. Darüber soll ebenfalls Mitte November entschieden werden. Kaiser's Tengelmann läuft unterdessen die Zeit davon.
Die Chefs von Tengelmann, Edeka und Rewe sowie Vertreter von Verdi wollen sich zu einem Rettungsgespräch treffen.
Der Aufsichtsrat von Kaiser's Tengelmann soll angesichts hoher Verluste über die Schließung von Filialen und den Abbau Tausender Arbeitsplätze beraten. Damit würde der Deal mit Edeka platzen und die Kette wohl zerschlagen.
Bei einem zweiten Spitzentreffen vereinbaren die Supermarktchefs überraschend, dass die Edeka-Konkurrenten ihre Klage zurückziehen und damit den Weg frei machen für die Übernahme. Sie geben sich Zeit bis zum 17. Oktober.
Die Verhandlungen zwischen den Chefs von Tengelmann, Edeka, Rewe und Verdi sind gescheitert. Die Supermarktkette wird nun zerschlagen. Noch am Abend bereitet Tengelmann-Eigentümer Karl-Erivan Haub die Mitarbeiter auf den Verlust vieler Arbeitsplätze vor.
Das sieht Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub anders. Er wirft ihnen vor, die Übernahme systematisch sabotiert zu haben.
Ich kämpfe nicht gegen Haub oder Edeka. Ich kämpfe für Rewe. Es ist meine Pflicht, alles dafür zu tun, dass Rewe eine gute Zukunft hat. Fakt ist, dass Kaiser's Tengelmann eine der letzten großen Akquisitionsmöglichkeiten im deutschen Lebensmittelhandel ist. Marktführer Edeka hätte durch die Komplettübernahme den Abstand zu uns nochmal erhöht. Jeder zweite Supermarkt in Berlin wäre dann ein Edeka-Markt. Sie kriegen dort auch keine Flächen mehr – und in München ist es ähnlich. Daher haben wir von Anfang an gesagt, dass wir alle rechtlichen Mittel nutzen werden, um unsere Interessen durchzusetzen.
Gehören dazu auch „unseriöse Angebote“, als die Haub ihre Offerten bezeichnet hat?
Das ist Unfug, wir haben hart, aber fair gespielt und verbindliche Angebote unterbreitet. Rewe soll jetzt den Buhmann abgeben für eine gründlich verkorkste Übernahme.
Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich inzwischen eingeschaltet und drängt auf eine Lösung. Kann die Zerschlagung noch abgewendet werden?
Die Chancen sind gering, aber es ist noch nicht zu spät. Solange keine Filiale den Besitzer gewechselt hat, ist eine Einigung zumindest denkbar.
Dafür ist die Atmosphäre doch längst zu vergiftet.
Die Handelsbranche ist kein Ponyhof. Herr Haub und ich werden sicherlich keine Freunde mehr. Aber das Ziel kann es auch nicht sein, dass wir nächstes Jahr gemeinsam in den Urlaub fahren. Wir müssen für die Märkte und die Mitarbeiter eine Lösung finden – darum geht es. Ich habe bereits meine Bereitschaft erklärt, gemeinsam mit allen Beteiligten und einem Mediator noch einmal nach Kompromissen zu suchen.
Es sieht nicht so aus, als hätte Haub große Lust, sich darauf einzulassen. Er hat Anfang der Woche die ersten Kaiser’s-Tengelmann-Filialen zum Verkauf angeboten. Sind dadurch wirklich 8000 Stellen bedroht, wie er sagt?
Es gibt viele Interessenten für die Filialen. Und wir werden versuchen Mitarbeitern zu helfen, die bei Kaiser‘s Tengelmann ihren Job verlieren. Wenn wir bei Rewe künftig zum Beispiel einen Metzger oder Kassierer suchen, werden wir Bewerbungen von Kaiser’s-Tengelmann-Mitarbeitern mit Priorität berücksichtigen.