Beim Leipziger Internet-Konzern Unister wurden Millionen hin und her geschoben, in der Buchhaltung herrschte Chaos, auf dem Konto war schon lange Ebbe. In dem Gutachten, über das Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR berichten, übt Insolvenzverwalter Lucas Flöther heftige Kritik an der mangelhaften Buchhaltung in dem Konzern, die ihm eine Übersicht über die finanzielle Lage bis heute stark erschwerten. Auf allen Konten des Unternehmens fanden sich gerade noch knapp 4000 Euro liquide Mittel. Es sei „nicht auszuschließen, dass einzelne Gesellschaften des Unister-Konzerns bereits seit dem Jahr 2015 zahlungsunfähig sind“.
Theoretisch könnte sogar gegen den einstigen Unister-Chef Thomas Wagner „Ansprüche wegen verspäteter Insolvenz-Antragstellung bestanden haben“, heißt es in dem Gutachten. Wagner, Gründer und Chef von Unister, war Mitte Juli bei einem Flugzeugabsturz in Slowenien ums Leben gekommen. Er hatte zuvor in Italien vergeblich versucht, frisches Geld aufzutreiben. Auf dem Rückweg aus Venedig stürzte das Flugzeug von Wagner ab.
Was in Venedig genau passiert ist, ist nicht geklärt. Insidern zufolge soll Wagner einem „venezianischen Geschäftsmann“ rund eine Million Euro in bar übergeben und im Gegenzug einen deutlich höheren Barkredit in Schweizer Franken erhalten haben. Bei den Franken soll es sich aber größtenteils um Blüten gehandelt haben, was Wagner jedoch angeblich erst später auffiel.
Die Unister-Insolvenz - Ein Wirtschaftskrimi?
Der Fall ist mysteriös - und klingt nach einem Wirtschaftskrimi: Selfmade-Millionär und Gründer des Leipziger Internetunternehmens Unister, Thomas Wagner, stürzt am 14. Juli 2016 mit einer Privatmaschine in Slowenien ab. An Bord Bargeld. Kurz darauf meldet die Holding Insolvenz an, ebenso ein Tochterunternehmen. Schon seit Jahren wird über wirtschaftliche Schwierigkeiten spekuliert. Viele Fragen sind offen.
Quelle: dpa
Zum Absturz könnte Vereisung an der einmotorigen Maschine beigetragen haben. Entsprechende Probleme hatte der 73-jährige Pilot der slowenischen Flugkontrolle gemeldet. Slowenische Medien spekulierten, dass die gecharterte Privatmaschine deutlich oberhalb der für diesen Typ üblichen Flughöhe von 5000 Metern unterwegs gewesen sein dürfte. Die Untersuchungen des Wracks laufen noch, auch unter Beteiligung deutscher Behörden.
Neben Firmengründer und Unister-Hauptanteilseigner Wagner (38) auch der Mitgesellschafter Oliver Schilling (39), ein 65-jähriger Mann und der Pilot.
Wagner und sein Kompagnon wollten sich in Venedig mit potenziellen Investoren treffen, wie Unister mitgeteilt hat. Dabei sollen sie betrogen worden sein. Die slowenische Polizei berichtete von Dokumenten an Bord der Unglücksmaschine, die darauf hinwiesen, dass Wagner „um eine größere Summe geschädigt wurde“. In Medienberichten wird über die Investoren und untergeschobenes Falschgeld spekuliert, offiziell bestätigt ist nichts. Auch die Herkunft der an der Unglücksstelle gefundenen 10.000 Schweizer Franken in bar ist unbekannt.
Wagner galt zeitweise als ostdeutscher Vorzeige-Unternehmer, später gerieten Geschäftspraktiken von Unister immer wieder in die Kritik. Die letzte veröffentlichte Bilanz der Unister Holding stammt von 2011. Ihr alleiniger Geschäftsführer war Wagner, der alle Fäden in den Händen hielt. 2002 hatte er Unister als 23-Jähriger in Leipzig ursprünglich als Studententauschbörse gegründet und das Start-up auf einen rasanten Wachstumskurs geführt. 2015 war dann von Stellenstreichungen die Rede, 30 Millionen Euro pro Jahr sollten eingespart werden.
Unter dem Dach der Unister Holding GmbH fand sich eine Vielzahl von Firmen, die mehr als 40 Internetportale unter anderem zu den Themen Reisen, Nachrichten, Immobilien oder Partnervermittlung betreiben - darunter beliebte Seiten wie fluege.de, ab-in-den-urlaub.de, news.de oder partnervermittlung.de. Insgesamt arbeiteten mehr als 1000 Beschäftigte für die Unternehmensgruppe.
Bis zu seinem Tod hielt Wagner rund 40 Prozent der Anteile und war damit Hauptgesellschafter Unister Holding. Der Rest verteilt sich nach Firmenangaben auf die vier Mitgründer - darunter Schilling, der ebenfalls beim Absturz ums Leben kam - sowie eine Firma namens Opus30 Vermögensverwaltungsgesellschaft.
2012 geriet Unister ins Visier der Justiz. Wagner und drei weitere Manager wurden unter anderem wegen unerlaubter Versicherungsgeschäfte und Steuerhinterziehung angeklagt. Unister wies die Vorwürfe stets zurück. Zum Prozess kam es bisher nicht, weil das Landgericht Leipzig derzeit eine weitere Klage prüft.
So lag dem MDR-Magazin „exakt“ eine Bestätigung der italienischen Polizei vor, wonach Wagner vor dem geplanten Rückflug nach Deutschland in Venedig noch Anzeige erstattet hat. Zudem sagte ein Sprecher der slowenischen Polizei dem MDR, an der Absturzstelle habe man „italienische Dokumente“ gefunden - also ein Skript der Anzeige.
Demnach sei Wagner in Venedig betrogen worden, es sei um hohe Summen gegangen. Zudem habe man am Unglücksort 10.000 Schweizer Franken gefunden. Dabei könnte es sich theoretisch um das echte Geld handeln, mit dem die Blüten verdeckt worden sein sollen. Nach dem Tod des Gründers musste die Unister-Holding und andere Beteiligungen Insolvenz anmelden.
Der Absturz war nicht die Ursache für die Insolvenz, sondern der Auslöser. Unternehmenskenner berichteten schon seinerzeit, die Finanzsituation sei seit Langem extrem angespannt gewesen. Sogar von „Insolvenzverschleppung“ war die Rede. Ein Vorwurf, um den sich seitdem auch Insolvenzverwalter Flöther kümmert. Der kommt nun zu dem Schluss, das auf Unister ein Schuldenberg von 58 Millionen Euro laste. Dem stünden nicht einmal 14 Millionen Euro Vermögen gegenüber.
Investoren haben bereits Kaufgebote abgegeben
Aus Sicht des Insolvenzverwalters hat eine „Verkettung mehrerer größtenteils vom Unternehmen selbst verursachter Umstände“ in die Pleite geführt. Als wesentlichen Auslöser nennt Flöther eine mit Fremdkapital finanzierte „progressive Wachstumspolitik“. Das gelte insbesondere für Planung, Buchhaltung und Controlling.
Die Holding habe ihren Töchtern zuletzt mehr als 25 Darlehen mit einem Gesamtvolumen von mehr als 82 Millionen Euro gewährt. Auch seien für einzelne Tochterfirmen interne, bisher nicht bezahlte Dienste im Wert von knapp 55 Millionen Euro geleistet worden. Seit Anfang 2016 seien die Geschäfte innerhalb des Konzerns gar nicht mehr verbucht worden.
Wagner hatte den Konzern mit seinen zahlreichen Geschäftsfeldern von Reise-Vermittlungen über eine Immobilien-Agentur bis hin zur Partnersuche aufgebaut. Portale wie „fluege.de“ und „ab-in-den-urlaub.de“ lockten Millionen Kunden an. Dennoch häufte das Unternehmen einen riesigen Schuldenberg an.
Das 2002 gegründete Leipziger Unternehmen galt lange Zeit als größter Betreiber kommerzieller Websites hierzulande. Zu den Dutzenden von Unister-Domains gehören beispielsweise „auto.de“, „shopping.de“, „boersennews.de“ und bis vor Kurzem auch „geld.de“. Die mit Abstand größten Erlöse erzielte die Firma mit Reiseportalen wie „Ab-in-den-Urlaub.de“ und „fluege.de“.
In Spitzenzeiten vermittelte Unister Pauschalreisen, Flüge und Mietwagen im Wert von fast zwei Milliarden Euro jährlich. Für die Reiseportale warben unter anderem Fußballer Michael Ballack und Sportmanager Reiner Calmund. Damit waren die Sachsen im Onlinebereich klarer Marktführer - weit vor Großkonzernen wie TUI, Thomas Cook und auch deutlich vor direkten Konkurrenten wie Holidaycheck oder Expedia.
Für jede vermittelte Reise kassierte Unister vom Reiseveranstalter eine Provision - eigentlich ein geniales Geschäftsmodell. Allerdings mussten die Leipziger einen enormen Marketingaufwand betreiben, damit die User überhaupt auf die Portale kamen. So schaltete das Unternehmen über Jahre hinweg in riesigem Ausmaß Anzeigen bei Google. Gab ein Nutzer Stichworte wie "Mallorca + Urlaub" in die Suchmaske ein, poppte meistens "Ab in den Urlaub" auf. So kam es, dass Unister mitunter mehr Geld an Google bezahlte, als die Reiseveranstalter an Unister.
Flöther hofft nun, große Teile des Unternehmens aus der Insolvenz retten zu können. Mehrere Investoren haben bereits Kaufangebote abgegeben. Das Tagesgeschäft mit Reisebuchungen soll angeblich immer noch gut laufen.