Werner knallhart

Shoppen an Heiligabend: Ist das schon zu viel verlangt?

Verdi ruft uns alle auf, an Heiligabend nicht einzukaufen. Schließlich wollen Verkäuferinnen und Verkäufer sich aufs Fest vorbereiten. Aber was sollen dann erst die Leute aus anderen Branchen sagen?

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Verdi fordert ein Shopping-Verzicht an Heiligabend. Quelle: dpa

Wir kennen das ja: Mist, in vier Stunden ist Bescherung und ich hab noch kein Geschenk für Mama.

Oder der Becher Schlagsahne für den Nachtisch ist schon für die Bratensoße verplant. Oder die Lichterkette für den Weihnachtsbaum ging doch die letzten zwanzig Jahre, warum ausgerechnet heute nicht?

Dann muss man an Heiligabend nochmal los in die Stadt. Shoppen! Weil Heiligabend ja kein Feiertag ist, geht das zumindest meist bis zum späten Mittag. Das ist ein guter Service.

Dieses Jahr fällt Heiligabend allerdings auf einen Sonntag. Wem dieses Jahr erst am 24. auffällt, dass er eine Mutter hat oder sonstige Besorgungen machen muss, hätte dank des deutschen Ladenschlusses eigentlich ein weihnachtliches Problem. Und der Handel auch. Denn der letzte Tag vor Weihnachten ist als Panikeinkaufstag nicht zu verachten, was die Umsätze angeht.

Deshalb gilt: Lebensmittelhändler dürfen in diesem Fall an Heiligabend bis zu drei Stunden bis zum späten Mittag öffnen.

Aber jetzt kommt Verdi. „Unglaublich zynisch“ sei das. Hat Verdi-Bundesvorstands-Mitglied Stefanie Nutzenberger so gesagt. Die Verbraucher sollten lieber zu Zeiten einkaufen, die den Verkäufern zuzumuten seien.

Liebe Kunden, bitte bleibt an Heiligabend weg. Als ich das Ganze gelesen habe, hatte ich einen ziemlichen Klos im Hals. Die armen Verkäuferinnen und Verkäufer. Ihre Leute von den Gewerkschaften haben immer noch nicht begriffen, was die Stunde geschlagen hat. In Zeiten von Amazon heute noch dafür zu werben, den stationären Einzelhandel vor Weihnachten zu boykottieren, obwohl die Ladenöffnung am Sonntag demokratisch legitimiert ist, das ist schon allerhand.

Heiligabend ist DER Tag, an dem die Läden im Weihnachtsgeschäft noch einmal so richtig gegen den Online-Handel triumphieren können. Wer an Heiligabend noch etwas für Weihnachten kaufen muss, kann es online nicht mehr rechtzeitig ordern. Da zählen an Heiligabend alle auf das Ladengeschäft mit Verkäufern vor Ort. Als die guten Seelen, die uns in letzter Sekunde das Weihnachtsfest retten. Laut Verdi sollten wir Kunden uns dafür aber offenbar schämen.

Wieso aber müssen die Verkäufer ausgerechnet dieses Jahr an Heiligabend so viel fürs Fest vorbereiten, wie Verdi suggeriert? Nur weil der Tag auf einen Sonntag fällt? Sonst wird an Heiligabend doch auch gearbeitet.

Würde Heiligabend etwa auf einen Montag fallen, wäre es für die Verkäufer sogar noch dramatischer. Denn dann wäre der Tag davor ein Sonntag, da kann man als Verkäufer selber keine privaten Besorgungen machen, weil da ja alles zu hat. Montag müssten die Verkäufer arbeiten, weil Heiligabend ja kein Feiertag ist, und die zwei Tage drauf sind wieder alle Läden zu.

Die Gewerkschafter sollten ehrlich sagen, dass sie es generell blöd finden, dass Läden an Heiligabend öffnen dürfen. Der Sonntag macht es doch nicht schlimmer.

Aber was ist das bloß für eine antiquierte Haltung zu Kundenservice? Da rufen die Vertreter derer, deren Jobs an hohen Umsätzen hängen, die Cash-Kühe Kunden dazu auf, die Konsumgewohnheiten nach den Bedürfnissen ihrer Dienstleister zu richten: Liebe Kunden, immer bitte gerne sehr viel Geld in unsere Läden tragen, schön viel Weihnachtsgeschenke kaufen. Aber wenn Not am Mann ist, wenn ihr was auf den letzten Drücker braucht, tja, zwischen den Jahren wieder. Wer noch kein Geschenk hat: Geschenkgutscheine gibt es bei Amazon, iTunes und so rund um die Uhr online. Hauptsache, die Läden blieben leer.

Wie alle anderen auch?

Verdi sagt, die Verkäufer wollten sich doch „wie jeder andere auf das Weihnachtsfest vorbereiten und gemeinsam mit ihren Familien feiern.“

Wie alle anderen auch? Was sollen da die Leute anderer Branchen sagen? Die Flugbegleiterinnen: „Bitte fahren Sie an Heiligabend mit der Bahn.“

Die Zugchefs: „Nein. Bitte nehmen Sie den Fernbus.“

Die Busfahrer: „Oh Gott! Bitte feiern Sie Weihnachten schön zuhause.“

„Genau“, sagt die Hotel-Rezeptionistin. „Wozu an Weihnachten auswärts übernachten?“

„Und zuhause schmeckt es doch am besten“, sagt die Kellnerin.

„Da kommt auch was Gutes im Fernsehen“, sagt der Kinokarten-Abreißer.

„Und bloß nicht zu viel bewegen nach dem Essen“, sagt der Trainer bei McFit.

Deutschlands beliebteste Waren- und Kaufhäuser

U-Bahn-Fahrer, Krankenschwestern, Stellwerk-Bedienstete, Polizisten, Kioskverkäufer, Reinigungspersonal auf Kreuzfahrtschiffen, Radioreporter, Taxifahrer, die Angestellten in Flughäfen und Bahnhöfen, Feuerwehrleute, LKW-Fahrer mit verderblicher Ware, Internet-Redakteure, all diese Leute arbeiten dieses Jahr am 24. Dezember.

Sollen wir nun an Heiligabend die U-Bahn boykottieren? Sollen wie am Flughafen keinen Kaffee bestellen? Und uns statt vom Radiowecker vom Handyweckton wecken lassen?

Einige Händler werden an Heiligabend gar nicht öffnen. Aldi will zu bleiben. Und Rewe lässt die eigenen Filialen auch dicht. Nur die von selbständigen Kaufleuten betriebenen 1.200 Rewe-Läden werden nach Gutdünken der Inhaber geöffnet. Bei Edeka das gleiche Prinzip.

Aber den Kunden ein schlechtes Gewissen einzureden, wenn sie geöffnete Läden aufsuchen wollen, das ist so, als würde man jemanden ein Bonbon anbieten, und dann empört die Tüte wieder wegziehen, wenn der andere gerade zugreifen will.

Vielleicht hilft es Verdi ja, über den Frust hinwegzukommen, wenn sie sich mal überlegen: Die Kunden, die sich am 24. Dezember darüber freuen, noch letzte eilige Besorgungen machen zu können, sichern ihren Mitgliedern mit ihren Konsumgewohnheiten auch sonst rund ums Jahr die Arbeitsplätze. Und die sind wegen des aufstrebenden Online-Handels alles andere als sicher. In Deutschland geben die Leute erst 1,2 Milliarden Euro jährlich für online bestellte Lebensmittel aus. In Frankreich waren es 2016 6,7 Milliarden, in Großbritannien 7,8. Die Welle wird auch uns erreichen.

Amazon Fresh bringt Lebensmittel bald nicht nur in Berlin und Hamburg, sondern auch in München - sogar von Feinkostgeschäften aus der Nachbarschaft. Deutsche Ketten wie Edeka, Rewe, Kaufland und Real rüsten online auch auf. Und Amazon Prime Now stellt in Metropolen wie Berlin innerhalb von sechzig Minuten zu, wenn es sein muss. Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis die das auch an Heiligabend direkt bis unter den Weihnachtsbaum tun. 2017 hat Prime Now das laut Hotline noch nicht vor. Punkt für die Verkäufer im Geschäft. Empfangt uns Kunden also gerne in offenen Läden mit offenen Armen. Solange wir noch kommen wollen.

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