Homann Wie Molkemilliardär Theo Müller eine Kleinstadt narrte

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Insider berichten über die Atmosphäre

Trotzdem schickt Müller zwei Vertraute ins niedersächsische Dissen, um dort das neue Werk vorzubereiten. Volker Fiege, zuvor Produktionsleiter bei Sachsenmilch in Leppersdorf, übernimmt die Leitung des Neubauprojekts, Müllers Schwiegersohn Andreas Hoh, der in Sachsen den Kraftwerksbau geleitet hat, plant die Technik. Ein Insider berichtet, dass jetzt jede atmosphärische Störung in Dissen umgehend den Konzernboss in der Schweiz erreicht.

So erfährt Müller etwa von einem ökologisch bewegten Nachbarn, der Haus und Grund nicht verkaufen will, schon gar nicht an den Kapitalisten Theo Müller. Der mag so etwas nicht und steuert mit Verve dagegen. So wie im Dezember 2004, als Greenpeace-Aktivisten im Nikolauskostüm vor der Konzernzentrale im schwäbischen Aretsried gegen angebliche Genmilch protestieren. Persönlich soll sich der Seniorchef, Seite an Seite mit Werkschützern und Sohn Theo junior, den „Schurken“ entgegengestellt haben, selbst Fäuste sollen geflogen sein.

Zurück nach Dissen, ein gutes Jahrzehnt später: Sicher ist der Protest eines Einzelnen nicht entscheidend, doch auch er trägt dazu bei, dass die Alternative Sachsen für Müller immer attraktiver aussieht.

Im Oktober 2016 jedenfalls, als Homann-Mitarbeiter immer noch von einem Neubau in Dissen ausgehen, führen Müller-Unterhändler bereits vertrauliche Gespräche mit sächsischen Landespolitikern. Denen stellen sie Investitionen von mehreren Hundert Millionen Euro und neue Arbeitsplätze in Aussicht. CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich dürfte sicher nicht abgeneigt gewesen sein. Müller-Insider verweisen auf den „engen Draht“, den der Unternehmer zu dem Landesvater pflegt, so soll er Tillich etwa zu seiner Geburtstagsfeier nach Berlin eingeladen haben. Leppersdorf liegt in Tillichs Wahlkreis.

Im Februar finden informelle Gespräche zwischen deutschen Behörden und der EU-Kommission statt, bei denen es um mögliche Beihilfen für Leppersdorf geht. Das bestätigt Monate später Staatssekretär Matthias Machnig auf schriftliche Fragen des Grünen-Bundespolitikers Sven-Christian Kindler. Einen Antrag auf öffentliche Förderung gibt es laut Bundesregierung bisher nicht.

Eigentlich braucht es den auch nicht. Viele Fakten sprechen für Leppersorf: Der Standort liegt verkehrsgünstig – und da bereits ein Bebauungsplan für das Industriegebiet existiert, dürfte die Genehmigung nicht lange auf sich warten lassen. Die gemeinsame Nutzung von Werkstätten, Kläranlagen, Kühllagern und der Logistik wird diese besser auslasten und Einsparungen bringen.

Mehr als 1000 Jobs sollen von Niedersachsen nach Sachsen umziehen: Der Nahrungsmittelkonzern Theo Müller will die Produktion seiner Feinkost-Tochter Homann zusammenlegen.

Die ergeben sich auch aus dem niedrigeren Personalbedarf. Die neue Fabrik werde wohl zunächst mit 900 Mitarbeitern auskommen, sagt ein Müller-Manager. Bisher beschäftigt Homann in sieben Werken insgesamt knapp 3000 Mitarbeiter, mindestens vier Standorte sollen gebündelt werden. Zudem liegen in Sachsen die tariflichen Löhne laut Tarifvertrag pro Kopf 400 bis 600 Euro im Monat niedriger. Nach Angaben der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten gilt der Vertrag bei Sachsenmilch aber eh nicht.

Aus Dissen würden „vielleicht 50 bis 100 Mitarbeiter“ in die neue Superfabrik wechseln, vermutet Homann-Betriebsrat Andreas Straede. Sein Arbeitgeber sucht derweil weiter neue Mitarbeiter – Betriebsschlosser, Außendienstler, Markenmanager und Auszubildende können sich für Jobs in Dissen bewerben. Die sollten beim Vorstellungsgespräch aber nachfragen, wo sie künftig arbeiten. Von einer Standortverlagerung ist in den Stellenanzeigen nicht die Rede.

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