Industriestrompreis „Unsere internationalen Kunden kaufen mehr bei der Konkurrenz in Asien“

Geschäftsführer Jürgen Heck zieht es nach Asien Quelle: PR

Auf einen Industriestrompreis kann das Familienunternehmen Schill+Seilacher nicht warten. Geschäftsführer Jürgen Heck muss Stellen abbauen. Im Interview erklärt er, warum das Unternehmen jetzt in Asien wachsen will.

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Auf dem Werksgelände des Chemieunternehmens Schill+Seilacher ist wenig los. Nur vereinzelt passieren Lkw die Unternehmenspforte und auch bei den Anlagen sind kaum Mitarbeiter zu sehen. Dafür gibt es logische Gründe: Freitag kurz vor 12 Uhr - Mittagessenzeit für die Schichtarbeiter auf dem Werksgelände in Böblingen. Aber die Stimmung vor Ort gibt einen Ausblick darauf, wie es künftig häufiger auf dem Firmengelände aussehen könnte.

Das Familienunternehmen produziert hier seit mehr als 40 Jahren vor allem Zusatzstoffe für Chemiefasern, aus denen in China Polyester hergestellt wird. 2022 hat Schill+ Seilacher ein Viertel des Umsatzes eingebüßt. Um die Zukunft des Unternehmens zu retten, muss das Familienunternehmen Stellen streichen und einen Teil der Produktion nach Asien verlagern. Ein Gespräch mit Geschäftsführer Jürgen Heck.

WirtschaftsWoche: Herr Heck, konnten Sie die hohen Energiekosten an anderer Stelle kompensieren?
Jürgen Heck: Wir haben es mit Preiserhöhungen versucht, allerdings erst im zweiten Quartal letzten Jahres. Wir haben ehrlicherweise gedacht, die Lage entspannt sich wieder. Hat sie aber nicht. Uns sind die Margen buchstäblich davongelaufen. Dann haben wir die Preise signifikant erhöht. Das ging nicht überall, teilweise waren wir an langfristige Verträge gebunden und mussten zu Herstellungspreisen verkaufen.

Wie haben Ihre Kunden auf die Preiserhöhungen reagiert?
Die europäischen Kunden hatten Verständnis, sie waren ja in der gleichen Situation. Aber unsere Kunden kommen hauptsächlich aus China. Dort zahlt die Industrie aktuell einen Cent pro Kilowattstunde. Die Nachfrage von dort ist deshalb drastisch eingebrochen. Unsere internationalen Kunden kaufen mehr bei der Konkurrenz in Asien, wo sie keinen Aufschlag zahlen müssen.

Inzwischen sind die Strompreise in Deutschland wieder gesunken, befinden sich allerdings noch immer deutlich über dem Niveau in China und den USA. Was bedeutet das für Schill+Seilacher?
Um die Zukunftsfähigkeit des Standorts Böblingen zu sichern, müssen wir jährlich 7,5 Millionen Euro Personalkosten einsparen. Zu Hochzeiten haben wir hier am Standort 94.000 Tonnen Chemikalien im Jahr produziert, jetzt sind es noch 68.000 Tonnen. Für ein geringeres Volumen braucht es weniger Leute. Die Details verhandeln wir derzeit mit dem Betriebsrat.

Die Politik diskutiert derzeit über einen subventionierten Strompreis für die Industrie. Wäre ein Industriestrompreis die Rettung für den Standort Böblingen?
Das kommt ganz darauf an, wie hoch der Industriestrompreis ausfallen würde. Bei den aktuellen Strompreisen in den USA und China bräuchten wir eine Reduktion von drei Vierteln. Für uns würde das jährlich einen Unterschied von drei bis vier Millionen Euro machen. Die Hälfte der Kosten, die wir jetzt einsparen müssen, wäre somit gedeckt. Wir müssten dafür deutlich weniger wertvolles Personal abbauen.

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von Nele Husmann

Ab wann rechnen Sie denn mit einem Industriestrompreis?
Wenn ich ehrlich bin: Ich rechne nicht damit, dass es in Deutschland einen Industriestrompreis geben wird. Wir gehen aktuell auch in der Zukunft von den acht Cent aus, die wir derzeit pro Kilowattstunde bezahlen. Mit denen kalkulieren und budgetieren wir. Und selbst wenn mich die Politik überrascht und es einen Industriestrompreis geben wird, dann wird das nicht vor 2024 der Fall sein.

Und 2024 wäre zu spät?
Für uns als Standort wäre das verkraftbar, für jeden Mitarbeiter, der dann nicht mehr hier ist, wäre es sicher zu spät. Die Politiker haben ganz viel Zeit, aber wir spüren den Kostendruck hier jeden Tag. Irgendwann muss man mal Entscheidungen treffen, auch wenn sie unangenehm und hart sind. Das macht niemand gerne. Aber wenn wir diese Entscheidung nicht treffen, gefährden wir den ganzen Standort.

Was sind Ihre Forderungen an die Regierung?
Neben einem Industriestrompreis brauchen wir Deregulierung, Verbindlichkeit und Planbarkeit. Die hohen Energiepreise sind längst nicht unser einziges Standortproblem. Noch belastender ist das Thema Infrastruktur, am schlimmsten aber die deutsche Regulierungswut. Wir rüsten in diesem Bereich aktuell massiv Personal auf, um die Regulierungen überhaupt zu bewältigen und somit weiter hier produzieren und exportieren zu können. Auch das sind letztendlich alles Kosten.

Wieso hält Schill+Seilacher dennoch am deutschen Standort fest?
Wir wollen unsere Produktgruppen künftig parallel an verschiedenen Standorten herstellen. Bei einer Krise wie im vergangenen Jahr wollen wir nie wieder alternativlos dastehen, sondern flexibel reagieren können. Wir halten an unserem deutschen Standort fest, gehen aber davon aus, dass das Wachstum in Asien stattfindet. Dort sind wir aktuell auf der Suche nach Kooperationspartnern, um Teile der Produktion dorthin zu verlagern. Um wettbewerbsfähig bleiben zu können, müssen wir näher an den Kunden ran.

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Im vergangenen Jahr musste Schill+Seilacher zwischenzeitlich Anlagen herunterfahren, weil die Lieferkette aus China zusammengebrochen ist. Hat diese Erfahrung nicht gezeigt, wie gefährlich es ist, sich abhängig von China zu machen?
Fakt ist: Im Bereich Chemiefasern sind wir abhängig von China, sogar auf zweierlei Ebenen. Wir beziehen viele unserer Rohstoffe von dort und liefern auch sehr viel Ware dorthin. Über 90 Prozent der Polyestergarne stammen aus China, ungefähr fünfzig Prozent unseres Umsatzes erwirtschaften wir mit China. Wir haben nur die Wahl, weiterhin dorthin zu liefern oder die Produktion nach Asien zu verlagern. Um mit lokalen Herstellern konkurrieren zu können, müssen wir rein in diesen Markt.

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