Insolvenzstatistik Mit einem Zinsanstieg drohen mehr Firmenpleiten

Flugzeuge der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin Quelle: dpa

Trotz großer Pleiten wie Air Berlin, SolarWorld oder Alno gab es so wenig Firmeninsolvenzen wie schon lang nicht mehr. Grund dafür sind die gute Konjunktur und niedrige Zinsen. Was passiert, wenn die Zinswende kommt?

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Man könnte fast den Eindruck bekommen, 2017 sei ein Jahr der Insolvenzen gewesen. Mit der Pleite der Fluggesellschaft Air Berlin und dem Prozess gegen den ehemaligen Drogerieunternehmer Anton Schlecker nebst Familie war das Thema vom Untergang überschuldeter oder zahlungsunfähiger Unternehmen und Unternehmer so oft in den Schlagzeilen wie selten – auch wenn die Schlecker-Pleite statistisch nicht in dieses Jahr fällt. Mit dem Küchenhersteller Alno, dem Energieunternehmen SolarWord oder der Handelskette Butlers erwischte es 2017 weitere bei Verbrauchern und Privatanlegern recht populäre Adressen.

Diese öffentlichkeitswirksamen Großpleiten täuschen darüber hinweg, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen insgesamt in diesem Jahr laut aktueller Daten des privatwirtschaftlichen Bonitätswächters Creditreform mit 20.200 Firmenpleiten so niedrig war wie seit 23 Jahren nicht mehr. Das sind 6,3 Prozent weniger als im Vorjahr und nur halb so viele Ausfälle wie im Rekordinsolvenzjahr 2003.

Als Hauptgrund nennt Creditreform die starke Nachfrage nach Produkten deutscher Unternehmen sowie die geringe Belastung von Kreditnehmern dank niedriger Zinsen.

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Es gibt noch einen weiteren Grund für die gute Insolvenzstatistik. Da in den vergangenen Jahren immer weniger neue Unternehmen gegründet wurden, stieg der Anteil alter Unternehmen. Statistisch gesehen ist das Pleiterisiko bei jungen Unternehmen deutlich höher – obwohl sich darunter auch einige erfolgreiche Start-ups befinden, die sich in der Zukunft zu sehr erfolgreichen Anbietern entwickeln können.

Zum einen ist es beruhigend, dass wegen der guten Konjunktur und dem stabilen Arbeitsmarkt immer weniger Notgründungen erfolgen, bei denen oft schlecht finanzierte und schlecht vorbereitete Gründer aufgrund eines Arbeitsplatzverlustes in die Selbständigkeit gezwungen werden. Dank dieser Entwicklung sank der Anteil junger Unternehmen an den Firmenpleiten. Eine zukunftsfähige Wirtschaft braucht Unternehmer, die neue Geschäftsmodelle ausprobieren, auch wenn damit das Risiko des Scheiterns verbunden ist. Umso wichtiger ist es, dass es sich bei den Pionieren um geeignete Kandidaten handelt.


Da das niedrige Zinsniveau viele Unternehmen derzeit stabil aussehen lässt, haben die Bonitätswächter von Creditreform untersucht, wie sich eine geldpolitische Zinswende mit höheren Leitzinsen der Zentralbank auf die Wirtschaft auswirken würde. Grundlage bildeten die Bilanzen von 7400 Unternehmen aller Größenklassen mit ausstehenden Krediten. Deutsche Unternehmen finanzieren sich seltener über Aktien und Anleihen und häufiger über Bankkredite. Entsprechend hoch sind die Verschuldung und das Risiko bei Zinsänderungen.


Für einen Gläubiger ist entscheidend, dass das bei ihm in der Kreide stehende Unternehmen genug laufende Erträge erwirtschaftet, um regelmäßig Zinsen zahlen zu können. Die Schuldentragfähigkeit lässt sich durch einen Vergleich des operativen Gewinns mit dem Zinsergebnis abbilden. Diese wichtige Kennzahl würde sich laut Creditreform bei einem Zinsanstieg deutlich verschlechtern. Bei einer Verdopplung des Zinsniveaus von derzeit durchschnittlich drei Prozent für langfristige Kredite auf sechs Prozent wären gut 19 Prozent der Unternehmen nicht mehr in der Lage, ihre Zinsen aus laufenden Einnahmen zu bezahlen. Ein Zinsanstieg wäre für viele Firmen also Gift.

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