
Synergien im Umfang von jährlich gut einer Milliarde Euro bringe der Merger, haben die Strategen bei Linde und Praxair ausgerechnet. Und in der Tat: Auf den ersten Blick ergänzen sich Linde und Praxair perfekt. Die Münchner sind stark in Europa und Fernost, Praxair dominiert auf den amerikanischen Märkten. Der fusionierte Konzern, die neue Nummer Eins unter den Herstellern von Industriegasen, dürfte eine enorme Marktmacht entfalten – mit der Gefahr großer Abhängigkeit der Kunden von dem neuen Giganten.
Darum werden sich die Kartellbehörden den Deal nun genau ansehen. Da steht jetzt viel Kleinarbeit auf dem Programm. Als sicher gilt, dass Linde beträchtliche Teile seiner US-Aktivitäten wird verkaufen müssen. Die Rede ist von Umsatzanteilen in Milliardenhöhe. Die Münchner haben in den vergangenen Jahren ihr Engagement vor allem am Golf von Mexiko kräftig ausgebaut, haben Luftzerlegungsanlagen gebaut und den Vertrieb erweitert. Der französische Rivale Air Liquide dürfte an der einen oder anderen Stelle beherzt zugreifen.
Die Historie der Linde Group
Der Münchner Maschinenbau-Professor Carl Linde gründet in Wiesbaden die „Gesellschaft für Linde's Eismaschinen Aktiengesellschaft“. Brauereien, Schlachthöfe und Eisfabriken kaufen die ersten Kältemaschinen.
Linde gelingt es, Luft zu verflüssigen und zur Herstellung von Sauerstoff zu zerlegen.
Carl von Linde stirbt im Alter von 92 Jahren.
Das Kühlschrankgeschäft wird an AEG verkauft.
Linde übernimmt mehrere Gabelstapler-Hersteller und wird zum führenden Anbieter in Europa.
Wolfgang Reitzle, früherer BMW-Vorstand, wird Vorstandschef.
Linde verkauft die Gabelstaplersparte, übernimmt den britischen Konkurrenten BOC und wird größter Industriegasehersteller der Welt.
Die Zentrale wird von Wiesbaden nach München verlegt.
Wolfgang Büchele löst Reitzle als Vorstandschef ab.
Reitzle wird Aufsichtsratschef. Erste Fusionsverhandlungen mit Praxair scheitern. Aldo Belloni wird Vorstandschef.
Linde-Chef Aldo Belloni, im Dezember überstürzt von Chefkontrolleur Reitzle aus dem Ruhestand geholt, nachdem Vorstandschef Wolfgang Büchele seinen Hut genommen hatte, begründete die angestrebte Fusion stets mit der betriebswirtschaftlichen Sinnhaftigkeit. Reitzle, der eigentliche Treiber hinter dem amerikanisch-deutschen Merger, argumentiert ähnlich.
In Wahrheit spielte eine mindestens ebenso wichtige Rolle bei der Megafusion das Ego des 68-jährigen Chefkontrolleurs. Nach den Turbulenzen bei Linde um Gewinnwarnungen, Machtkämpfe, dem gescheiterten ersten Anlauf für die Fusion im vergangenen Jahr und dem unglücklichen Büchele-Abgang, wollte das selbstverliebte Alphatier Reitzle es noch mal allen zeigen.
Der Mann, der als Wunderkind der deutschen Wirtschaft galt, der sich durch seine Erfolge bei BMW und Ford den Ruf als „Car Guy“ erworben hatte, wollte zeigen, dass er als Aufsichtsratschef bei Linde nicht nur für Ruhe sorgen kann, sondern aus dem Münchner Traditionskonzern auch noch fix den mit Abstand weltgrößten Industriegasekonzern formen kann.