Marken und der Terror Unverschuldet im Rampenlicht

Ein Lkw als Waffe eingesetzt: Der Hersteller Scania findet sich unvermittelt im Zentrum des Schreckens wieder. Das Unternehmen teilt jetzt ein Schicksal mit anderen vom Terror missbrauchten Marken.

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Der Lkw von Scania, der für das Attentat von Berlin missbraucht wurde, gehört einer polnischen Spedition. Quelle: dpa

Düsseldorf Es dauert nur wenige Sekunden, bis der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Trümmern liegt – und sich ein ganzes Land im Schockzustand befindet. Nach dem Anschlag von Berlin gehen die Bilder von den zerstörten Buden um die Welt. Mittendrin ein Lkw, an dessen Front unter dessen gesplitterter Windschutzscheibe – unversehrt als wäre nichts geschehen – das Logo der schwedischen VW-Tochter Scania prangt.

Auch zwei Tage nach dem Anschlag sind viele Umstände und Motive der Tat noch unklar. Doch die Tatwaffe ist es nicht. Sie ist sichtbar und rückt einen Hersteller ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit, der dort am liebsten gar nicht stehen würde. Es ist nicht das erste Mal, dass Terroristen einen Truck als Waffe missbrauchen. Schon beim Attentat in Nizza war ein Islamist mit einem Lkw in die feiernde Menge zum französischen Nationalfeiertag gerast.

In Berlin ist es ein Lkw der Scania R-Serie, in dessen Führerhaus der Attentäter sein Verbrechen beging. Die Scania-Lkw gelten in der Branche als verlässliche Schwergewichte. Beim Berliner Attentat hatte der Hänger Stahlträger geladen, wog 32 Tonnen. Auch deswegen war der angerichtete Schaden am Ende so groß.

Tragen Marken durch diese unfreiwillige Aufmerksamkeit ebenfalls einen Schaden davon? Nein, meint Frank Roselieb, geschäftsführender Direktor des Instituts für Krisenforschung in Kiel. „Die Auswirkungen auf die Marke sind gering bis nicht vorhanden“, meint der Experte. Denn auch die Unternehmen seien bei einem Anschlag eher Opfer als Täter. Ein Beispiel: Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA hatten die Aktien der beteiligten Fluggesellschaften zwar rapide an Wert verloren. Doch einen nachhaltigen Imageschaden trugen sie nicht davon.

Auch die Produkte selbst geraten durch einen Anschlag nicht in Verruf. Kommt es zu Anschlägen mit Schusswaffen, wird immer wieder über ein Waffenverbot diskutiert. Doch wenn alltägliche Transportmittel wie Lkw oder Flugzeuge für den Terror missbraucht werden, ist die Sache komplizierter.

Für die betroffenen Firmen sieht Roselieb daher keinen großen Handlungsbedarf. „Es ist empfehlenswert, das Thema bewusst kleinzuhalten. Die meisten Nutzer sehen gar nicht, welche Marke betroffen ist“, ist seine Beobachtung.


„Es ist viel zu viel Polizei abgebaut worden“

Dass der Anschlag in den Kommunikationsabteilungen aber sensibel behandelt wird, beweist Scania gleich am Dienstagmorgen. Anders als die Konzernschwester MAN nach dem Nizza-Attentat verkündet die schwedische VW-Tochter auf Twitter: „Wir sind geschockt vom Angriff in Berlin in der vergangenen Nacht. Unsere Gedanken sind bei den Opfern, ihren Familien und Freunden.“

Die Lkw-Branche ist verunsichert. Die Sicherheitsbedenken sind beim Bundesverband Güterkraftverkehr und Logistik (BGL) zuletzt ohnehin gewachsen. Die Lkw-Branche werde dagegen selbst zunehmend Opfer der fehlenden Sicherheit. Überfälle auf Fahrer seien inzwischen an der Tagesordnung, Fahrzeugplanen würden während der Ruhepausen von Dieben aufgeschlitzt, ganze Kraftwagengespanne gestohlen. „Es ist viel zu viel Polizei abgebaut worden“, kritisiert Karlheinz Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). 

Doch die medial verbreitete Darstellung, dass Lkw vermehrt zum Mordwerkzeug von Terroristen werden, will der Verband nicht teilen. „Wir ziehen uns diesen Schuh nicht an“, sagt Schmidt dem Handelsblatt. „Man kann keinen Forstbesitzer beschuldigen“, kontert er, „wenn jemand mit dem Knüppel erschlagen wird.“

Der Vorwurf der Mitverantwortlichkeit wird auch von niemandem erhoben. Dennoch ist die unfreiwillige Aufmerksamkeit für die Hersteller alles andere als positiv. Vor wenigen Monaten war es die Schwestermarke MAN, die sich im Zentrum des Terrors wiederfand. Zum französischen Nationalfeiertag war ein Terrorist mit einem Lkw der Marke in eine Menschenmenge gefahren und hatte 84 Menschen getötet. MAN sprach den Opfern umgehend Beileid aus – und wurde dann Opfer eines makabren Scherzes.

Die Satirezeitschrift Titanic griff ein Foto des Anschlag-Lkws in Nizza auf und machte daraus eine gefälschte Anzeige. Slogan: „Menschen bewegen – MAN kann“. Um Schaden von der Marke abzuwenden, gingen die Münchener gerichtlich gegen die Satire vor. Mit Erfolg: Mittlerweile darf die falsche Anzeige nicht mehr verbreitet werden.

Doch nicht nur die Lkw-Hersteller müssen immer wieder feststellen, dass ihre Produkte für den Terror missbraucht werden. Beim Überfall auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo flüchteten die Täter in einem Citroën C3, der nicht nur auf den Fahndungsaufrufen gezeigt wurde.


Glaubwürdigkeit schützt vor Schaden

Unrühmliche Aufmerksamkeit bekamen auch die Pickup-Trucks von Toyota, die von den Terroristen des IS immer wieder als Kampffahrzeuge eingesetzt werden. Der Hilux, wie das Modell der Japaner genannt wird, gilt als robust und wendig, er ist damit für den Kampf der Islamisten besonders geeignet. Der Hersteller distanzierte sich mehrfach öffentlich – und stellte intern Nachforschungen an, wie die Fahrzeuge aus ihrer Herstellung in die Hände der Terroristen gelangen konnten.

Gerade die Glaubwürdigkeit der Marken schützt sie vor Schaden, meint Experte Roselieb. „Toyota stellt dem IS natürlich nicht freiwillig die Trucks zur Verfügung, ebenso wenig Scania den Tätern von Berlin einen Lkw.“ Dass Produkte für unlautere Zwecke missbraucht werden könnten, sei ein „normales Geschäftsrisiko“. Für problematisch hält der Krisenforscher höchstens einen fahrlässigen Umgang, beispielsweise beim Verkauf an dubiose Gruppen.

Autohersteller haben jedoch praktisch keinen Einfluss, wer mit ihren Fahrzeugen unterwegs ist. Zumindest wenn sie nicht ganze Regionen vom Vertrieb ausschließen wollen. Zumal solch ein drastischer Schritt die Marke womöglich sogar mehr belasten würde, wie Roselieb überzeugt ist – wegen Diskriminierung.

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