Neues Wettbewerbskonzept Siemens-Chef Kaeser bleibt Antworten schuldig

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Siemens-Chef Joe Kaeser will den Konzern auf mehr Wettbewerb trimmen. Doch er bleibt Antworten schuldig. Wohl auch den Investoren am Mittwoch - allen Spekulationen um die Kraftwerkssparte zum Trotz.

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Die Woche, in der Siemens-Chef Joe Kaeser Investoren den Weg weisen will, begann mau. Zum Handelsstart an der Börse verlor die Konzern-Aktie am Montag etwas mehr als zwei Prozent und fand sich wie so häufig im Mittelfeld wieder - sowohl im Dax als auch im Vergleich zu Branchen-Pendants. Wer Kaeser kennt, weiß, dass er Mittelmäßigkeit schwer ertragen kann. „Konglomerate alten Zuschnitts haben keine Zukunft mehr. Denn die Mittelmäßigkeit ist die Zielscheibe des industriellen Internets“, betonte er bereits voriges Jahr bei der Hauptversammlung. Die Unternehmen müssten hart an ihrer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten, um nicht zu den Verlierern zu gehören.

Deshalb wird es beim so genannten Kapitalmarkttag an diesem Mittwoch in der Münchner Konzernzentrale darum gehen, eine Strategie für diese Wettbewerbsfähigkeit aufzuzeigen. Den Investoren, für die die Siemens-Aktie zwar eine solide Anlage, aber längst keine Champions-Aktie ist, ebenso wie den weltweit fast 400.000 Mitarbeitern, von denen viele den Wandel scheuen. Die Selbstzufriedenheit des „Läuft doch“ ist eine Grundproblematik, die der 61-jährige Kaeser erkannt hat. Die seit 1. April in Kraft gesetzte Vision 2020+ soll deshalb den Unternehmenssparten mehr Eigenständigkeit und Bewegungsfreiheit erlauben.

Manche Beobachter wollen darin vor allem eine Zukunftsentscheidung für das kriselnde Kraftwerksgeschäft erkennen. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet unter Berufung auf Insider, Siemens erwäge die Ausgliederung seiner neu gebildeten Sparte „Gas & Power“, um sie damit auf einen Börsengang vorzubereiten. Aber auch eine Fusion mit einem Konkurrenten würde durch so ein „Carve-out“ der gesamten Sparte oder zumindest von Teilen einfacher.

Wer Kaeser kennt, weiß, dass er Mittelmäßigkeit schwer ertragen kann. Quelle: imago images

Fakt ist, dass der Gewinn der Kraftwerkssparte zuletzt mit 377 Millionen Euro nur noch ein Viertel so hoch war wie im Jahr zuvor. Das Schicksal des amerikanischen Konkurrenten GE hat in München durchaus Eindruck hinterlassen. Auch jüngste Milliardenaufträge aus Brasilien oder dem Irak für die Münchner können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Weltmarkt für konventionelle Kraftwerke insgesamt schrumpft, und auch das einstige Vorzeigegeschäft von Siemens wohl nie mehr zu alter Stärke zurückfinden wird. Weltweit will Siemens deshalb 6000 Stellen abbauen. Gleichzeitig steht seit Monaten ein mögliches Bündnis mit einem japanischen oder auch chinesischen Partner zur Diskussion.

Dass Kaeser bereits an diesem Dienstag vom Aufsichtsrat eine Richtungsentscheidung erhält, die er dann am Mittwoch an Investoren und Analysten weitergeben kann, ist dennoch ungewiss. Vermutlich muss er seine Zuhörer erneut vertrösten – was diese kaum goutieren werden.

Auch jüngste Milliardenaufträge für die Münchner aus Brasilien oder dem Irak können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Weltmarkt für konventionelle Kraftwerke insgesamt schrumpft, und auch das einzige Vorzeigegeschäft von Siemens wohl nie mehr zu alter Stärke zurückfinden wird. Quelle: dpa

Ähnlich steht es um die Sparte Mobility. Seit der geplatzten Fusion der Siemens-Bahntechnik mit dem französischen Zughersteller Alstom wollen die Investoren wissen, wohin die Reise gehen wird. Über einen Börsengang nach dem Vorbild der Gesundheitssparte Healthineers wird wild spekuliert. Nach allem, was dazu aus dem Konzern selbst verlautet, ist er aber nur eine von mehreren Möglichkeiten und die Entscheidungsfindung noch längst nicht abgeschlossen. Die Zeit drängt hier nicht ganz so wie bei der Kraftwerkssparte. Unbegrenzt ist sie aber auch nicht, das wissen sie in München. Noch sind die Auftragsbücher voll. Doch der chinesische Konkurrent CRRC, vor dem sich Siemens mit dem Zusammenschluss schützen wollte, drängt auf angestammte Märkte. In den USA hat CRRC mehrere Metro-Projekte gewonnen, in Europa bereits mehrmals mitgeboten.

Auch mit Rücksicht auf die Arbeitnehmer und den Betriebsfrieden wird Kaeser am Mittwoch manch erhoffte klare Aussage zurückhalten müssen. „Weniger Steuerung durch die Zentrale und mehr Freiheit für die Geschäfte machen uns stärker und flexibler,“ warb der Chef bei der Vorstellung der Strategie 2020+ im vergangenen Sommer. Bei Siemens aber galt lange die Devise, dass eine starke Sparte die Schwächen einer anderen auffängt. Eine Holding-Struktur, wie sie die Strategie 2020+ vermuten lässt, bringt nicht nur Flexibilität, sondern auch Unruhe. Weil jeder seine Stärke unter Beweis stellen muss.

Nunmehr umfasst Siemens drei operative Unternehmen sowie drei Firmen, an denen das Unternehmen eine strategische Beteiligung hält. Zu den operativen Bereichen zählen „Gas & Power“ mit der Kraftwerkssparte, Systemen für die Übertragung und Verteilung von Strom sowie Lösungen für Upstream-, Midstream- und Downstream-Aktivitäten. „Smart Infrastructure“ umfasst die einstige Gebäudetechnik, und „Digital Industries“ fokussiert sich auf das Internet der Dinge und soll Industriekunden helfen, Daten aus den eigenen Fabriken schneller auszuwerten und die Digitalisierung der Produktion zu optimieren. Bei Siemens Gamesa sind erneuerbare Energien rund um Windkraftanlagen gebündelt. Siemens Healthineers zählt zu den weltweit größten Medizintechnikunternehmen, und Siemens Mobility repräsentiert die Zugsparte.

Unter einem Namen werden sie nach wie vor agieren. Aber: Einer für alle, alle für einen: Das Solidaritätsprinzip der drei Musketiere wird bei Siemens nur noch eingeschränkt gelten. 

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