Siemens soll 50 Prozent an dem neuen Unternehmen halten. „Dieser deutsch-französische Zusammenschluss unter Gleichen sendet in vielerlei Hinsicht ein starkes Signal“, sagte Siemens-Chef Joe Kaeser. Man setze „die europäische Idee in die Tat um“ und schaffe einen neuen europäischen Champion.
Die beiden Unternehmen bestätigten die Details. Der neue, doppelt so große Alstom-Konzern (künftig: Siemens Alstom) mit den Zugaktivitäten beider Unternehmen soll seinen Sitz weiter in Paris haben und dort auch börsennotiert sein. Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge führt das neue Unternehmen und ist damit künftig auch für den deutschen Hochgeschwindigkeitszug ICE verantwortlich.
Die wichtigsten Antworten zur möglichen Zug-Fusion
Nach Problemen in den vergangenen Jahren, etwa durch die verspätete Auslieferung von ICE-Zügen an die Deutsche Bahn, ist das Zuggeschäft von Siemens inzwischen wieder in der Spur. Heute kommt die Sparte mit Standorten unter anderem in Krefeld, Erlangen, Berlin, München und Wien auf einen Jahresumsatz von fast acht Milliarden Euro und eine Rendite von knapp 9 Prozent.
Die Bahnsparte des kanadischen Anbieters, der auch Flugzeuge baut, ist zwar ähnlich groß. Aber der Konzern steckt in den roten Zahlen und hatte im Bahngeschäft den Abbau von weltweit rund 5000 Jobs angekündigt. Unklar ist, wie stark dies die deutschen Standorte mit 8500 Beschäftigten treffen wird, darunter Hennigsdorf, Görlitz, Bautzen, Kassel, Mannheim, Braunschweig und Siegen. Das Management will seine Pläne im Juli vorstellen. Bombardier hatte erst vergangenes Jahr 1430 Arbeitsplätze in Deutschland gestrichen, um die Standorte profitabel zu machen.
Angeblich soll ein Gemeinschaftsunternehmen im Gespräch sein, das den Bau von Zügen und die Signaltechnik umfassen würde. Analysten sehen größere Synergie- und Einsparpotenziale etwa durch gemeinsame Forschung und Entwicklung sowie Lieferketten und die Zusammenführung der Produkte. Schon jetzt arbeiten die Zughersteller bei verschiedenen Projekten zusammen, so beim ICE 4, der neuesten Generation des Hochgeschwindigkeitszuges.
Ja. Schon beim Übernahmepoker um Alstom hatte Siemens versucht, seine Zugsparte mit der des französischen Konkurrenten zusammenzubringen. Und Mitte 2015 wurde auch schon einmal über eine Fusion der Zugsparten von Siemens und Bombardier spekuliert, doch die Kanadier hatten damals Verhandlungen dementiert.
Die europäischen Hersteller zittern vor allem vor der Konkurrenz aus China. Dort haben sich die beiden größten Zughersteller zum neuen Giganten CRRC zusammengetan, der alleine größer ist als die Sparten von Siemens, Bombardier und Alstom zusammen. Das sieht auch die Deutsche Bahn mit Interesse, die vor etwa eineinhalb Jahren demonstrativ ein Einkaufsbüro in China eröffnete, darüber Produkte der Bahntechnikhersteller aus der Volksrepublik sondiert und so den Druck auf die europäischen Hersteller erhöhte. „Wir suchen weltweit nach Lieferanten mit innovativen und qualitativ hochwertigen Produkten“, ließ Bahn-Chef-Einkäufer Uwe Günther damals wissen.
Vor allem das Kartellrecht gilt als Hindernis für eine Zug-Allianz in Europa. Denn mit Siemens, Bombardier und Alstom beherrschen nur drei Anbieter den Markt. Schlössen sich zwei von ihnen zusammen, könnte das gravierende Folgen für Kunden wie die Deutsche Bahn haben, sodass hohe Auflagen zu erwarten wären. Siemens macht keinen Hehl daraus, dass man diese Spielregeln für nicht mehr zeitgemäß hält. „Eine weitere Konsolidierung des Marktes wird seit langem erwartet und sollte auch kartellrechtlich mit einer globalen Sicht auf die Veränderungen betrachtet werden“, sagte Siemens-Finanzchef Ralf Thomas.
Bei Arbeitnehmervertretern in Deutschland dürfte eine Allianz wohl nur auf Zustimmung stoßen, wenn Siemens die Oberhand im zusammengeschlossenen Unternehmen behielte. Wie sich eine Fusion auf die Jobs auswirken würde, bliebe abzuwarten. Von offenem Widerstand der Arbeitnehmervertreter jedenfalls war in den vergangenen Wochen nichts zu spüren - was auch daran liegen dürfte, dass ein weiteres Erstarken der Chinesen deutlich schlimmere Folgen für die Belegschaft haben könnte als eine mögliche Allianz von Siemens und Bombardier.
Poupart-Lafarge sprach von einem „Schlüsselmoment“ für sein Unternehmen. Das neue Unternehmen werde „Wertschöpfung für Kunden, Mitarbeiter und Aktionäre schaffen“. Und weiter: „Ich bin besonders stolz darauf, die Schaffung eines solchen Konzerns zu leiten, der zweifellos die Zukunft der Mobilität prägen wird.“
Die beiden Konzerne wollen jährliche Synergien von 470 Millionen Euro spätestens im vierten Jahr nach Vollzug der Fusion bergen. Berlin soll Sitz der Sparte Mobilitätslösungen sein.
Die Entscheidung in den Aufsichtsräten fiel einstimmig. Damit aber ist die Fusion noch lange nicht durch. Da sind vor allem die Kartellprobleme. Zwar ist auch Bombardier in Europa stark, doch wollen sich zwei zentrale Spieler zusammenschließen. „Gerade im Bereich der Hochgeschwindigkeitszüge können die Beteiligten auf Probleme treffen, wenn die Kartellbehörden eine räumlich enge Marktdefinition wählen“, sagte Kartell-Experte Martin Gramsch von der Kanzlei Simmons&Simmons dem Handelsblatt.
Im Umfeld von Siemens und Alstom wird darauf verwiesen, dass der Zugmarkt heutzutage ein globaler sei. Daher könne man nicht allein den europäischen Markt zum Maßstab nehmen, wenn gleichzeitig der neue chinesische Branchenriese CRRC auf die Märkte dränge.
Auch für die EU-Komission sei die Marktdefinition nicht auf Europa beschränkt, betonte Kartellexperte Gramsch. Entscheidend sei die Sicht der Kunden - und die könnten Produkte auch von anderswo beziehen. „Insofern könnte der Bewertung auch ein weltweiter Markt zugrunde gelegt werden.“
„Adäquate Antwort auf die Herausforderungen“
Branchenkenner gehen aber davon aus, dass das Projekt, womöglich mit Auflagen, realisierbar ist. „Die europäische Fusion ist eine adäquate Antwort auf die Herausforderungen“, sagte ein Brancheninsider. Da sei zum einen der neuen chinesische Weltmarktführer, alles in allem doppelt so groß wie Alstom und die Siemens-Mobility-Sparte zusammen. Zudem habe die ganze Branche ein „Kosten- und Kapazitätsproblem“.
Im Umkehrschluss heißt dies aber auch: Bei allen Zusagen, die es an die Arbeitnehmervertreter geben wird, könnte es am Ende im neuen Konzern an der einen oder anderen Stelle auch Stellenabbau geben. So gibt es viele Doppelfunktionen und freie Kapazitätskapazitäten. Zudem wird es auf Dauer wohl nicht sinnvoll sein, zum Beispiel mit dem TGV und dem ICE zwei verschiedene Hochgeschwindigkeitszüge weiterzuentwickeln.
Die Zugfusion ist der nächste große Schritt beim Umbau des Konzerns durch Siemens-Chef Joe Kaeser. Nach seinem Amtsantritt hatte er vor allem Siemens als integrierten Technologiekonzern herausgestellt. Er wollte mit der Nutzung von Synergien zwischen den Geschäften zeigen, dass das Konglomerat seinen Sinn ergibt.
Kaeser hat allerdings einen Strategieschwenk vollzogen: Siemens bekommt stärker den Charakter einer Holding. Das Windgeschäft wurde mit dem Konkurrenten Gamesa zusammengelegt und firmiert nun als Siemens Gamesa mit Sitz in Spanien an der Börse. Auch die Medizintechnik soll als Healthineers im kommenden Jahr an die Börse. Die Motoren für Elektro-Autos brachte Siemens in ein 50:50-Gemeinschaftsunternehmen mit Valeo ein. Nach Informationen des Handelsblatts wurde eine Option vereinbart, dass die Franzosen in ein paar Jahren die Führung übernehmen und Siemens herauskaufen können.
Es gab schon mehrere Anläufe für eine europäische Zugallianz. So bot Siemens-Chef Joe Kaeser im Poker um die Energiesparte von Alstom die eigenen Zugaktivitäten zum Tausch an. Am Ende setzte sich aber General Electric durch und übernahm große Teile von Alstom. Die IG Metall drängte damals darauf, dass Siemens bei einer Zugfusion die Kontrolle - also die Mehrheit - behalten müsse.