Nach der Sondersitzung des Aufsichtsrats der Thyssenkrupp AG am Freitag in Essen haben die IG-Metall-Vertreter in dem Gremium scharfe Kritik am Vorstand und dessen Strategie geübt. „Das Konzept der Group of Companies ist für uns gescheitert“, heißt es in einem Schreiben, das Betriebsbetreuer und Betriebsräte über „unsere Position als Arbeitnehmervertreter“ informieren soll. Das Schreiben liegt der WirtschaftsWoche vor.
In allen Bereichen des Konzerns gebe es „Ideen und Konzepte“, das Geschäft „nach vorne zu stärken“, steht in dem Papier. Aber „der Konzern“ sei nicht in der Lage, die Zukunftsperspektiven für alle Geschäfte zu verwirklichen. „Es fehlt seit Monaten ein Gesamtkonzept des Vorstands.“ Das Schreiben ist nicht namentlich gezeichnet. Zu den IG-Metall-Vertretern im Aufsichtsrat gehören etwa IG-Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner, Daniela Jansen, die Konzernbeauftragte der Gewerkschaft, und Tekin Nasikkol, der Betriebsratschef von Thyssenkrupp Steel Europe.
„Keine konkreten Planungen“ für den Stahl
Dennoch unterstützten die Arbeitnehmervertreter einen Aufsichtsratsbeschluss zur Verselbstständigung der Schiffbausparte Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) „mit dem Ziel, alle notwendigen, auch finanziellen Voraussetzungen zu schaffen, um den Verselbstständigungsprozess erfolgreich umzusetzen“. Man nehme wahr, dass die „Bundesregierung die Bildung eines starken nationalen Schiffbauunternehmens“ unterstütze.
Sie seien, schreiben die Arbeitnehmervertreter, „immer noch bereit“, auch eine mögliche Verselbstständigung der Stahlsparte Thyssenkrupp Steel Europe (TSKE) zu prüfen, erwarteten jedoch eine „ausreichende finanzielle Ausstattung“. Es gebe aber „keine konkreten Planungen, die uns bekannt sind oder die mit uns besprochen werden“.
Das Schreiben ist ein weiterer Schritt in der Auseinandersetzung über die Strategie des Mischkonzerns Thyssenkrupp, über die mangelnde Umsetzung dieser Strategie durch die Vorstandsvorsitzende Martina Merz – und vor allem über die Zukunft der Stahlsparte. Merz verfolgt das Ziel, aus Thyssenkrupp eine „Group of Companies“ zu formen, eine Art Holding mit Kernsparten, die innerhalb des Konzerns verbleiben, und einer Reihe von Verselbstständigungen und Börsengängen.
Vor allem die Stahlsparte soll selbstständig werden, aber bisher gibt es keine Aussicht auf Interessenten, die belastbar bereit wären, das Geschäft zu übernehmen. Zuletzt war der Private-Equity-Investor CVC gehandelt worden, der aber nach Informationen der WirtschaftsWoche nur bereit wäre, Thyssenkrupp Steel Europe zu einem „massiv negativen Kaufpreis“ zu übernehmen.
Gemessen an den Aussagen der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat ist es Martina Merz am Freitag nicht gelungen, „konkrete Planungen“ für ein weiteres Vorgehen vorzulegen. Die Arbeitnehmer gelten als Befürworter eines Verbleibs der Sparte im Konzern, wogegen Anteilseigner wie die Krupp-Stiftung, mit rund 21 Prozent größte Einzelaktionärin, auf eine Verselbstständigung dringen. Deshalb bezeichnen sie die Strategie der „Group of Companies“ schon länger als gescheitert.
Nur der Schiffbau könnte zur Erfolgsstory werden
Mit der erneuten Kritik nach der Aufsichtsratssitzung erhöhen die Gewerkschafter auch den Druck auf Merz, beim Stahl ein Konzept vorzulegen – oder die Strategie zu ändern. Für Mai ist die nächste – dann reguläre Sitzung – des Aufsichtsrats angesetzt.
Bemerkenswert ist, dass es bei der Verselbstständigung der Schiffbausparte offenbar konkrete Fortschritte gibt. Chef der Sparte ist Oliver Burkhard, ein ehemaliger IG-Metall-Bezirksleiter, der in der Thyssenkrupp AG gleichzeitig Personalvorstand ist. Gelingt es Burkhard, die Schiffbausparte auszugliedern, möglicherweise, wie von der Bundesregierung offenbar favorisiert, in einem nationalen Zusammenschluss, würde das Burkhard erheblich stärken. Er gilt als interner Konkurrent von Martina Merz und auch als möglicher Nachfolger, sollte Merz, die einen Vertrag bis 2028 hat, vorzeitig abtreten. Allerdings gilt es als unwahrscheinlich, dass die Anteilseigner Burkhard als Chef akzeptieren.
Auch für die Zukunft des Joint Ventures HKM fehlten immer noch „Zukunftskonzepte“, heißt es in dem Schreiben. An dem Unternehmen halten Thyssenkrupp 50, Salzgitter 30 Prozent und der französische Konzern Vallourec 20 Prozent, die Franzosen wollen verkaufen. Allerdings gebe es „konstruktive Gespräche“ der Eigentümer Thyssenkrupp und Salzgitter.
Mehr zum Thema: Lesen Sie hier, was für Erwartungen an die Sondersitzung des Aufsichtsrats von Thyssenkrupp geknüpft waren – und warum Martina Merz in dieser und in der nächsten Sitzung des Gremiums um ihren Job kämpfen muss.