US-Mischkonzern 3M Die Innovationsmaschine

Nicht nur die selbstklebenden Post-it-Zettel stammen von 3M. Der Erfindergeist des Konzerns ist legendär, in seinen Ideenschmieden herrscht Start-up-Atmosphäre. Jetzt definiert das Unternehmen seine Erfolgsformel neu.

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Die meisten Geschäfte macht der US-Konzern im Gesundheitssektor, im Bereich der Energie- und Elektrotechnik sowie mit Folienanwendungen. Quelle: obs

Neuss Ginge es allein nach der modernen Unternehmensphilosophie, dürfte es so eine Firma schon lange nicht mehr geben. „Konzentration auf das Kerngeschäft“ – das ist die Botschaft, die normalerweise die Fantasie von Börsen und Analysten gleichermaßen entfacht. Mischkonzerne werden dagegen meist mit einem kräftigen Abschlag gestraft. Doch auf was konzentriert sich ein Unternehmen, das mehr als 50.000 Produkte herstellt, die aus 46 unterschiedlichen Technologiebereichern wie flexible Elektronik, Folien, Stromleitungen und Vliesstoffen kommen?

Aber genau deshalb lieben Investoren die US-Firma 3M. Seit Jahrzehnten macht der Mischkonzern rund um den Globus profitable Geschäfte. Basis dafür sind die Innovationen, die in stetem Fluss die 3M-Labore verlassen und dem Konzern mit gut 30 Milliarden Dollar Umsatz den Charakter eines dauerhaften Start-ups verleihen.

Die Erfolgsformel? 3M existiert schon seit 1902 und schafft es seitdem, gut ein Drittel seiner Umsätze mit Produkten zu erzielen, die jünger als fünf Jahre sind. Zwar hängt auch ein Technologiekonzern am Tropf der weltweiten Konjunktur: So sank der Umsatz zuletzt leicht, 1.500 der rund 90.000 Mitarbeiter sollen gehen, um Kosten zu sparen. Doch die Profitabilität und vor allem die Innovationskraft blieben davon unberührt: Vor gut einem Jahr erst hat 3M sein hunderttausendstes Patent angemeldet, weitere 3.000 sind in den vergangenen Monaten dazu gekommen.

Wie man das macht? „Sie brauchen dafür vier Voraussetzungen“, sagte Executive Vice President Hak Cheol Shin dem Handelsblatt, „eine entsprechende Firmenkultur, eine funktionierende Technologie-Plattform, die passende Fertigung und eine starke Marke.“ So wird keine Idee eines Mitarbeiters zurückgewiesen, jede darauf geprüft, ob sie sich verwirklichen und verwenden lässt.

Durch dieses Prinzip ist auch das in der breiten Öffentlichkeit bekannteste Produkte des Konzerns entstanden, der selbstklebende Merkzettel (post-it). Ursprünglich war es um einen Super-Kleber gegangen, dem der US-Entwickler Spencer Silver in den 1960er-Jahren auf der Spur war. Als er jedoch entdeckte, dass dieser zwar zwei Flächen gut miteinander verband, sich aber ebenso leicht wieder lösen ließ, verschwand die Idee in der Versenkung. Erst als ein Kollege nach einer Lösung für ein selbstklebendes Lesezeichen suchte, entstand daraus der Post-it-Zettel.

Allerdings erzielt 3M mit rund fünf Prozent nur den geringsten Teil seiner Umsätze mit Endverbrauchern. Die meisten Geschäfte macht der US-Konzern mit der Industrie, dem Gesundheitssektor, der Energie und Elektrotechnik sowie dem weiten Feld der Folienanwendungen. Die finden sich reflektierend auf Straßenschildern, halten – auf Fensterglas gezogen – Sonnenstrahlung und Wärme fern oder verhindern den neugierigen Blick des Sitznachbarn auf das eigene iPad, wenn sich der Bildschirm ab einem Neigungswinkel von fünf Grad dank Folie verdunkelt.


Das Innovationstempo steigt

Doch auch die 3M-Spitze spürt, dass sie das Tempo, mit dem sie neue Produkte auf den Markt bringt, erhöhen muss, will sie den wachsenden Kundenwünschen und kürzeren Innovationszyklen weiter entsprechen. Deshalb hat Firmenchef Inge Thulin vor drei Jahren verkündet, den Forschungsanteil von 5,5 auf rund sechs Prozent des Konzernumsatzes zu steigern. Zwischen 1,8 und zwei Milliarden Dollar pro Jahr will 3M künftig in die Entwicklung neuer Produkte pumpen.

Die Konzentration der 8.300 Forscher und Entwickler im 3M-Dienst gilt ab sofort Megatrends wie dem Leichtbau in der Auto- und Luftfahrtindustrie oder dem Bereich Sicherheit - von der Kontrolle bis zur Identifizierung von Personen. Auch der Umweltschutz mit den Aspekten reine Luft, sauberes Wasser und Lebensmittel definiert das Unternehmen als einen Schwerpunkt . „Wir wollen etwas liefern, was es bislang noch nicht auf dem Markt gibt“, sagt 3M-Vize Shin, der für das weltweite Geschäft außerhalb der USA verantwortlich ist: „Diese Megatrends werden immer wieder neuen Erfordernissen angepasst.“

Auch das Thema Energie gehört dazu: 3M wirbt damit, ein neues Verfahren entwickelt zu haben, das die Speicherfähigkeit von Lithium-Ionen-Batterien für hybrid und elektrisch angetriebene Autos um bis zu 40 Prozent erhöht. Shin kündigte weitere Akquisitionen an, sollte der Konzern ein Technologiefeld mit eigenen Kapazitäten nicht abdecken.

„Die Mehrzahl der neuen Entwicklungen wird zwar aus dem Konzern selbst kommen“, ist er überzeugt. „Aber was wir in Randbereichen nicht abdecken, kaufen wir dazu, um bei der Marktdynamik mitzuhalten.“ So erschloss sich der Konzern mit dem Kauf des Keramikspezialisten Ceredyne vor zwei Jahren eine neue Technologiewelt rund um Leichtbau, Temperaturresistenz und Energieeffizienz, die sich inzwischen in vielen 3M-Produkten wiederfindet.

Mit der stärkeren Konzentration auf Zukunftsfelder will der Konzern in den kommenden Jahren deutlich stärker wachsen als die weltweite Industriekonkurrenz. Profitabler ist der Konzern ohnehin schon: Die Ebit-Marge (Ergebnis vor Zinsen und Steuern) liegt mit rund 23 Prozent auch in konjunkturell schwierigen Zeiten deutlich über der von Wettbewerbern wie dem Düsseldorfer Henkel-Konzern. Kein Wunder, dass Analysten wie die von UBS die Aktie zum Kauf empfehlen. Auch Investoren honorieren die gute Vorstellung des Mischkonzerns: 2015 überstieg der Börsenwert für kurze Zeit erstmals die Schwelle von 100 Milliarden Dollar.

Zwar hat Minnesota Mining und Manufacturing (3M) durch ein Aktien-Rückkaufprogramm kräftig dazu beigetragen. Aber auch so lieben Anleger den Mischkonzern: Schließlich sorgt das bunte Produktportfolio seit 60 Jahren für permanent steigende Dividenden – ununterbrochen. Welches Start-up kann das von sich behaupten?

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