WirtschaftsWoche: Tausende junge Menschen suchen verzweifelt einen Ausbildungsplatz, viele Studenten wissen nach dem Abschluss nicht wohin. Gleichzeitig klagen die Unternehmen über Nachwuchsmangel. Blöde Situation, oder?
Clemens Urbanek: Personalakquise bei kleinen und mittleren Unternehmen ist zu oft noch ein Problem. Die haben meist keine eigene Personalabteilung und sind genug damit beschäftigt, sich um den Firmenalltag zu kümmern. Themen wie Personal und Personalfindung laufen nur nebenbei. Mit schwerwiegenden Folgen. Viele Chefs bekommen gar nicht erst mit, dass die beste Kraft sie nächstes Jahr verlässt und sie keinen Ersatz haben.
Zu den Personen
Clemens Urbanek ist Geschäftführer der IHK Düsseldorf und verantwortlich für den Bereich Berufsausbildung und Prüfungen.
Mechthild F. Teupen ist in Düsseldorf IHK-Geschäftsführerin für die berufliche Weiterbildung.
Die Unternehmen klagen aber vor allem, dass es keine geeigneten Bewerber gibt.
Urbanek: Manche Probleme sind auch hausgemacht. Braucht ein Unternehmer jemanden, der im Lager arbeitet und dort auch etwas leisten könnte, diese Bewerbung aber nicht weiter verfolgt, weil der Bewerber drei Fehler im Anschreiben gemacht hat, ist der Unternehmer selber schuld. Viele Unternehmen haben beispielsweise Schwierigkeiten, auf Jugendliche zuzugehen und sich bekannt zu machen. Wir haben bei der IHK Unternehmen, die Hidden Champions und zum Teil Weltmarktführer sind, bestimmte Sachen sehr gut machen und ihren Auszubildenden die besten Möglichkeiten bieten. Aber sie sind bei den Bewerbern zu wenig bekannt.
Welche Möglichkeiten hat denn ein kleiner Betrieb schon groß?
Urbanek: Unternehmen müssen lernen, sich besser zu verkaufen. Im Internet zum Beispiel. Der Schraubenhersteller darf nicht nur zeigen, warum seine Produkte so toll. Er muss auch beschreiben, warum es toll ist, bei ihm zu sein.
So steht es um die Personalplanung in deutschen Unternehmen
85 Prozent aller Personaler entwickeln die Strategie zur Personalbeschaffung ausschließlich mit der Geschäftsleitung - und fragen bei den Fachbereichen gar nicht erst nach.
Quelle: Studie "Personalbedarfsplanung und -beschaffung in Unternehmen" der Unternehmensberatung Hays.
82 Prozent berücksichtigen keine Freiberufler bei der strategischen Personalplanung.
81 Prozent aller Personalverantwortlicher sind unzufrieden mit der Deckung ihres Personalbedarfs.
72 Prozent der Fachbereiche sehen sich in der Hauptverantwortung bei der Personalbeschaffung.
58 Prozent legen eine Personalstrategie zur Bindung festangestellter Mitarbeiter an.
Eine schöne Homepage wird kaum reichen, junge Leute aus der Stadt aufs Land zu locken.
Urbanek: Es braucht dazu ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Dabei müssen diese nicht teuer sein. Es gibt zum Beispiel ein Unternehmen, das seinen Mitarbeitern eine Jahreskarte fürs Schwimmbad zahlt. Das kostet fast gar nichts hat aber eine enorme Breitenwirkung. Ein Bäcker hat zum Beispiel gesagt, wenn Du bei uns Azubi wirst, bekommst Du ein Handy umsonst. Kurz darauf hatte er drei, vier Bewerbungen.
Wenn dem Unternehmen im nächsten Jahr ein Meister verloren geht, nützt aber ein Azubi ohnehin nichts.
Urbanek: Das ist ein Problem, das die ganze Personalplanung betrifft, von der Einstellung bis zur Weiterbildung. Wer heute Personalplanung nicht vorausschauend plant und strategisch angeht, etwa durch gezielte Fortbildung der eigenen Kräfte, steht vor diesen Schwierigkeiten. Und wer dann nicht pfiffig ist, hat ein richtiges Problem.
Pfiffig?
Urbanek: Ein Beispiel aus Stuttgart. In der Region bekommen Mittelständler keine Ingenieure, weil die Autoindustrie sie alle wegschnappt. Wenn Unternehmer aber sagen, ich gehe in das Segment 50Plus, finden sie Leute, die auf der Straße stehen und die froh sind, wenn sie arbeiten können.
Die Hilflosigkeit der Suchenden
Sind jetzt die Unternehmen allein schuld an der Ausbildungsmisere?
Urbanek: Nein. Natürlich nicht. Viele junge Menschen wissen gar nicht, wohin sie wollen in ihrem Leben. Es gibt ja zum Beispiel nicht umsonst Studienabbrecher-Quoten von 30 bis 40 Prozent.
Warum Menschen eine Weiterbildung machen
Die Industrie- und Handelskammern haben 2014 mehr als 10.000 Teilnehmer der Prüfungsjahrgänge 2008 nach ihren Motiven und Zielen für die Weiterbildung sowie den anschließenden Karriereweg gefragt.
Quelle: IHK: Aufstieg mit Weiterbildung. Umfrage-Ergebnisse 2014
3 Prozent der Teilnehmer nahmen an IHK-Prüfungen teil, weil sie arbeitssuchend waren.
11 Prozent der Teilnehmer wollten in Zukunft beruflich weniger festgelegt sein.
13 Prozent gaben an, sich ständig an neue Entwicklungen und Anforderungen anzupassen.
15 Prozent gaben an, den Arbeitsplatz sichern zu wollen. Die eigene Kenntnisse zu erweitern und zu vertiefen war ebenfalls für 15 Prozent der Teilnehmer ein Weiterbildungsgrund.
24 Prozent der Teilnehmer wollten etwas Neues lernen und den persönlichen Horizont erweitern.
45 Prozent rechneten sich bessere Einkommensmöglichkeiten aus.
63 Prozent der Teilnehmer wollten aufsteigen oder einen größeren Verantwortungsbereich übernehmen.
Liegt das an der Informationsflut, dem Überangebot oder ist die Kompetenz, Relevantes von Irrerelevantem zu unterscheiden, verloren gegangen?
Mechthild Teupen: Sowohl als auch. In der Schule wird nicht ausreichend auf das Berufsleben mit all seinen Facetten vorbereitet, die Eltern können und wollen dieses Defizit nicht ausgleichen und selbst im Freundeskreis wird offenbar auch nicht mehr genügend über das Berufsleben gesprochen. Viele haben nicht mal in einem richtigen Praktikum Erfahrungen sammeln können.
Urbanek: Und das in einer Zeit, in der das Angebot an Möglichkeiten immer noch wächst. Es entstehen fast jeden Tag neue Universitäten und Weiterbildungsangebote. Es geht schon gar nicht mehr darum herauszufinden, ob es eine gute oder eine bessere Alternative ist. Es geht um die Frage, ob die Aus- oder Weiterbildung überhaupt etwas wert ist.
Kurs und Weiterbildungsangebote gibt es tatsächlich zuhauf, auch ziemlich dubiose.
Teupen: Bildung bedeutet heutzutage auch häufig Business. Es gibt mittlerweile unfassbar viele Weiterbildungsangebote. Allein in Düsseldorf sind es über 360 Träger, die die unterschiedlichsten Qualifizierungsangebote vorhalten. Und da sind nicht nur immer gute darunter. Das Bedeutsame dabei ist: Bildung ist keine Ware, die ich bei Nichtgefallen zurückgeben kann.
Urbanek: Darunter gibt es auch windige Abschlüsse, die auf dem Markt gar nichts wert sind. Auch im Umschulungsbereich gibt es schlechte Anbieter, die ein Versprechen, das sie geben, gar nicht halten können.
Sie machen Weiterbildungssuchenden ja Mut.
Teupen: Das richtige Weiterbildungsangebot zu finden bedeutet angesichts der Fülle von Broschüren, Programmheften und so weiter Arbeit. Ferner gibt es diverse Beratungsstellen. Die Stiftung Warentest hat dazu einen aktuellen Katalog zusammengestellt. Es gibt aber kein Patentrezept. Deshalb kann unser Tipp nur lauten: Nutzen Sie die Chance, sich beraten zu lassen. Das bedeutet aber auch: Wenn sich jemand weiterbilden will, sollte er vorher sozusagen Hausaufgaben machen.
Was erfolgreiche Unternehmen für ihre Mitarbeiter tun
Bedürfnisse von Familien.
Befragt wurden 1853 Personalverantwortliche von erfolgreichen (gemessen an Umsatz und Beschäftigungsentwicklung 2007-2012) Unternehmen.
Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln
Ideen von Mitarbeitern.
Arbeitszufriedenheit.
leistungsorientiert.
Mitarbeiter und helfen diesen bei der Weiterentwicklung.
eine hierarchieübergreifende Teilnahme an Vorstandssitzungen.
Mitarbeiterzufriedenheit regelmäßig ab.
innerbetriebliche Arbeitskreise.
ein Qualitätsmanagement.
Mitarbeiterpotenziale.
ihren Mitarbeitern an, ihre Führungskräfte zu analysieren.
Hausaufgaben schon vor Schule?
Teupen: Hausaufgaben im Sinne von sich auf das Beratungsgespräch vorbereiten; sich Gedanken zu machen: Was will ich? Was kann ich? Wie viel Zeit und Geld habe ich? Ebenfalls: Was möchte ich unter keinen Umständen? Wenn jemand so vorbereitet einen Berater aufsucht, ist es auch für diesen einfacher, zu helfen. Das Angebot ist so vielfältig, dass es ganz schwierig ist, überhaupt noch durchzublicken. Der Grad der Hilfs- und Planlosigkeit ist teilweise erschreckend. Und das ist bei denjenigen, die eine Ausbildung machen wollen genauso wie bei denjenigen, die einen Master oder Bachelor machen wollen.
Man sollte sich niemals in eine Ecke drängen oder sich von hohen Preisen und noch höheren Versprechen blenden lassen.
Wir haben aber eben schon geklärt, dass es in vielen Fällen auch für die Unternehmen nicht reicht, nur eine Ausbildung zu machen. Läuft es dann da wenigstens rund oder ist der Deutsche denn ein Weiterbildungsmuffel?
Teupen: Nein, überhaupt nicht. Alle Zahlen sprechen dagegen. Vor allem der Bedarf, Wissen anzupassen, ist enorm. Berufstätige werden immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Das reicht von der Softwareschulung bis zur rechtlichen Änderungen im Arbeitsbereich. Und es gibt natürlich ein Interesse der Firmen, das Wissen ihrer Mitarbeiter aktuell zu halten. Denn das ist auf Sicht ein geldwerter Vorteil.
Firmeninterne Weiterbildung nimmt zu
Nicht jeder Chef tickt so.
Teupen: Natürlich gibt es immer noch diejenigen, die Weiterbildung nur für einen Kostenfaktor halten. Aber das hat sich doch sehr gewandelt. Man schaut sich sehr wohl an, ob der jeweilige Mitarbeiter sein Wissen erweitern will, um neue Aufgaben übernehmen zu können oder gar eine Aufstiegsbildung absolvieren möchte.
Unternehmer wollen nicht, dass ihre Mitarbeiter aufsteigen?
Teupen: Im Gegenteil. Jeder Unternehmer wird seine Mitarbeiter fördern, wenn sie das Potential haben, das liegt schon im Interesse des Unternehmens. Allerdings, wer sich weiterentwickelt, wird vermutlich früher oder spätere eine höhere Position oder mehr Gehalt erwarten. Einen Gehaltssprung macht man in der Regel aber nur, wenn man den Job und auch den Arbeitgeber wechselt. Insofern legen Teilnehmer dann Wert darauf, dass der Arbeitgeber nichts von der Fortbildung weiß.
Diese positiven Auswirkungen hat Weiterbildung auf die Karriere
Die Industrie- und Handelskammern haben 2014 mehr als 10.000 Teilnehmer der Prüfungsjahrgänge 2008 nach ihren Motiven und Zielen für die Weiterbildung sowie den anschließenden Karriereweg gefragt. Demnach gaben 62 Prozent der Befragten an, dass die Weiterbildung eine positive Auswirkung auf ihre Karriere hatte.
Gut 6 Prozent fanden nach der Weiterbildung einen Arbeitsplatz.
14 Prozent bewältigten ihrer Aufgabe besser als vor der Weiterbildung.
21 Prozent erhöhten die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes.
69 Prozent verbesserten sich finanziell.
74 Prozent derjenigen, die nach der Weiterbildung eine positive Auswirkung bemerkten, gaben an, beruflich aufgestiegen zu sein oder einen größeren Verantwortungsbereich erhalten zu haben.
Was bleibt dem Angestellten, wenn er keine Unterstützung vom Chef erhält?
Teupen: Dazu gibt es inzwischen eine Reihe von Förderprogrammen. In NRW sind dies zum Beispiel Bildungsprämie und Bildungsscheck. Diese sind relativ einfach zu handhaben. Meisterbafög kann für die Aufstiegsbildung genutzt werden. Allerdings muss der Lehrgang dann mindestens 400 Unterrichtsstundenumfassen.
Laut Bundesministerium steigt der Weiterbildungsanteil bei Menschen in höheren Positionen und mit höherem Gehalt …
Teupen: … weil da wahrscheinlich die Sensibilisierung eine andere ist.
Aber verpassen dann nicht viele Unternehmen die Chance, auch ihre einfachen Angestellten weiterzubilden?
Teupen: Das machen sie doch. Und was heißt hier einfache Angestellte? Vielleicht gibt es Mitarbeiter, die nicht besonders motiviert sind, sich weiterzubilden. Dann wird man entsprechende Wege suchen, sie doch für eine Weiterbildung zu interessieren. Man kann zum Beispiel die Weiterbildung stückeln, damit die Belastung nicht auf einmal so groß ist.
Welche Art von Kursen wird bevorzugt? Ist E-Learning ein Thema?
Teupen: Wenn die Weiterbildung zum Ziel hat, bestimmte Verhaltensweisen zu erlernen oder zu verändern, wage ich zu behaupten, dass dieses schwerlich online zu machen ist. Wie bringen Sie einer Pflegekraft über das Internet den richtigen Umgang mit Patienten bei? Beliebt sind Kompaktseminare. Dann wissen die Firmen ganz genau, mein Mitarbeiter ist jetzt fünf Tage weg und bringt danach eine ganz bestimmte Qualifikation mit. Das ist gut planbar. Was gerade stark zunimmt, ist die Nachfrage nach firmeninterner Fortbildung.
Sie schicken dann zum Beispiel einen Telefon-Trainer ins Unternehmen?
Teupen: Zum Beispiel. Der bildet dann direkt am Arbeitsplatz und während der Arbeitszeit aus. Im Vergleich zum Vorjahr haben wir bei den firmeninternen Schulungen mehr als 50 Prozent Steigerung. Viele Unternehmen verlangen nämlich Qualifikationen, die genau auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Die möchten sie aber trotzdem überprüft und zertifiziert wissen. Das reicht von der Vermittlung von Rechtsänderungen bis hin zum Telefontraining.
Also bastelt sich jedes Unternehmen sein eigenes IHK-Zertifikat?
Teupen: So einfach ist das nicht. Wir entwickeln gemeinsam mit dem Unternehmen ein Konzept und überprüfen dann anschließend auch gemeinsam die Leistung. Der Prozess kann sich über viele Monate hinziehen. Das Kammerzertifikat ist das Zeichen nach draußen, dass das Unternehmen etwas für die Qualifizierung seiner Mitarbeiter getan hat und dass ein Dritter, in diesem Fall die IHK, die Qualität überprüft hat.
Lohnt sich der ganze Stress denn wenigstens?
Teupen: Weiterbildung lohnt sich. Laut den jüngsten Umfragen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages unter unseren Teilnehmern hat die Weiterbildung für 62 Prozent eine positive Auswirkung auf die Karriere. Viele steigen auf oder bekommen ein höheres Gehalt, die Unternehmen haben im Gegenzug einen besseren und motivierten Mitarbeiter.